Das Thema von Vedanta bist du - genauer gesagt, die Erkenntnis
davon, wer du wirklich bist: reines Gewahrsein/Bewusstsein. Da
wir kein besseres Wort dafür haben, bezeichnen wir es als
Brahman oder als das Selbst.
Als nicht-duale Grundlage der Existenz ist das Selbst
unendlich.
'Unendlich' ist vielleicht die genaueste Definition, die es
gibt. Und sie erlaubt keine Ausnahme. Eine Sache kann nicht
eine Zeit lang unendlich sein und in der restlichen Zeit
begrenzt.
Ohne Anfang und ohne Ende ist das Selbst formlos und zeitlos,
makellos und ungebunden an Handlungen.
Seine Natur ist Sat-Chit-Ananda: Existenz, Bewusstsein und
Glückseligkeit (die Glückseligkeit, die in der Freiheit von
Mangel und Begrenzung liegt).
Vielleicht sagst du: Das ist alles gut und schön. Aber wenn das
Selbst formlos, grenzenlos und ewig ist, warum erlebe ich mich
dann als getrenntes Wesen in einer Welt voller Formen,
Mannigfaltigkeit und Unterschiede? Woher kommt diese Welt der
Objekte und Erfahrungen?
Laut Vedanta gibt es eine Kraft, die dem universellen
Bewusstsein innewohnt und Maya genannt wird.
Dank dieser Maya scheint das formlose und unteilbare Selbst
Form anzunehmen und begrenzt zu sein. So wird aus dem
unmanifesten Nicht-Dualen ( Advaita) scheinbar eine Welt der
Formen und Dualität (Dvaita) geboren.
Maya ist das, was wir ein Upadhi nennen. Der Begriff Upadhi
bedeutet „begrenzendes Attribut“, also etwas, das scheinbar
seine Eigenschaften oder Attribute an etwas anderes
verleiht.
Wenn du zum Beispiel einen durchsichtigen Kristall vor ein
rotes Tuch hältst, nimmt der Kristall scheinbar die
Eigenschaften des Tuches an. Es sieht dann so aus, als ob du
einen roten Kristall in der Hand hieltest, weil das Tuch als
Upadhi wirkt. Es „leiht“ dem Kristall seine Eigenschaft der
Röte und lässt den Kristall anders erscheinen, als er
ist.
Als Upadhi lässt Maya das Selbst anders erscheinen, als
es ist: nämlich als dieses gesamte Universum aus Formen und
Vielfältigkeit.
Obwohl alles letztlich nur das Selbst ist (es
ist ja grenzenlos), haben wir es auf der Ebene der Form mit
drei scheinbar unterschiedlichen Prinzipien zu tun: Jiva, Jagat
und Ishvara.
Jiva bezieht sich auf das individuelle Wesen - eine
Person.
Jagat bedeutet „Welt“ und bezieht sich auf das gesamte Feld der
Schöpfung, sowohl grob- als auch feinstofflich.
Ishvara ist das schöpferische Prinzip, das für die Erschaffung
und den Unterhalt des gesamten Kosmos verantwortlich ist.
Diese drei Prinzipien sind insofern eins, als sie alle
eigentlich das Selbst sind, so wie die Welle und der Ozean
nichts anderes als Wasser sind. Der Unterschied zwischen ihnen
ergibt sich aus den unterschiedlichen Upadhis, aber es bleibt
das gleiche Bewusstsein/Gewahrsein, das alle Dinge belebt und
bewahrt.
Das mit Maya verbundene Selbst heißt auf einer makrokosmischen
Ebene Ishvara. Ishvara nutzt die Macht von Maya, um das gesamte
Universum zu erschaffen und zu erhalten.
Jeder Schöpfung liegt eine zweifache Ursache zugrunde: ein
Rohmaterial (die materielle Ursache) und die Intelligenz, die
für die Gestaltung dieses Materials erforderlich ist (die
wirksame Ursache).
Diese beiden Faktoren müssen zusammenkommen, damit etwas
geschaffen werden kann. Um z. B. einen Tontopf zu schaffen,
benötigen wir eine materielle Ursache, den Ton, und eine
wirksame Ursache, den Töpfer.
Bei den meisten Objekten sind materielle und wirksame Ursache
getrennt und unterschiedlich. Ein Koch zum Beispiel ist
getrennt von der Nahrung, die er oder sie zubereitet, genauso
wie ein Ringhersteller getrennt vom Gold ist.
