Teil 10: Vedantas Definition von Gott

EINFÜHRUNG IN VEDANTA (RORY MACKAY)

Teil 10: Vedantas Definition von Gott: Es gibt keinen Gott- Es gibt nichts außer Gott

„Einige Religionen sagen, dass es nur einen Gott gibt. Vedanta sagt, es gibt nur Gott.“

- Swami Dayananda -



Um die Essenz von Vedanta zu begreifen, muss man das verstehen, was im Vedanta Ishvara genannt wird.

Ishvara ist das schöpferische Prinzip des Kosmos: sowohl die das Universum formende Intelligenz als auch seine Grundsubstanz.

Das Wort Ishvara bedeutet „Herr“ und bezieht sich auf Saguna Brahman: das mit Form bzw. Maya verbundene Selbst. Demgegenüber ist Nirguna Brahman die formlose, unterschiedslose absolute Natur der Wirklichkeit, die Quelle und der Urgrund aller Existenz.

Der Unterschied zwischen diesen beiden Aspekten ist nebensächlich, so wie Ton immer Ton bleibt, egal ob er ungeformt ist oder die Form eines Topfes hat.

Das Konzept von Ishvara, von manchen Gott genannt, kann anfänglich eine Herausforderung sein, besonders für Westler. Die meisten Menschen neigen dazu, das Kind mit dem Bad auszuschütten, nachdem sie die auf Abraham zurückgehende Vorstellung eines dualistischen persönlichen Gottes, der im Himmel sitzt und über seine „Kinder“ richtet, verworfen haben.

Anstatt zu erkennen, dass unser Konzept von „Gott“ vielleicht einfach neu definiert werden muss, lehnen sie die Vorstellung einer universellen schöpferischen Intelligenz gänzlich ab. Ich glaube, das ist eine der größten Fehlentwicklungen in der westlichen Religion.

Wie auch immer, es führt kein Weg an der Tatsache vorbei, dass du nicht Etwas aus dem Nichts erschaffen kannst.

Damit etwas existieren kann, muss es ein schöpferisches Prinzip geben, das über dasWissen, die Kraft und den Stoff verfügt, um es zu erschaffen.

Wenn ich dir meine Uhr zeige und dich frage: „Glaubst du, dass jemand diese Uhr erschaffen hat?“, dann wird deine Antwort „ Ja“ lauten.

Du hast nicht gesehen, wie der Uhrmacher die Uhr erschaffen hat. Du weißt nichts über ihn, weder sein Alter, noch seinen Namen, wie er aussieht, wo er wohnt, ja nicht einmal, ob es ein Mann oder eine Frau war. Aber das widerlegt nicht die Tatsache, dass der Uhrmacher unzweifelhaft existieren muss. Es gibt keine Wirkung ohne eine Ursache. Allein die Tatsache, dass die Uhr existiert, setzt einen Schöpfer der Uhr voraus.

Dieselbe Logik gilt für die Welt.

Die Welt existiert offensichtlich und die bloße Existenz einer Sache bedingt ein schöpferisches Prinzip.

Sowohl Religion als auch Wissenschaft haben ihre Grenzen

Es liegt auf der Hand, dass kein vernunftbegabtes Wesen auf der Erde den Anspruch erheben kann, ihr Schöpfer zu sein.

Genau hier kommt die Idee von Gott ins Spiel. Religionen behaupten, Gott sei der Schöpfer des Universums, er lebe im Himmel und man könne ihn nur durch Glauben erkennen. Diese Vorstellung wird von den meisten religiösen Menschen akzeptiert.

Für Menschen mit einem hinterfragenden Intellekt ist diese Erklärung jedoch nicht ausreichend.

Zunächst einmal wirft sie weit mehr Fragen auf als sie beantwortet: Woher kommt dieser „Gott“? Gibt es eine Frau Gott? Wo liegt der Himmel, wie hat Er die Welt erschaffen, und was macht Er an seinen freien Sonntagen?

Dementsprechend lehnen diejenigen, die diese Vorstellung als unbefriedigend empfinden, das Konzept von Gott eher ab. Aus diesem Grund kann das Thema Gott sehr haarig sein. Das Wort selbst wurde von Religionen über so viele Jahrhunderte missbraucht, dass viele es abstoßend finden.

Für die Erklärung von Natur und Schöpfung des Kosmos ist blinder Glaube an theologische Lehren nicht ausreichend. Eine der Hauptqualifikationen von Vedanta ist ein klarer und unterscheidungsfähiger Geist. Ein gewisses Maß an Glauben ist notwendig, aber es ist kein blinder Glaube. Es ist ein vorläufiger Glaube, nur solange notwendig, bis die Ergebnisse deiner persönlichen Untersuchung vorliegen.

