EINE EINFÜHRUNG IN DEN YOGA DER SELBSTERKENNTNIS
Was ist Vedanta?
Diese Frage wird mir oft gestellt.
Meine Antwort hängt meistens davon ab, wer die Frage stellt. Für die breite Masse antworte ich oft, Vedanta sei die philosophische Grundlage des Hinduismus. Diese Antwort können die meisten Menschen akzeptieren, auch wenn sie nicht ganz exakt ist.
Zunächst einmal ist Vedanta keine Philosophie.
Eine Philosophie ist etwas, das sich ein Mensch oder eine Gruppe von Menschen ausgedacht hat. Sie ist von Natur aus begrenzt, und besteht aus einer Weltanschauung oder einer Reihe von Ideen und Konzepten, die durch die persönlichen Annahmen und Vorurteile einer Person gefiltert werden. Außerdem steht sie immer im Widerspruch zu konkurrierenden Philosophien.
Vedanta ist nicht das Werk einer einzelnen Person oder einer Gruppe von Menschen. Er ist außerdem viel mehr als eine Philosophie. Er ist das, was im Sanskrit als Pramana bezeichnet wird.
Ein Pramana ist ein Mittel der Erkenntnis, des Wissens. Im Fall von Vedanta ist die betreffende Erkenntnis der König oder die Königin allen Wissens: die Selbsterkenntnis.
Man könnte sich fragen, warum sollte eigentlich irgend jemand ein Mittel zur Selbsterkenntnis brauchen?
Schließlich gehen die meisten Menschen davon aus, dass sie bereits wissen, wer sie sind. Dieser Typ ist Mike, und diese Frau ist Beverly. Einer ist ein Buchhalter, der einen BMW fährt, und jemand anderes ein Lehrer, der ein Motorrad fährt. Eine mag Pizza und ein anderer Gin.
Aber denke einen Moment lang über Folgendes nach:
Was wäre, wenn alles, was du jemals über dich gedacht oder für wahr gehalten hast, in Wirklichkeit nichts weiter ist, als ein Gedanke und eine Vermutung?
Was, wenn die Person, für die du dich immer gehalten hast, nichts weiter ist, als ein Konzept in deinem Kopf? Und was, wenn dieses Konzept tatsächlich die Quelle all deines Leidens und deiner Unzufriedenheit im Leben ist?
Was den Menschen von anderen Lebewesen unterscheidet, ist seine Fähigkeit zur Selbstreflexion.
Tiere sind intelligent und empfindungsfähig und verfügen über einen rudimentären Intellekt. Demgegenüber sind wir Menschen insofern einzigartig, als wir ein ausgeprägtes Ich- oder Ego-Empfinden haben. Wir haben ein Empfinden für das, was wir denken, zu sein und was wir sein sollten. Dies hat es uns ermöglicht, die dominierende Spezies auf diesem Planeten zu werden, Zivilisationen aufzubauen und zu bewahren sowie zu erkunden, zu erforschen und Neues zu erfinden.
Es ist jedoch auch die Ursache unserer größten Fessel.
Vedanta zufolge liegt die Quelle unseres Leidens in der Fehlidentifikation mit einem begrenzten und fehlerhaften Empfinden unseres Selbst.
Wie der verstorbene großartige Vedanta-Lehrer Swami Dayananda sagte:
„Es ist die Herrlichkeit des Menschen, dass er sich seiner selbst bewusst ist. Das Selbst, dessen er sich bewusst ist, ist jedoch kein vollwertiges, ausreichendes Selbst. Es ist bedauerlicherweise ein unzulängliches, unvollkommenes Selbst.“
Das Problem mit der Selbsterkenntnis ist ganz einfach: Das 'Selbst', dessen wir uns bewusst sind, ist möglicherweise nicht akzeptabel für uns. Wahrscheinlich ist es sogar ein höchst unbefriedigendes Selbst. Wenn wir glauben, dass wir unser Körper, unser Geist, unsere Emotionen oder unser Ego sind, erleben wir unweigerlich ein Gefühl von Begrenzung, denn all diese Aspekte sind von Natur aus begrenzt.
Dieses Pseudo-Selbst, das bei näherer Untersuchung nur ein Haufen unhinterfragter Annahmen ist, verschleiert unsere wahre Natur.