Ishvara ist jedoch sowohl die Intelligenz, die die Schöpfung
formt, als auch die Substanz, aus der sie geformt ist.
Die Mundaka Upanishad bedient sich der Analogie einer Spinne
und ihres Netzes:
„Wie das Netz aus der Spinne hervorkommt und zurückgezogen wird, wie Pflanzen aus der Erde sprießen, wie Haare aus dem Körper wachsen: Genau so, sagen die Weisen, entspringt dieses Universum dem unsterblichen Selbst, der Quelle des Lebens.“
Deshalb spricht Vedanta nicht von einem Gott, der irgendwie
außerhalb der Schöpfung sitzt. Ishvara ist die Schöpfung - ihre
Form und Substanz ebenso wie die schöpferische Intelligenz, die
ihr zugrunde liegt. Wenn du Gott finden willst, brauchst du
dich nur umzuschauen. Ishvara ist in und als jeder einzelne
Aspekt der Schöpfung manifestiert.
Noch einmal: Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass
Ishvara nicht vom Selbst getrennt ist. Ishvara ist das Selbst
plus Maya, das schöpferische Prinzip, welches das formlose
Selbst als die Welt der Formen erscheinen lässt.
Aus diesem Grund wird Ishvara im Vedanta mit dem Begriff Saguna
Brahman bezeichnet, was „das Selbst mit Form und Eigenschaften“
bedeutet. Saguna Brahman existiert in der relativen/empirischen
Ordnung der Realität, während Nirguna Brahman das formlose,
eigenschaftslose Selbst auf der absoluten Ordnung der Realität
besteht (und letztlich trotz der Erscheinung von Maya
unveränderlich bleibt).
Das Selbst ist das einzige unabhängig existierende Prinzip, das
es gibt. Selbst-existent zu sein bedeutet, dass es für seine
Existenz von nichts anderem abhängt. Der Fachbegriff dafür ist
Satya, was „wirklich“ bedeutet. Etwas ist nur dann „wirklich“,
wenn es eine eigene, unabhängige Existenz genießt.
Alle Objekte in der phänomenalen Realität - all die Körper,
Geister, Pflanzen, Tiere, Planeten, Sterne und Galaxien -
genießen nur eine begrenzte, zeitgebundene Existenz und sind
vollkommen abhängig von der Substanz und der Intelligenz, die
sie geschaffen haben. Eine Wirkung kann niemals von ihrer
Ursache getrennt oder unabhängig sein.
Weil diese Objekte in ihrer Entstehung vollständig vom Selbst
abhängen, werden sie Mithya genannt.
Mithya bedeutet „scheinbar wirklich“. Es sind Objekte, die eine
gewisse Form von Realität besitzen, aber keine eigene,
unabhängige Existenz besitzen. Vielmehr leihen sie sich ihre
Existenz vom Selbst, Satya, so wie der Mond sich sein Licht von
der Sonne leiht.
In Ishvaras Schöpfung erscheinen unzählige Jivas.
Ein Jiva ist das, was wir als Person bezeichnen: ein endliches
Individuum, mit Körper und Geist ausgestattet.
Wie ein Spiegel, der vom Licht der Sonne erhellt wird, ist der
Körper-Geist-Sinnes-Komplex für eine begrenzte Zeit in der
Lage, das Licht des Bewusstseins (des Selbst) zu reflektieren.
Bewusstsein ist also keine Eigenschaft des ansonsten leblosen
Körpers und Geistes. Sie sind nur Hilfsmittel, durch die
Bewusstsein wirken, manifestieren oder sich ausdrücken
kann.
(Anmerkung: Jiva bezieht sich nicht nur auf Menschen, sondern
auf jedes eigenständige Lebewesen, einschließlich Tiere und
Pflanzen.)
Wenn Ishvara das Selbst ist, das auf makrokosmischer Ebene mit
der Kraft von Maya verknüpft ist, ist der Jiva das Selbst, das
auf mikrokosmischer Ebene mit einem spezifischen
Körper-Geist-Sinnes-Komplex verbunden ist.
Unglücklicherweise hat der Jiva nur begrenztes Wissen über
seinen Körper und Geist, während Ishvara vollkommenes Wissen in
Bezug auf die gesamte Schöpfung und sich selbst hat. Darüber
hinaus wird der Jiva in Unwissenheit hinsichtlich seiner wahren
Natur als das Selbst geboren. Der Begriff für diese
Selbstignoranz/Selbstunwissenheit ist Avidya.
Avidya ist sozusagen die Quelle für alles Leiden des
Jivas.