Wir leben in einem wissenschaftlichen Zeitalter, in dem die Naturwissenschaften uns geholfen haben, vieles über die Welt und das Universum um uns herum zu verstehen. Wie alles andere auch, sind ihnen jedoch Grenzen gesetzt.

Jahrzehntelang haben die brillantesten Wissenschaftler des Planeten darum gerungen, eine „Theorie von allem“ zu finden, einen Weg, um jeden Aspekt der Schöpfung zu verstehen. Zu ihrem Leidwesen wird deren Umfang auf ewig ihr Verständnis übersteigen.

Die Naturwissenschaft ist ein Mittel, um die physikalische Welt zu verstehen, basierend auf Beobachtung und Schlussfolgerungen. Als Erkenntnismittel für alles, was über den materiellen Aspekt der Existenz (im Vedanta als Prakriti bezeichnet) hinausgeht, ist sie jedoch nicht geeignet. Bis heute hat die Wissenschaft kein Verständnis von Bewusstsein/Gewahrsein und kann dahingehend nichts anderes als miteinander konkurrierende Theorien anbieten, die allein auf Vermutungen basieren.

Ein Mittel der Erkenntnis ist immer spezifisch für diese Erkenntnis. Zum Beispiel sind deine Augen ein Mittel der Erkenntnis allein für visuelle Objekte. Du kannst deine Augen nicht benutzen, um Töne, Berührungen oder Geschmack zu erkennen. Es wäre jedoch falsch anzunehmen, dass ein Geruch nicht existiert, nur weil deine Augen ein Objekt nicht riechen können und deine Nase verstopft ist.

Ähnlich ist die Wissenschaft ein gültiges Mittel der Erkenntnis für das Physische und Manifeste, nicht aber für das Nicht-Physische und Unmanifeste. Probleme entstehen, wenn die Wissenschaft in den Szientismus abrutscht und behauptet wird, etwas, das mit unserem derzeitigen wissenschaftlichen Paradigma nicht gemessen oder verstanden werden kann, existiere nicht. Eine solche ironischerweise unwissenschaftliche Behauptung ist ein großes Hindernis für Erkenntnis.

Sowohl Religion als auch Wissenschaft stoßen eindeutig an ihre Grenzen, wenn es darum geht, den höheren, immateriellen oder noumenalen Aspekt der Realität zu verstehen. Während die Wissenschaft von Natur aus nicht über das Phänomenale hinausgehen kann, bieten die meisten Religionen nichts anderes als oft stark verzerrte Dogmen, die subjektive Symbole mit objektiven Fakten verwechseln.

Wie viele andere war auch ich von den Mängeln herkömmlicher Religion enttäuscht und lehnte die Vorstellung von „Gott“ ab, als ich aufwuchs. Aber ich war erstaunt zu sehen, dass Vedanta eine andere, bessere und zufriedenstellendere Erklärung bietet.

Vedanta ist ein Mittel der Erkenntnis, um die Gesamtheit der Schöpfung zu verstehen, sowohl das Phänomenale als auch das Noumenale.

Gemäß Vedanta ist jede Debatte darüber, ob Gott existiert oder nicht, abwegig.

Warum?

Weil Gott ALLES ist, was existiert.

Ein gesetzmäßiges Universum

Im letzten Artikel dieser Serie haben wir Karma-Yoga als wichtigstes Mittel zur Vorbereitung des Geistes auf Selbsterkenntnis vorgestellt.

Die Qualität deines Geistes ist ausschlaggebend, wenn es um Vedanta geht. Nur ein reifer, entwickelter und unterscheidungsfähiger Geist ist in der Lage, die subtilen Wahrheiten zu erfassen. Deshalb wird Karma-Yoga zur Reinigung und Verfeinerung des extrovertierten, ruhelosen, von Wünschen getriebenen Geistes vorgeschrieben.

Damit Karma-Yoga funktionieren kann, ist jedoch Wissen über Ishvara unabdingbar.

Denn wenn von dir erwartet wird, dass du dich den Ergebnissen deiner Handlungen hingibst und alles, was kommt, als angemessen und legitim akzeptierst, dann musst du wissen, dass es eine zugrunde liegende Ordnung im Kosmos gibt.

Der Glaube, dass das Leben ein glücklicher Zufall und das Universum ein ungeordnetes Chaos ist, stellt für die Selbsterkenntnis ein großes Hindernis dar.

Dies hier ist ein gesetzmäßiges Universum. Präzise und unumstößliche Naturgesetze halten dieses unvorstellbar riesige Universum mit der Präzision eines Uhrwerks am Laufen.