Vedanta erklärt uns, dass wir weit mehr sind, als wir uns jemals vorzustellen gewagt hätten - dass wir bereits vollständig und vollkommen sind - und dass unser Gefühl der Begrenzung aus der Identifikation mit dem resultiert, was wir nicht sind.
Vedanta ist vielleicht die älteste Form der Psychologie auf diesem Planeten. Vedanta ist eine Wissenschaft des Bewusstseins, die uns mit unfehlbarer Logik hilft, die Natur des Selbst, des Bewusstseins und der Realität selbst zu verstehen.
Universell ausgerichtet, befasst Vedanta sich mit den Fragen, mit denen die Menschheit seit Anbeginn der Zeit gerungen hat:
Wer bin ich?
Was bin ich?
Woher stammt das Universum?
Was ist der Sinn des Lebens?
Auch hier ist Vedanta keine Philosophie. Es nicht einer einzelnen Person oder einer Gruppe von Menschen zuzuschreiben. Es ist ein Wissensschatz, der im Laufe der Zeit offenbart, sorgfältig ausgearbeitet und über Jahrtausende bewahrt wurde.
Vedanta ist auch keine Religion. Obwohl es um theologische Themen geht, funktioniert Vedanta ohne jeglichen religiösen Schnickschnack. Deshalb ist es nicht notwendig, dem Hinduismus oder zu einer anderen Religion anzugehören.
Alles, was man braucht, ist ein offener und hinterfragender Geist.
Das Wort Vedanta leitet sich von den Wörtern Veda und Anta ab, die zusammen „das Ende des Wissens“ bedeuten.
Vedanta basiert auf den Lehren der alten indischen Veden, die die Grundlage für Sanatana-Dharma (was wir „Hinduismus“ nennen) bilden.
Diese Texte, vier an der Zahl, datieren Tausende von Jahren zurück und gelten als „offenbartes Wissen“. Mit anderen Worten, sie sind nicht ein Produkt des menschlichen Geistes, sondern wurden von den alten Rishis (Sehern) in tiefer Meditation empfangen und über unzählige Generationen hinweg in Form von Sanskrit-Mantras weitergegeben. Dies erfolgte auf eine Weise, die die Lehre vor Veränderungen und Verfälschungen geschützt hat.
Die Veden lassen sich in zwei Teile unterteilen.
Der erste und umfangreichste Abschnitt jedes Vedas wird Karma-Kanda genannt. Hier geht es um die Erfüllung der eigenen irdischen Ziele und Wünsche. Darin werden Rituale und Handlungen beschrieben, die bei jedem Aspekt des weltlichen Lebens helfen sollen. Man könnte sagen, dass sich der Karma-Kanda der Veden mit den unteren Stufen von Maslows Bedürfnispyramide befasst, der Basis des weltlichen Lebens.
Der zweite Abschnitt, der Jnana-Kanda, erscheint in Form der Upanishaden.
Das Wort „Upanishad“ bedeutet „zu Füßen sitzen“. In diesem Zusammenhang zu Füßen eines Lehrers mit vedantischem Wissen. Dieses Wissen zielt nicht auf weltliche Bestrebungen ab, sondern auf spirituelle Verwirklichung in Form von Selbsterkenntnis und Befreiung.
In Form von Dialogen und poetischen Geschichten behandeln die Upanishaden Fragen der Existenz, der Realität und der Natur des Selbst. Es gibt über zweihundert bekannte Upanishaden, von denen zehn als Haupt-Upanishaden betrachtet werden.
Vedanta stellt eine systematische Entfaltung der Lehren der Upanishaden dar. Er befasst sich mit der Frage der Selbstidentität und der Befreiung von weltlichem Leid.
Da hier die Lehren derjenigen Upanishaden, die den Abschluss eines jeden Veda bilden, herausgearbeitet werden, wird es als Vedanta (das Ende der Veden) bezeichnet. Ein anderes Verständnis des Begriffs Vedanta („das Ende des Wissens“) besteht darin, dass er jede weitere Suche nach Wissen beendet. Denn der Gegenstand von Vedanta ist Selbsterkenntnis, Raja Vidya („der König des Wissens“). Wissen, das nichts mehr zu wissen oder zu erreichen übrig lässt.
Um die Lehren der Upanishaden zu vervollkommnen und zu verdeutlichen, wurde zusätzliche Literatur geschaffen, um die Lehren zu erläutern und alle scheinbaren Widersprüche aufzulösen.