Weil wir uns allein mit Körper und Geist identifizieren und uns
selbst für ein endliches Wesen halten, eine bescheidene
Anhäufung von grob- und feinstofflicher Materie, erleiden wir
all den Schmerz, der mit einer solchen Einschränkung verbunden
ist.
Solange diese fundamentale Selbstverkennung bestehen bleibt,
wird unsere Existenz von einem Gefühl von Unzulänglichkeit,
Mangel, Beschränkung und Angst geprägt sein.
Da diese Begrenzung nicht zu unserer Natur gehört, ist sie für
uns inakzeptabel und so verbringen wir unser Leben mit dem
Bestreben, sie zu überwinden.
Wir verbringen unser Leben damit, zahllose Handlungen
auszuführen und allen möglichen weltlichen Annehmlichkeiten,
Vergnügungen und Trophäen nachzulaufen, weil wir glauben, dass
unser Glück, unsere Ganzheit und unser Seelenfrieden
vollständig vom Erreichen oder Vermeiden bestimmter Objekte
abhängig seien.
Bedauerlicherweise stellen wir immer wieder fest, dass nichts
im Außen in der Lage ist, unser unterschwelliges Gefühl von
Mangel und Unzulänglichkeit zu beseitigen. Doch dummerweise ist
der Zwang, immer weiter zu streben, fest in uns verdrahtet. Und
so suchen wir immer wieder im Außen, in Formen, Objekten und
Erfahrungen, nach Freiheit.
Dieser endlose Kreislauf von Unzufriedenheit, Aktion und
Frustration wird Samsara genannt.
Samsara ist ein Fall von fehlgeleiteter Suche. Der Jiva sucht
im Bann der Unwissenheit nach Beständigkeit in der Welt des
Unbeständigen, nach Erfüllung durch etwas Endliches und nach
Glück in etwas, das ihm immer nur ein gleiches Maß an Kummer
bereiten kann.
Der Mensch ist von Natur aus getrieben, Sicherheit,
Beständigkeit, Erfüllung und Glück zu suchen. Das Problem
entsteht, wenn wir diese Dinge in der Welt des Vergänglichen
suchen und nicht erkennen, dass sie zum Selbst, uns selbst
allein, gehören.
In der Gita gibt Krishna zu, dass der Bann von Maya schwer zu
brechen ist. Es gibt keine Lösung für Maya innerhalb von Maya,
denn alles innerhalb von Maya ist auf Maya beschränkt. Daher
ist die einzige Lösung, das Selbst zu suchen, die zugrunde
liegende Essenz der Realität, die nie von der Unwissenheit in
Maya betroffen ist.
Swami Chinmayananda schreibt:
„Indem es sich mit Maya identifiziert, ist das Ego in seiner Beschäftigung mit der äußeren Welt und mit seinen müßigen Vorstellungen unfähig, seine eigene wahre Natur zu erkennen. Es missversteht sich selbst als lediglich eine Masse aus Fleisch und hechelt ständig nach Selbsterfüllung durch die Sinne.“
Dies alles rührt von einem grundlegenden Missverständnis
bezüglich der eigenen Identität her.
Obwohl das Selbst immer präsent ist, als das, durch das alle
Erfahrung erkannt wird, erkennen wir, verblendet durch Maya,
dieses Selbst nicht als das, was es ist.
Das Wissen „Ich bin“ ist selbstverständlich. Wir alle wissen,
dass wir sind. Der Fehler entsteht dadurch, dass wir das Wissen
„Ich bin“ mit etwas verknüpfen, was ich nicht bin. Indem wir
uns fälschlicherweise mit den Begleiterscheinungen namens
Körper, Geist und Ego identifizieren, erschaffen wir eine ganze
Leidenswelt, die auf einer fehlerhaften Selbsteinschätzung
beruht.
Der Klebstoff, der die Jivas an das Rad von Samsara bindet, ist
das Bedürfnis, ständig etwas zu tun, um ein bisschen Glück in
der äußeren Welt zu finden und so unser existenzielles Gefühl
von Begrenzung und Angst zu lindern.
Solange wir uns nicht dazu verpflichtet haben, vor allen Dingen
Dharma zu folgen, werden unsere Handlungen größtenteils von
unseren angesammelten Vorlieben und Abneigungen angetrieben,
die wiederum von den Impulsen unserer vergangenen Handlungen
bestimmt werden.
Diese Vorlieben und Abneigungen existieren in Form von Vasanas:
sich wiederholende und sich selbst aufrechterhaltende Furchen
in Bewusstsein.