Die Tatsache, dass das Universum überhaupt existiert, ist an sich schon ein Wunder. Um es mit den Worten des verstorbenen Stephen Hawking zu sagen:

„Wenn die Expansionsrate eine Sekunde nach dem Urknall auch nur um einen Bruchteil von hunderttausend Millionen Millionstel kleiner gewesen wäre, wäre das Universum wieder zusammengefallen, bevor es überhaupt seine heutige Größe erreicht hätte.“

Dass wir überhaupt hier sind, ist demnach mit einer extrem geringen Wahrscheinlichkeit verbunden. Das Universum funktioniert wie ein makrokosmischer Organismus, mit Planeten, die sich um Sterne und Sonnensysteme, die sich um einen galaktischen Kern drehen, ähnlich wie Elektronen einen Atomkern umkreisen. Das zeigt, dass dem Leben eine starke kreative Intelligenz zugrunde liegt.

Dieses Universum ist nicht ungeordnet. In Wirklichkeit ist es die Essenz von Ordnung.

Obwohl diese Intelligenz die gesamte Schöpfung durchdringt - sie manifestiert sich sowohl auf einer universellen, makrokosmischen Ebene als auch auf einer mikrokosmischen Ebene in Form des perfekten Funktionierens der Zellen deines Körpers – kann diese Intelligenz nicht direkt gesehen werden.

Wie kann dieses Prinzip dann verstanden werden?

Die Wissenschaft, die im materiellen Aspekt der Existenz feststeckt, kann sich ihm nicht annähern, während Religion im Allgemeinen Konzepte darauf projiziert und diese groben Symbole dann fälschlicherweise wörtlich nimmt. Es ist also eine andere Art der Erforschung notwendig.


Wer hat die Welt erschaffen?

Durch eine systematische Analyse zeigt Vedanta, dass du als das Selbst weder der Körper, noch der Geist, die Sinne oder das Ego bist. Dies sind alles Objekte, die zur phänomenalen Welt der Materie und Form gehören.

Das Selbst ist das Noumenon an der Wurzel aller Phänomene - ein ewiges, unveränderliches Grundsubstrat der Existenz - und seine Natur ist reines, unkonditioniertes Gewahrsein.

Das Selbst allein ist Satya (wirklich), und die phänomenale Welt der Objekte ist Mithya, scheinbar wirklich.

Alles, was objektivierbar ist - einschließlich deines Körpers, deiner Gedanken, der Außenwelt und des gesamten Universums - ist nur eine Erscheinung in diesem Substrat aus Gewahrsein. Es hängt in seiner Existenz vom Selbst ab, so wie ein Topf von dem Ton abhängig ist, aus dem er geformt wurde.

Doch dann stellt sich eine wichtige Frage:

Wenn ich das Selbst bin und das gesamte Universum in mir erscheint, wer oder was ist dann für seine Schöpfung verantwortlich?

Ich selbst habe sicherlich nicht die Sterne, die Planeten, Bäume, Flüsse, Tiere und Menschen erschaffen. Ich bin nicht für die Gesetze verantwortlich, die das Universum regieren: die Zyklen von Geburt und Tod, Schöpfung und Auflösung, Schwerkraft, Sauerstoff, Atmung.

Als ein Jiva, als eine Person, hatte ich offensichtlich keinen Anteil daran - ich kann gerade mal die Batterien meiner Fernbedienung wechseln! Als das Selbst, das nicht-duale Gewahrsein, kann ich ebenfalls keinen Anteil daran gehabt haben. Das Selbst, das grenzenlos und jenseits von Zeit und Kausalität ist, ist was wir Akarta nennen - es ist kein Handelnder. Es ist nicht fähig zu handeln, weil es nichts anderes als es selbst gibt.

Also, woher kommt diese Welt? Wer oder was ist verantwortlich für dieses riesige, intelligente, vernetzte Universum aus Form und Erfahrung?


Das Subjekt kann niemals als Objekt wahrgenommen werden

Das Selbst, formloses Gewahrsein, ist alles, was tatsächlich existiert. Es ist Satyam, der Urgrund der Existenz. Ewig und nicht an Zeit gebunden, ist das Selbst nicht-dual, ein ungeteiltes Ganzes, unbeeinflusst von allem, was in der phänomenalen Welt geschieht.

Obwohl das Selbst nicht als ein erfahrbares Objekt erkannt werden kann, ist seine Existenz offenkundig. Die Erfahrung eines Objekts setzt automatisch ein Subjekt voraus - wie könnte das Objekt sonst erkannt werden?

Das Problem ist, dass das Selbst sich niemals als Objekt erfahren kann, weil es selbst immer das Subjekt ist.