Die wichtigsten von ihnen sind im Vedanta die Brahma-Sutras und die Bhagavad Gita. Zusammen mit den Upanishaden bilden sie das, was als „der dreifache Kanon des Vedanta“ bezeichnet wird.
Die Badarayana zugeschriebenen Brahma-Sutras sind eine Reihe von Aphorismen, die die Lehren der Upanishaden umfassend und gründlich erläutern und klarstellen.
Die Bhagavad Gita gehört zu Vyasasas großem Mahabharata-Epos und ist eines der bekanntesten Werke der indischen Literatur.
Das Buch spielt auf einem Schlachtfeld am Vorabend einer großen Schlacht und ist in Form eines Dialogs zwischen dem edlen Krieger Arjuna und seinem Wagenlenker und Lehrer Krishna, einem Avatar bzw. eine Verkörperung des Göttlichen, geschrieben.
Anhand Krishnas Lehren behandelt der Text die Themen Handlungen und Verpflichtungen, Meditation, Hingabe, Verständnis der Natur des Selbst und Erlangen von Befreiung und Erleuchtung.
Die Gita ist ein bedeutsamer Text, der die Kernaussagen des Vedanta in einer bemerkenswert poetischen und zugleich praktischen Weise wunderschön darlegt.
Einer der wichtigsten Beitragenden zum Vedanta war im 8. Jahrhundert der Visionär Adi Shankara, auch Shankaracharya genannt (acharya bedeutet „großer Lehrer“ in Sanskrit).
Shankara reiste durch ganz Indien, gründete Schulen, beteiligte sich an öffentlichen Debatten und verdichtete durch seine umfangreichen Kommentare und ein voluminöses Werk die Lehre zu dem, was sie heute ist.
Zu Shankaras Zeit war das, was wir als Hinduismus bezeichnen (der Begriff „Hinduismus“ wurde in Wirklichkeit von westlichen Anthropologen in Bezug auf das, was besser als „Sanatana-Dharma“ bekannt ist, geschaffen), eine heterogene Mischung verschiedener Traditionen auf Grundlage der Veden. Vor allem in der Brahmanen- oder Priesterkaste war Korruption weit verbreitet, und die Botschaft der Veden wurde verfälscht.
In seinem kurzen Leben reformierte und vereinheitlichte Shankara das Sanatana-Dharma, das zu dieser Zeit zunehmend vom Buddhismus verdrängt wurde, der seinerseits ein Ableger der Veden war.
Mit seinem messerscharfen Intellekt brillierte Shankara in den öffentlichen philosophischen Debatten der damaligen Zeit. Die Verlierer dieser Debatten mussten die Position des Siegers akzeptieren oder den Schwanz einziehen und die Stadt verlassen.
Als lautstarker Kritiker von Elementen der buddhistischen Lehre pflegte Shankara bei diesen öffentlichen Debatten buddhistische Gelehrte niederzuschmettern. Der nachfolgende Niedergang des Buddhismus in Indien wird oft Shankara zugeschrieben, ebenso die anschließende Wiederbelebung und Renaissance des Sanatana-Dharma.
Dennoch vermuten manche, dass Elemente der buddhistischen Philosophie dabei geholfen haben, Shankaras Reformation dessen, was als Advaita Vedanta bekannt wurde, zu gestalten.
Das Wort „Advaita“ bedeutet „nicht-zwei“ und bezieht sich auf die nicht-duale Natur der Wirklichkeit, wie sie von den Upanishaden offenbart wurde.
Shankaras Kommentare zu den Upanishaden, der Bhagavad Gita und den Brahma-Sutras gelten als wegweisende Schriften und trugen dazu bei, die Lehre zu einer klaren und vollständig erarbeiteten Vision zu konsolidieren.
In den Jahrhunderten nach Shankara sind einige Ableger des Vedanta entstanden, wie z.B. die Dvaita- und Vashishtadvaita-Schulen, die eine dualistischere Interpretation der Upanischaden vertreten. Shankaras Advaita Vedanta bleibt die älteste, einflussreichste und für viele die maßgebende Präsentation des Vedanta.
Vedanta wird auf eine strukturierte Weise gelehrt.