Wann immer du eine bestimmte Handlung vollziehst oder auch nur
einen bestimmten Gedanken denkst, hinterlässt dies einen
subtilen Eindruck im Geist.
In Abhängigkeit vom Ergebnis dieser Handlung entsteht eine
Tendenz im Geist, sie entweder zu wiederholen oder zu
vermeiden. Je öfter dies geschieht, desto stärker wird diese
Tendenz, dieses Vasana, werden.
Wenn du morgens aufwachst, musst du wahrscheinlich nicht einmal
bewusst darüber nachdenken, was du zu tun beabsichtigst.
Vielleicht tapst du ins Bad, putzt dir die Zähne und machst dir
einen Kaffee. Die Eigendynamik deiner vergangenen Handlungen,
täglich verstärkt, hat die Vasanas geschaffen, die bestimmen,
was du an jedem Morgen tun wirst.
Diese Vasanas können positiv oder negativ sein, hilfreich oder
schädlich. Automatisch und oft weitgehend unbewusst, treiben
sie zu erzwungenen Handlungen an und formen so Geist,
Reaktionen, Verhalten, Beziehungen und das gesamte Leben eines
Menschen.
Samsara dreht sich wie ein Rad in ständiger Bewegung,
angetrieben durch den Schwung unserer vergangenen Handlungen,
die wiederum weitere Handlungen hervorrufen.
Es sollte beachtet werden, dass dieser Kreislauf die Zeitspanne
eines einzigen Lebens überdauert.
Swami Dayananda sagt dazu:
„Nichts in dieser Welt endet wirklich. Materie wird genauso wie Energie nicht zerstört. Eine Form mag in eine andere umgewandelt werden, aber sie verschwindet nicht gänzlich. Es gibt keine logische Grundlage für den Gedanken, dass das bewusste Wesen ein Ende hat.“
Die vedantischen Texte machen deutlich, dass der Jiva - das
bewusste Wesen, das einen bestimmten Körper-Geist-Komplex
bewohnt - nicht stirbt, wenn der Körper stirbt.
Genauso wie physische Materie in neue Formen recycelt wird,
geschieht dies auch mit feinstofflicher Materie.
Der feinstoffliche Körper des Jiva kann mit einem Reisenden
verglichen werden, der sich von Körper zu Körper bewegt, von
der Spur seines Karmas geleitet. Wenn ein Körper stirbt, wird
ein anderer angenommen. Tod bedeutet nur, dass die Verbindung
des Jivas mit einem bestimmten grobstofflichen Körper zu Ende
ist.
Was also hält einen Jiva in diesem Kreislauf von Tod und
Geburt, von Körper zu Körper wandernd?
Wenn eine Handlung ausgeführt wird, fallen dem Karma Ergebnisse
zu, sowohl gute als auch schlechte. Dieses Karma fruchtet in
Form von Vasanas, dem psychischen Druck, der den Jiva dazu
zwingt, weiterhin Handlungen auszuführen.
Einige dieser Ergebnisse werden in der aktuellen Lebenszeit
erfahren, aber die meisten müssen auf eine zukünftige Zeit
verlagert werden. Dieses Karma verbleibt sozusagen auf dem
karmischen „Konto“ des Jivas. Dementsprechend wird der Jiva
wiedergeboren werden, um sein angesammeltes Karma zu
erschöpfen.
Das Problem ist, dass in dem Moment, in dem der feinstoffliche
Körper mit einem neuen grobstofflichen Körper vereint wird, die
Vasanas diesen „neuen“ Jiva dazu zwingen, noch mehr Handlungen
auszuführen und noch mehr Karma anzusammeln, so dass er einen
weiteren Körper annehmen muss. Und so dreht sich das Rad von
Samsara immer weiter.
Es kann hilfreich sein, die Struktur des Jiva ein wenig genauer
zu erforschen.
Ein Jiva besteht aus drei interagierenden Komponenten - einem
grobstofflichen (physischen) Körper, einem feinstofflichen
Körper (bestehend aus Geist, Intellekt und Ego) und dem
Kausalkörper (Unbewusstes) - die alle durch das reflektierte
Licht von Gewahrsein/Bewusstsein belebt werden, das unsere
innerste Essenz und wahre Natur ist.
1. Der grobstoffliche Körper
Zunächst einmal ist es selbstverständlich, dass
alle Menschen und Tiere einen grobstofflichen bzw. physischen
Körper haben, der aus den fünf Elementen besteht.