Um einen Vergleich zu bemühen: Eine Kamera kann jedes Objekt innerhalb ihrer Reichweite fotografieren. Das Einzige, was die Kamera niemals tun kann, ist sich selbst zu fotografieren. Ohne die Verwendung eines Spiegels wirst du die Kamera niemals auf einem Foto sehen. Ihre Existenz ist jedoch selbstverständlich. Allein die Tatsache, dass das Foto existiert, beweist die Existenz der Kamera.

Die gleiche Logik gilt für das Selbst. Es kann nicht als Objekt der Erkenntnis wahrgenommen werden, weil es selbst das Subjekt ist. Es ist das, wodurch alles erkannt und erfahren wird.


Die Welt erscheint in dir

Unsere intuitive, vom Alltagsdenken geprägte Annahme ist, dass wir in der Welt erscheinen, denn wir halten uns für einen Körper und unser Körper wird an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit geboren.

Aber wenn du deine Erfahrung ernsthaft untersuchen würdest, würdest du erkennen, dass die Welt in Wirklichkeit in dir erscheint.

Der einzige Ort, an dem du die Welt überhaupt erfahren kannst, ist dein Gewahrsein. Gewahrsein ist dein „Träger“ der Realität, dein Medium, um die Welt zu erfahren.

Du wirst niemals etwas außerhalb deines eigenen Gewahrseins erfahren. Alles, was du siehst und wahrnimmst, erscheint in diesem Gewahrsein - in dir.

Die gesamte Welt der Formen ist daher nichts anderes als eine Erscheinung im Selbst.

Dieses Selbst ist alles durchdringend, formlos und nicht-dual. Zur Wiederholung: Der Fachausdruck dafür ist Nirguna Brahman, was so viel bedeutet wie „das Selbst ohne Form oder Attribute“. Es ist das ewige Subjekt, das unveränderliche Grundmaterial, aus dem alle Objekte entstehen und in das sie sich auflösen.

Damit etwas erkannt werden kann, muss es ein unveränderliches Substrat geben, aufgrund dessen alles erfahren wird. Die Erfahrung verändert sich ständig, aber der Erkennende der Erfahrung, das Selbst, bleibt unverändert. Würde es sich verändern und sich jeder neuen Erfahrung anpassen, gäbe es keine Kontinuität zwischen den Erfahrungen.

Vedanta erklärt, dass innerhalb dieses alles durchdringenden universellen Gewahrseins ein schöpferisches Prinzip namens Maya existiert.

Maya verursacht eine scheinbare Subjekt-Objekt-Spaltung - es schafft eine Welt der Dualität aus der Nicht-Dualität.

Maya ist die Kraft, die das nicht-handelnde, formlose, nicht-duale Gewahrsein dazu veranlasst, scheinbar als ein ganzes Universum aus grobstofflichen und feinstofflichen Formen zu erscheinen. Avidya, Unwissenheit bzw. Ignoranz, bewirkt dann, dass sich Gewahrsein mit diesen Formen identifiziert. Auf diese Weise nimmst du deinen Körper und Geist als dein „Selbst“ wahr.


Wie ein Traum

Diese Welt der Vielheit wird in Gewahrsein auf ähnliche Weise projiziert, wie im Geist eines Träumers eine Traumwelt erscheint.

Wenn du nachts träumst, woher kommt dann diese Traumwelt?

Du hast sie nicht selbst erschaffen.

Eine Macht in deinem Geist erzeugt den Traumzustand und dann scheint dein Bewusstsein verschiedene Formen, Gestalten und Erfahrungen anzunehmen. Die Traumwelt ist weder wirklich noch unwirklich, sie gehört einer anderen Ordnung der Wirklichkeit an als deine Welt im Wachzustand.

Deine Träume können dich auf die unglaublichsten Reisen mitnehmen. Du kannst allen möglichen wundersamen und schrecklichen Dingen begegnen und jede nur denkbare Emotion erleben.

Erst beim Aufwachen wird dir klar, dass der ganze Traum nur eine Erscheinung in deinem Bewusstsein war.

Dein Geist ist zugleich Ursache und Wirkung des Traums, sein Inhalt und seine eigentliche Substanz.

Welcher Teil des Traums ist dein Bewusstsein, wenn du träumst? Welcher Teil davon bist du?

Tatsächlich durchdringt dein Bewusstsein den gesamten Traum. Der Traum erscheint in dir - und IST du - aber du bist nicht der Traum. Du existierst getrennt von ihm. Wenn der Traum zu Ende geht und du aufwachst, bist du immer noch da.

In ähnlicher Weise erscheint dieses phänomenale Universum im Selbst, in Gewahrsein.

Das Selbst durchdringt jeden Aspekt dieser Schöpfung.

Genauso wie der Traum nicht ohne das träumende Bewusstsein existieren kann, kann die Schöpfung nicht unabhängig vom Selbst existieren, weil sie ihre gesamte Existenz von ihm ableitet.