Die Lehre entfaltet sich als eine spezifische Abfolge von Logik, die den Schüler nicht nur zum Verstehen, sondern zur vollständigen Integration und Verwirklichung der Essenz der Lehre befähigt.
Das Resultat der Lehre ist ein völlig anderes Verständnis von sich selbst und dem Leben. Es verändert für immer deine Beziehung zur Welt der Objekte.
Anstatt auf äußere Objekte wie Menschen, Situationen und Errungenschaften für flüchtige Momente des Glücks zu bauen, entdeckst du eine grenzenlose Quelle des Glücks und der Ganzheit in deinem eigenen Selbst.
Dies wird Moksha oder Befreiung genannt. Manche Menschen nennen es Erleuchtung. Ich nenne es einfach Freiheit. In gewisser Weise ist Vedanta eine Landkarte für Freiheit.
Vedanta wird traditionell nur solchen gelehrt, die reif sind, die Lehre zu hören. Es macht wenig Sinn, hineinzutauchen und wieder auszusteigen, gelegentlich Bücher zu lesen und den einen oder anderen Vortrag zu besuchen.
Man muss den Geist zuerst darauf vorbereiten, die Lehre zu erfassen und zu verinnerlichen. Diese Lehre mag auf den ersten Blick radikal und kontraintuitiv erscheinen, aber nach gründlicher Reflektion macht sie vollkommen Sinn.
Vedanta erfordert einen klaren und offenen Geist.
Du musst bereit sein, alles loszulassen, was du bereits zu wissen glaubst, und die Lehre, so wie sie von einem erfahrenen Vedanta-Lehrer entfaltet wird, sorgfältig zu durchdenken.
Insofern ist Vedanta nicht für jedermann geeignet, denn es erfordert den Einsatz von Zeit und Mühe. Bis vor kurzem war Vedanta so etwas wie ein geschlossenes System, das in Indien nur von qualifizierten Lehrern unterrichtet und in Sanskrit vermittelt wurde. Während Yoga und Buddhismus im vergangenen Jahrhundert problemlos in den Westen gebracht werden konnten, war der Einfluss von Vedanta eher subtil.
Obwohl nur wenige in der breiten Öffentlichkeit jemals den Begriff „Vedanta“ gehört haben, ist sein Einfluss dennoch allgegenwärtig. Die Kernbegriffe des Vedanta haben eine Vielzahl anderer Lehren zutiefst beeinflusst und inspiriert, darunter den Buddhismus und im Westen die theosophische Bewegung und ihre New-Age-Ableger, die New-Thought-Bewegung und viele westliche Denker und Autoren.
In der aktuellen Spiritualität ist die Szene der „Nondualität“ (zu der Lehrer wie Eckhart Tolle, Adyashanti und Mooji gehören) im Wesentlichen eine Neuverpackung der zentralen Konzepte des Vedanta. Diese Advaita- (oder Neo-Advaita-) Lehrer bedienen sich der grundlegenden Elemente des Vedanta. Ihre Lehren haben einen gewissen Wert, der jedoch eingeschränkt ist, weil sie es nicht schaffen, ein vollständiges Bild zu vermitteln.
Vedanta ist ein System. Es funktioniert, indem man der Lehre vom Anfang bis zum Ende der Reihe nach folgt. Es macht keinen Sinn, vorwärts zu springen, bevor die Logik jeder Stufe verstanden und akzeptiert worden ist.
Dieser Ansatz gefällt nicht jedem. Viele westliche spirituelle Sucher bevorzugen einen rebellischeren Ansatz, „folge deinen eigenen Vibes“. Sie glauben, dass Erleuchtung nicht gelehrt werden kann, dass Worte nicht ausreichen und die Wahrheit nur von innen kommt. Für sie scheint es nicht sehr punkig zu sein, sich hinzusetzen und jemandem zuzuhören, der aus jahrhundertealten Texten lehrt.
Trotzdem ist dies die Art und Weise, wie die Lehre funktioniert - und sie funktioniert!
Die Problematik, die auftritt, wenn man seinem eigenen Weg folgt und nur dem folgt, bei dem man Resonanz empfindet, ist der Todfeind eines unterscheidungsfähigen Geistes: Bestätigungsfehler (die Neigung, Informationen so auszuwählen, zu ermitteln und zu interpretieren, dass diese die eigenen Erwartungen erfüllen).