Durch diesen Körper hindurch wirken die Sinnesorgane, von denen
es fünf Wahrnehmungsorgane (Sehen, Hören, Tasten, Schmecken und
Riechen) und fünf aktive Organe (sich auf Sprache, Manipulation
von Gegenständen, Bewegung, Sex und Ausscheidung beziehend)
gibt.
Mit diesen Sinnen können wir unsere Umwelt wahrnehmen und mit
ihr interagieren. Sie funktionieren automatisch und verbinden
sich mit ihren jeweiligen Sinnesobjekten, ohne dass du etwas
dafür tun musst. Wenn du zum Beispiel morgens aufwachst, musst
du nicht erst deine Augen einschalten, um zu sehen, oder dein
Gehör einschalten, um zu hören. In dieser Hinsicht sind die
Sinne wie offene Tore.
2. Der feinstoffliche Körper
I. Der Geist/das Gemüt (im Englischen
mind)
Den Upanishaden zufolge befindet sich über den Sinnen
der Geist.
Als Bestandteil des feinstofflichen Körpers verwaltet der Geist
die durch die empfangenden Sinnesorgane eintreffenden fünf
Datenströme und ordnet sie zu einer zusammenhängenden
Erfahrung.
Die Sinne registrieren etwa elf Millionen Bits an Daten pro
Sekunde, doch wir können nur etwa vierzig Bits pro Sekunde
bewusst verarbeiten. Der Geist muss entscheiden, welche Bits
relevant sind und welche herausgefiltert werden sollen.
Die zweite Funktion des Geistes ist es, zu zweifeln und zu
entscheiden. Er muss die Informationen hinterfragen, die von
den Sinnen übermittelt werden.
Nehmen wir an, du wanderst alleine durch den Dschungel. Obwohl
dir die Sinne deine Umgebung objektiv vermitteln, musst du das
Wahrgenommene dennoch interpretieren und einordnen. Der
Dschungel mag sicher aussehen, aber der Geist ist darauf
getrimmt, zu zweifeln, Dinge zu hinterfragen. Denn wer weiß
schon, was im Schatten verborgen lauern könnte? Diese Funktion
des Zweifelns hilft dir, dich in deiner Umgebung
zurechtzufinden und Gefahren und Bedrohungen zu
vermeiden.
Der Geist zeigt auch Emotionen. Alles Verhalten wird von
Emotionen gesteuert. Emotionen sind das, was uns zum Handeln
drängt. Wenn der Verstand feststellt, dass du in Gefahr bist,
erzeugt er die entsprechende Emotion (in diesem Fall Angst),
die die Handlungsorgane aktiviert und es dir ermöglicht,
angemessen zu reagieren - z. B. zu rennen!
Der Geist ist von Natur aus gestaltlos. Da er sich ständig an
die Sinnesdaten anpasst, nimmt er die Form jedes einzelnen
Gedankens an, den du denkst. In den Yoga-Sutras werden die
Gedanken als Vrittis bezeichnet, was soviel bedeutet wie
„Modifikationen des Geistes“.
Der Geist ändert ständig seine Gestalt, entsprechend dieser
Vrittis. Diese wiederum werden weitgehend von den Vasanas und
dem Zusammenspiel der Gunas bestimmt. Bei den Gunas handelt es
sich um die drei Qualitäten der Materie, die die Beschaffenheit
des gesamten Universums bestimmen.
II. Ego
Ein weiterer Bestandteil des feinstofflichen Körpers
ist das Ahamkara. Das Wort Ahamkara bedeutet wörtlich
„Ich-Macher“ und ist unser Empfinden von Ego, von
„Ich-heit“.
Im Vedanta werden die Begriffe mit exakter Präzision verwendet,
um mögliche Verwechslungen zu vermeiden. Das Wort „Ego“ hat je
nach Kontext unterschiedliche Bedeutungen. In unserem Fall ist
das Ego das „Ich-Empfinden“, die Instanz, die die Gedanken und
Interpretationen des Geistes in Besitz nimmt und
dementsprechend agiert.
James Swartz erklärt dies wie folgt:
„[Das Ego] identifiziert sich mit dem Körper-Geist-Sinnes-Komplex. Die Ohren hören, aber sie sagen nicht: „Ich höre.“ Dasjenige, was sagt: „Ich höre“, ist das Ego (Ahamkara), der Teil des feinstofflichen Körpers, der die Handlung in Besitz nimmt.“
Es ist notwendig, dass der Geist ein Empfinden von
Eigentümerschaft erzeugt, um eine Handlung zu initiieren und
auszuführen. Dies ist jedoch lediglich eine weitere
Modifikation des Geistes. Das Ego basiert auf dem Gedanken:
„Ich sehe/höre/höre/denke/handle.“ Was bis dahin einfach ein
unpersönlicher Mechanismus war, erhält nun den Stempel des
„Ichs“. Die Dinge werden persönlich!