Während das Selbst ohne Form und Attribute als Nirguna Brahman bezeichnet wird, wird das scheinbar begrenzte und mit Form und Attributen verbundene Selbst Saguna Brahman genannt. Ein anderer Name für Saguna Brahman ist Ishvara, oder Gott.


Jede Schöpfung erfordert zwei Faktoren

Jede Schöpfung erfordert nicht nur eine Intelligenz, die sie erschafft (die bewirkende Ursache), sondern auch ein Material, aus dem sie geschaffen wird (die materielle Ursache).

Im Falle eines Tongefäßes ist die materielle Ursache der Ton und der Töpfer ist die bewirkende Ursache (die Intelligenz, die notwendig ist, um das Gefäß zu formen).

Ishvara ist das Selbst, das mit dem materiellen Universum auf einer makrokosmischen Ebene verbunden ist.

Man könnte sich Ishvara als den universellen Töpfer vorstellen, die unpersönliche kosmische Intelligenz, die mit der Macht von Maya das gesamte Universum formt und erhält.

Allerdings ergibt sich ein Problem. Woraus erschafft Ishvara das Universum?

Wenn das Material von Ishvara verschieden wäre, müsste es sich um etwas handeln, das außerhalb von Ishvara liegt. Woher sollte ein solches Material kommen? Wenn es Ishvara plus ein Material gäbe, wer von beiden wäre dann der eigentliche Schöpfer? Wir würden in einem unendlichen Regress enden, und wir hätten eine endlose Anzahl von Ishvaras, wie bei russischen Puppen.

Aus diesem Grund postuliert der Vedanta Ishvara sowohl als bewirkende als auch als materielle Ursache des gegenständlichen Universums:

Ishvara ist nicht nur die Intelligenz, die das Universum formt, sondern auch das Material, aus dem es gemacht ist.

So gesehen, steht Ishvara nicht getrennt von der Schöpfung. Ishvara ist die Schöpfung selbst: die Gesamtheit aller Dinge, sowohl der sichtbaren als auch der unsichtbaren.

Betrachte eine Spinne. Eine Spinne erschafft nicht nur ihr Netz, sondern liefert auch die Substanz, aus der das Netz gesponnen wird. In ähnlicher Weise ist Ishvara das schöpferische Prinzip, das die Gesetze des Universums formt und beherrscht, und auch das Material, aus dem es geformt ist.

Alles, was im phänomenalen Dasein existiert, ist Ishvara. Alles wird von Ishvara regiert und alles gehört zu Ishvara.


Unberührt von der Schöpfung

Gewöhnlich ist der Akt der Schöpfung mit einer Veränderung der Substanz verbunden, aus der etwas geschaffen wird. Wenn z. B. Käse hergestellt werden soll, muss die Milch auf eine bestimmte Weise verarbeitet werden. Wenn der Käse einmal entstanden ist, kann man ihn nicht mehr in seinen ursprünglichen Zustand, die Milch, zurückverwandeln.

Im Gegensatz dazu beeinflusst die schöpferische Kraft von Maya, so wie sie von Ishvara eingesetzt wird, um das erfahrbare Universum zu erschaffen, niemals das Selbst.

Maya erschafft die Erscheinung der Mannigfaltigkeit, aber das Selbst wird nie in irgendeiner Weise verändert. Wie Raum bleibt es unbeeinflusst von allem, was in ihm geschieht.

Aufgrund von Upadhis (begrenzenden Attributen) kann es den Anschein haben, als würde das Selbst bestimmte Formen und Begrenzungen annehmen.

Wir haben dies bereits auf der mikrokosmischen, individuellen Ebene erörtert. Wenn Gewahrsein mit dem Upadhi in Form eines Geist-Körper-Sinnes-Komplexes assoziiert ist, scheint es die Eigenschaften dieses Körpers und Geistes anzunehmen. Dank des Upadhis in Verbindung mit Unwissenheit scheint das Selbst zu einem Jiva (Individuum) zu werden. Daher „wird“ Gewahrsein zu Michael, Sandra, dem Hund Fido, einer Kaulquappe oder einem Baum.

Auf einer makrokosmischen, universellen Ebene, wenn Gewahrsein mit dem Upadhi von Maya, mit der gesamten Schöpfung, assoziiert ist, erscheint es als Ishvara, als Kontrolleur und Herrscher von Maya.

Die Macht von Maya nutzend, wird Ishvara zu dem, durch den die gesamte Schöpfung in Gewahrsein projiziert wird. So wie der träumende Geist eines Menschen eine Traumwelt in Gewahrsein projiziert.