Bestätigungsfehler (Voreingenommenheit) sind eines der größten Hindernisse für die Selbsterkenntnis.
Aufgrund dieser fest verdrahteten geistigen Tendenz sucht oder beachtet man nur das, was man ohnehin schon glaubt und womit man einverstanden ist. Anstatt zu lernen, verbringen wir also unser Leben damit, unsere Unwissenheit zu verstärken. Und diese Unwissenheit ist, wie Vedanta betont, der Kern unseres Leidens.
Das bedeutet jedoch nicht, dass es im Vedanta darum geht, gedankenlos eine neue Weltanschauung, Doktrin oder eine Reihe von Überzeugungen anzunehmen.
Es wird von dir als Student nicht erwartet, dass du blind akzeptierst, was dir beigebracht wird. Auf jeder Stufe reflektierst und erwägst du sorgfältig die Lehren, um ihre Richtigkeit zu überprüfen. Es wird von dir erwartet, sie in Frage zu stellen, Zweifel zu klären und alles von allen Seiten zu betrachten.
Letztendlich geraten die meisten selbstgefälligen spirituellen Sucher in eine Sackgasse.
Sie kommen an einen Punkt, an dem ihnen klar wird, dass sie sich selbst nach Jahrzehnten der Meditation, des Yoga und vielleicht gelegentlichen Samadhis und Offenbarungen immer noch kein bisschen verändert haben. Ihre spirituellen Erfahrungen kommen und gehen, aber ihre Selbsterfahrung und ihr Leben - und ihr existentielles Leiden - haben sich nicht wesentlich verändert.
Es braucht einen reifen Sucher, um zuzugeben, dass spirituelle Erfahrungen, so glückselig und wundervoll sie auch sein mögen, kommen und gehen und selten dauerhafte Veränderungen bewirken.
Erfahrungen beenden das Suchen nicht. Wenn überhaupt, dann verstärken sie das Suchen und damit das Ego, denn in dem Moment, in dem man einen Geschmack von Glückseligkeit genießt und er sich wieder verflüchtigt, sehnt man sich sofort nach mehr.
Solange dein Glück auf psychologischer Ebene von irgendeinem äußeren Faktor abhängig ist, bleibst du im Rad von Samsara gefangen - einem sich selbst aufrechterhaltenden Kreislauf von Suchen, Begehren und Unzufriedenheit.
Erfahrung, also das Ergebnis von Handlungen, kann keine dauerhafte Veränderung bewirken.
Erfahrung kann dauerhafte Veränderungen nicht bewirken, weil sie, wie alles Wahrnehmbare, an Zeit gebunden ist. Daher erklärt Vedanta, dass der Versuch, Objekte und Erfahrungen zu manipulieren (und dazu gehört auch die Manipulation des Geistes), nicht zu dauerhafter Freiheit führen kann.
Was jedoch zu dauerhafter Freiheit führt, ist Erkenntnis/Wissen.
Vedanta behauptet, dass unser Leiden - das Gefühl, ein unzulänglicher, begrenzter Mensch zu sein, der ständig Objekten und Erfahrungen nachjagen muss, um glücklich und vollständig zu sein - auf der Unkenntnis unserer Natur beruht.
Das einzige Heilmittel für Unwissenheit ist Wissen. Wissen zerstört die Unwissenheit so schnell, wie Licht Dunkelheit vernichtet.
Vedanta ist bekannt als Jnana-Yoga, der Yoga des Wissens.
Es erfordert einen reifen Geist.
Vedanta lehnt Meditation und Yoga nicht ab. Tatsächlich werden Meditation und Yoga als notwendige Praktiken (Sadhanas) angesehen, um den Geist darauf vorzubereiten, die Lehre zu empfangen. Diese Praktiken werden nicht als Selbstzweck betrachtet, sondern als notwendige Mittel zur Kultivierung eines reinen und qualifizierten Geistes.
Es gibt einen Grund dafür, dass von den vielen Hunderttausenden von Suchenden auf der Welt nur einige wenige Erleuchtung „erlangen“. Das liegt nicht an der willkürlichen Hand des Schicksals. Es liegt daran, dass nur diese wenigen die notwendige Vorarbeit geleistet haben, um einen hinreichend ruhigen, unterscheidungsfähigen, leidenschaftslosen und klaren Geist zu kultivieren. Das ist die wichtigste Qualifikation für Vedanta.