Ein im kosmischen Geist erscheinender Traum

Ishvaras Schöpfung, das phänomenale Universum, ist einem Traum in vielerlei Hinsicht nicht unähnlich. Aber es ist ein Traum, der im kosmischen Geist von Ishvara erscheint. Deshalb wird er von allen scheinbar voneinander getrennten Jivas, die ja auch Teil Ishvaras sind, als derselbe erlebt.

Weil unsere Sinne von Natur aus nach außen gerichtet sind, sind wir Jivas von Ishvaras Schöpfung fasziniert und gebannt, und halten sie für die Realität. Dies geschieht, indem wir Satya über etwas lagern, was letztlich Mithya ist - d.h. wir halten etwas für real, obwohl es nur scheinbar real ist.

Ishvara und Maya sind essenziell dasselbe. Maya ist die Kraft zu erschaffen und Ishvara ist das, was sie benutzt, um die Schöpfung aus sich selbst heraus zu gestalten.

Wie James Swartz sagt, ist die Schöpfung „eine geordnete und intelligent gestaltete Matrix, ein Universum aus physikalischen, psychologischen und moralischen Gesetzen“. Und weiter: „Die gesamte Schöpfung ist aus Wissen geschaffen.“

Ishvara ist die Wissensfabrik, die die Schöpfung möglich macht.

Formen werden nach bestimmten Vorlagen erschaffen. So mussten zum Beispiel die Zellen deines Körpers nicht erst mühsam herausfinden, wie sie funktionieren sollen, als du geboren wurdest. Sie waren bereits mit der Intelligenz ausgestattet, die ihre perfekte Funktion ermöglichte.

Das gesamte Universum funktioniert gemäß dieser eingebauten Intelligenz.

Wenn irgendeine Form erschaffen wird, funktioniert sie gemäß der bereits programmierten Vorlage, die von Ishvara bereitgestellt wird.

Ishvara ist also ein Wissensspeicher, egal ob es sich um Baumwissen, Tierwissen, Menschenwissen, Verstandeswissen oder Materiewissen handelt.

Ishvara erschafft aus sich selbst heraus und liefert die Intelligenz, damit alles Leben nach festgelegten Mustern gedeihen kann. Ishvara regiert und verwaltet als das schöpferische Prinzip von Maya alles, indem er die Gesetze der Schöpfung festlegt und bewahrt.

Diese Gesetze sind universell und unantastbar. Sie sind nicht verhandelbar. Ishvara ist eine unpersönliche schöpferische Kraft. So wie die Sonne auf alle Wesen gleichermaßen scheint, gelten die Gesetze der Schöpfung für alle Wesen gleichermaßen und ohne jeden Vorbehalt. Wenn ein Heiliger und ein Sünder von einer Klippe fallen, wird keiner von ihnen von der Schwerkraft befreit werden. Ishvara kennt keine Sonderbehandlung.

Wenn das Funktionsprinzip des Universums veränderlich und Ishvaras Wille wechselhaft wäre, wäre keine sinnvolle Handlung möglich. Was würde ein Feuer nützen, wenn es an manchen Tagen heiß und an anderen Tagen kalt wäre?

Die Gesetze Ishvaras sind beständig, weil die Schöpfung ein geordnetes System ist, und kein chaotisches.


Die Personifikation Gottes: Eine lauernde Gefahr

Diskussionen und Debatten über Gott sind zumeist müßig.

Ob überzeugter Theist oder überzeugter Atheist, beide Parteien streiten sich lediglich über ein Konzept.

Die langlebigste Vorstellung von Gott ist seit jeher die eines allmächtigen Überwesens. Gewöhnlich stellt man ihn sich als alten Mann mit langem weißen Bart und wallenden Gewändern vor, der auf einem Thron im Himmel sitzt, auf die Schöpfung herabblickt und über seine niederen Geschöpfe richtet.

Ironischerweise sagen Theologen zwar, dass Gott uns nach seinem Ebenbild geschaffen habe, aber im Grunde haben wir Gott nach unserem Ebenbild geschaffen. Weil wir Menschen uns als die höchste Lebensform auf diesem Planeten betrachten, stellen wir uns Gott als eine mächtigere Version von uns selbst vor, mit einer eigenen Persönlichkeit und menschlichen Merkmalen wie Wille, Zorn, Liebe und Rachsucht.

Diese menschenähnliche Vorstellung Gottes kann zu Problemen führen, denn so wie das menschliche Ego nun einmal ist, sind wir dann geneigt zu verkünden, dass „mein Gott“ besser ist als „dein Gott“.

Was wir dabei übersehen, ist, dass mein „persönlicher Gott“ nur ein Symbol für das formlose, unpersönliche, universelle Bewusstsein ist, das im Vedanta, in Ermangelung eines besseren Wortes, Ishvara genannt wird.

Weil es für den Verstand so schwierig ist, die formlose, nicht-duale Natur des Selbst zu kontemplieren, erschaffen Religionen Symbole für das Selbst, indem sie es in verschiedenen Erscheinungsformen darstellen.

Allein im Hinduismus soll es 33 Millionen Götter geben! Sie alle sind lediglich Facetten der einen Gottheit, verschiedene Gesichter von Ishvara, der nicht vom Selbst getrennt ist.

In der Bhagavad Gita erscheint Ishvara in der Form von Krishna, einem Avatar, also einer göttlichen Inkarnation. Wie viele vedische Schriften hat auch die Gita die Form eines Dialogs. Um diesen zu ermöglichen, muss das Göttliche notwendigerweise in einer Gestalt dargestellt werden, wodurch eine provisorische Dualität entsteht.

Wenn Buchstabengläubige auf der Ebene der Form, der persönlichen Götter, stecken bleiben, kommt es oft zu Sektenbildung.

Das ist von Anfang an ein Problem der Religion gewesen. Es ist einfacher, einen persönlichen Gott zu verehren als einen unpersönlichen, formlosen Gott. Aber man sollte dabei nie vergessen, dass alle Formen, ob weltlich oder göttlich, trotzdem Mithya sind.

Nur das formlose Selbst ist Satyam, die letztendliche Wirklichkeit.

Obwohl Ishvara die universelle schöpferische Kraft ist, die dieses ganze Universum erscheinen lässt, bleibt er dennoch Mithya. So wie der Mond sein Licht von der Sonne borgt, borgt Ishvara seine Existenz vom Selbst, das allein existent ist. In diesem Sinne sind der Jiva (Mikrokosmos) und Ishvara (Makrokosmos) ein und dasselbe.

Allein dieses Wissen um Satya und Mithya führt zur Befreiung.

Das Böse ist ein Produkt der Unwissenheit

Vedanta macht deutlich, dass Ishvara sowohl die die Schöpfung formende Intelligenz ist, als auch die eigentliche Substanz der Schöpfung. Wenn du Gott erkennen willst, brauchst du dich nur umzuschauen. Alles ist Ishvara und alles gehört zu Ishvara.

Gott findet sich also in jeder Form und jedem Aspekt der Schöpfung. Es gibt keine Trennung. Du brauchst Gott nicht zu suchen. Du musst einfach nur verstehen, dass alles Gott ist. Über „ deinen“ Gott und „meinen“ Gott zu streiten ist offensichtlich lächerlich, ebenso wie die Vorstellung, dass Gott nicht existiert - denn Gott ist alles Existierende. Ihn zu leugnen, bedeutet, seine eigene Existenz zu leugnen.

Die Vorstellung, dass alles Ishvara ist, stellt für manche Menschen ein Problem dar.

Es fällt Menschen leicht, Ishvara in gefälligen Erscheinungsformen zu akzeptieren: in Sonnenuntergängen, Wasserfällen, funkelnden Sternen, Kätzchen und Schokoladenkuchen. Aber wenn Ishvara alles ist, dann schließt das auch die unschönen Dinge des Lebens ein, wie Krankheit, Hungersnot, Gier, Hass und Gewalt. Wie kann man einen solchen Gott akzeptieren, der zum Bösen fähig ist?

Erstens: Dieses phänomenale Universum ist eine Dualität. Es kann niemals ein Oben ohne ein Unten, Hitze ohne Kälte, Vergnügen ohne Schmerz und Geburt ohne Tod geben. Ein gewisses Maß an Leid ist unvermeidlich und unausweichlich, ebenso wie die Tatsache, dass alle Formen endlich und vergänglich sind.

Darüber hinaus regiert Ishvara die gesamte Schöpfung mittels einer Reihe von Naturgesetzen, einschließlich des Gesetzes von Dharma, das mit der gesamten Struktur der Schöpfung verwoben ist. Dharma ist in Wahrheit das Wirken von Ishvara in Form.

In der Geschichte der Menschheit (und leider auch heute) werden die größten Tragödien wie Krieg, Völkermord, Gewalt und Umweltzerstörung nicht durch Ishvara verursacht, sondern durch die Unwissenheit des menschlichen Geistes über Ishvara.

Da wir Menschen die einzige Spezies auf der Erde sind, die mit einem freien Willen ausgestattet ist, sind wir auch die einzige Spezies, die diesen freien Willen dazu nutzen kann, Dharma zu verletzen.

Das Verletzen von Dharma, zumeist um die eigenen Wünsche und Abneigungen zu befriedigen, führt immer zu Leiden.

Die Wurzel unseres Leidens auf persönlicher und globaler Ebene und die wahre Ursache für die Unmenschlichkeit des Menschen gegenüber dem Menschen ist die Unwissenheit über unsere eigene wahre Natur und über die Natur der Realität.