Du brauchst dir aber keine Sorgen zu machen, wenn du noch nicht 'qualifiziert' bist. Vedanta vermittelt Karma-Yoga, Bhakti-Yoga und Meditation. Diese Mittel dienen dazu, den Geist zu meistern und unsere tief verwurzelten Begierden und Abneigungen zu neutralisieren, die sich im Laufe unseres Lebens angesammelt haben, um für uns eine Welt des Leidens zu erschaffen.
Wir leben in einer Welt von vermeintlicher Dualität. Einer Dualität von Subjekt und Objekt, von mir, dir und der Welt.
Die wesentliche Lehre des Vedanta ist jedoch, dass die Realität trotz allem Anschein in Wirklichkeit nicht-dual ist.
All die scheinbar voneinander getrennten Wesen und Bestandteile dieser Dualität sind in Wirklichkeit Ausdruck von - und Erscheinungen in - demselben universellen Bewusstsein (Brahman, dem Selbst).
Darüber hinaus sind wir von diesem Bewusstsein nicht verschieden. Tatsächlich ist es die Essenz dessen, was wir sind.
Denk mal über Träume und die Traumwelt nach. Wenn du schläfst, erscheint ein ganzes Universum von Formen, Orten, Objekten und Menschen vor dir, und du identifizierst dich mit einem bestimmten Teil davon. Alles im Traum ist jedoch nur ein Ausdruck von - und eine Erscheinung in - dem träumenden Bewusstsein. Außerhalb von Bewusstsein hat der Traum keine Existenz oder Realität.
Alles, was du erlebst - die Welt der Objekte, Formen und Erfahrungen - erscheint innerhalb von Bewusstsein.
Es ist tatsächlich unmöglich, etwas außerhalb von Bewusstsein zu erfahren.
Nimm dir einen Moment Zeit, um darüber nachzudenken. In jedem Augenblick übermitteln deine Sinne alle möglichen Daten. Objekte nimmst du als außerhalb von dir wahr: Wände, Möbel, Häuser, Bäume, Menschen, Berge und Wolken.
Aber WO erfährst du diese Objekte tatsächlich?
Es mag so erscheinen, als würdest du sie außerhalb von dir selbst erfahren.
Aber in Wirklichkeit übermitteln die Sinne lediglich Signale, die es dir ermöglichen, Repräsentationen dieser Objekte in deinem Geist zu erleben, in deinem eigenen Bewusstsein.
Außerhalb von Bewusstsein kannst du nichts erfahren.
Bewusstsein ist der Urgrund deiner Existenz, und die Basis deiner Realität.
Der Inhalt deines Bewusstseins ändert sich ständig, aber Bewusstsein selbst bleibt unveränderlich und unbegrenzt.
Bewusstsein, reines Gewahrsein, ist der ewige Faktor, der niemals geleugnet werden kann, die eine Sache, die dir niemals genommen werden kann.
Es braucht Zeit, um dieses radikal andere Verständnis der Wirklichkeit vollständig zu erfassen und zu integrieren. Doch die Lehren des Vedanta beweisen auf vielfältige Weise und mit unfehlbarer Logik, dass alles, was du jemals erfährst - und alles, was du letztlich schon immer bist - in Wirklichkeit Bewusstsein ist.
Dadurch löst sich mit der Zeit deine Identifikation mit der begrenzten Körper-Geist-Ego-Einheit auf, für die du dich selbst gehalten hast. Sie ist nur eine Überlagerung in Bewusstsein und im wahrsten Sinne des Wortes die Quelle all deiner Probleme.
Du entdeckst eine weitaus umfassendere Identität als Bewusstsein, und das Ergebnis ist die Freiheit von den Leiden Samsaras.
Die Veden erklären diese Freiheit, Moksha, zum höchsten Ziel des menschlichen Lebens.
In Wirklichkeit gibt es nichts besonders mystisches oder magisches an Erleuchtung. Es ist einfach ein Gefühl frei von Begrenzungen, frei von Leiden, hervorgerufen durch das Wissen um das eigene Selbst und die Realität, wie sie tatsächlich ist.
In einer Welt, in der Wissen Macht ist, ist ultimatives Wissen - Selbsterkenntnis - nichts weniger als Befreiung.