Diese Unwissenheit, Avidya, ist eine Folge von Maya. Der Jiva begreift die wahre Natur des Selbst nicht und erliegt so der Täuschung von Dualität und Trennung.

Die zwei Kräfte von Maya

Maya hat zwei vorherrschende Kräfte: die Kraft zu verbergen ( Vikshepa Shakti) und die Kraft zu projizieren (Avarana Shakti).

Die Macht des Verbergens bewirkt, dass wir die wahre Natur des Selbst nicht begreifen können. Geist und Sinne sind unsere wichtigsten Mittel der Erkenntnis. Das Upadhi von Maya lässt es so aussehen, als ob wir auf Fleisch und Knochen und die durch unseren Geist strömenden Gedanken und Überzeugungen beschränkt wären. Solange wir nicht lernen, Selbsterforschung zu praktizieren, neigen wir daher dazu, uns mit dem Körper-Geist-Sinnes-Komplex zu identifizieren.

Mayas Kraft der Projektion veranlasst uns, Objekten Bedeutung und Wert zuzuschreiben und die objektive Realität mit einer völlig subjektiven Interpretation zu überlagern.

Mayas Macht, uns zu täuschen, ist so immens, dass Selbstignoranz nahezu universell ist.

In den Upanishaden heißt es, dass in dem Moment, in dem wir Dualität wahrnehmen, die Angst geboren wird. Aus der Angst entsteht das Bedürfnis, Dinge zu erwerben und zu schützen. Und so werden wir in den scheinbar unentrinnbaren Strudel des Leidens gezogen, den Samsara darstellt.

Furcht, Begierde und ein endloser Strom von Vorlieben und Abneigungen werden zum Motor der Psyche des Jiva. Und um unsere Wünsche zu erfüllen, sind wir bereit, gegen Dharma zu verstoßen. Das Böse wird also nicht durch Ishvara hervorgebracht, sondern durch die Unwissenheit über Ishvara.

Alles ist Ishvara

Wenn jeder wüsste, dass Dualität nur ein Trick von Maya ist - Einstein nannte das eine „optische Täuschung des Bewusstseins“ -, dass wir alle das gleiche Selbst sind und dass Gott alles ist, was um uns herum existiert, würde sich die Menschheit im selben Moment verändern.

Mit diesem Wissen wird alles heilig. Diese gesamte Schöpfung ist ein Segen und alles in deinem Leben ist ein Geschenk von Ishvara.

Du hast einen Körper als Leihgabe erhalten, zusammen mit genug Sauerstoff für ein ganzes Leben und allen Ressourcen, die du zum Überleben und, hoffentlich, zum Gedeihen brauchst.

Du erkennst, dass Ishvara dir nichts schuldet, denn all das wurde dir aus freien Stücken gegeben.

Wenn du ein Geschenk erhältst, ist die angemessene Reaktion, Dankbarkeit zu zeigen und etwas zurückzugeben. Deshalb sollte alles im Leben als Segen gesehen werden und jede Handlung eine Form der Verehrung sein.

Dieses Verständnis ist die Voraussetzung dafür, dass Karma-Yoga funktionieren kann. Erst wenn du weißt, dass alles göttlich ist, kannst du die Ergebnisse deiner Handlungen wirklich an Ishvara übergeben.

Du akzeptierst in Würde alles, was kommt, als richtig und angemessen, auch wenn es nicht deinen persönlichen Vorlieben und Abneigungen entspricht.

Du weißt, dass zu jeder Zeit eine höhere Ordnung wirksam ist, eine Ordnung, die vielleicht nicht das liefert, was du willst, aber die immer das liefert, was letztlich für das große Ganze passend ist.

Die Ergebnisse deiner Handlungen entstehen nicht durch Zufall. Sie werden von Ishvara, dem Herrscher über die Gesetze der Schöpfung, zugeteilt. Ishvara ist daher das, was Vedanta Karma Phala Data nennt: der Gewährende der Ergebnisse deiner Handlungen.

Noch einmal: Dies ist ein gesetzmäßiges Universum. Da Ishvara diese Naturgesetze kontrolliert und aufrechterhält und die Früchte aller Handlungen zuteilt, ist es nur angemessen, eine Haltung von Hingabe und ehrfürchtiger Verehrung gegenüber Ishvara zu haben, denn Ishvara ist Leben.

Nur wenn du verstehst, dass dies eine intelligente und gütige Schöpfung ist, kannst du dich entspannen und das Leben so akzeptieren, wie es sich entfaltet, während du weiterhin deinem Dharma folgst und deine Rolle im Wandteppich der Schöpfung spielst.