Das Ahamkara ist sowohl Segen als auch potenzieller Fluch.
Aufgrund des Problems der Selbstverkennung hat dieser einfache
Mechanismus das Potential, eine unglaubliche Menge an Leid für
den Jiva zu schaffen.
III. Intellekt
Es gibt noch eine weitere Fähigkeit des
feinstofflichen Körpers, die noch subtiler ist als die Sinne,
der Geist und das Ego: den Intellekt.
Der Intellekt ist der Teil von dir, der in der Lage ist, all
das abzuwägen, was du fühlst, denkst und erfährst. Der
Intellekt bestimmt die geeignete Handlungsweise, nachdem er
alle Faktoren berücksichtigt hat.
Man könnte den Intellekt als Teil eines Systems von Kontroll-
und Ausgleichsmechanismen betrachten. Anstatt blindlings nach
Gefühl zu handeln, wozu viele Menschen neigen, hilft dir der
Intellekt, auf eine reifere Weise auf das Leben zu reagieren.
Er ist in der Lage, das Gesamtbild zu sehen und aus vergangenen
Erfahrungen zu lernen und hilft dir, das Leben mit größerer
Intelligenz, Geschick und Vernunft zu meistern.
Er verkümmert wie ein Muskel, wenn er nicht trainiert wird.
Wenn jemand durch das Leben geht und nur aufgrund von Impulsen
und Emotionen handelt, ist sein Intellekt höchstwahrscheinlich
unterentwickelt und sein Leben wird von Chaos und Stress
geprägt sein.
Während die New-Age-Spiritualität Geist und Intellekt oft als
irgendwie „unspirituell“ verunglimpft, vertritt der Vedanta die
Ansicht, dass der Intellekt von entscheidender Bedeutung ist,
um uns bei der Unterscheidung zwischen wahr und falsch zu
helfen. Ohne eine solche Unterscheidung agieren wir weiterhin
blindlings unsere Vasanas aus, was uns für immer an Samsara
bindet.
Im Idealfall gibt der Intellekt, sobald er die von den Sinnen
übermittelten Daten verstanden und die Zweifel des Geistes
ausgeräumt hat, Anweisungen an das Ahamkara weiter. Nachdem es
Gedanken, Gefühle und Handlungen in Besitz genommen hat, führt
das Ego dann die entsprechenden Handlungen aus.
3. Der Kausalkörper
Wir haben bereits über Vasanas gesprochen, die durch Handlungen
im Geist erzeugten unbewussten Prägungen, die uns dazu
veranlassen, dieselben Handlungen in der Zukunft zu wiederholen
oder zu vermeiden.
Diese psychischen Tendenzen, also unsere Vorlieben und
Abneigungen in konkreter Form, werden im sogenannten
Kausalkörper gespeichert.
Der dem Kausalkörper in moderner Sprache vielleicht am nächsten
kommende Ausdruck ist Unterbewusstsein. Der Kausalkörper wird
manchmal als der unmanifeste „Saatzustand“ bezeichnet, weil er
die sich selbst vermehrenden „Samen“ enthält, die durch unsere
vergangenen Gedanken und Handlungen gesät wurden. Diese Samen
keimen später im feinstofflichen Körper als spezifische
Gedanken und Impulse und schaffen die Veranlagung, auf
bestimmte Weise zu handeln.
Abhängig von ihrer Natur können die Vasanas des Kausalkörpers
entweder positiv oder negativ und bindend (zwingend) oder nicht
bindend ( nicht zwingend) sein.
Positive Vasanas können zum Beispiel für unsere Natur und unser
Wohlbefinden harmonische und gesunde Gedanken und Handlungen
sein, wie die Gewohnheit, sich gesund zu ernähren, Sport zu
treiben und jeden Tag zu meditieren.
Negative Gewohnheiten erzeugen entsprechend negative Vasanas,
die uns ständig zu Handlungen zwingen, die vielleicht nicht
förderlich für uns sind, wie z.B. übermäßiges Essen, Rauchen,
Trinken, Prokrastination oder negatives Denken.
Ein nicht bindendes Vasana äußert sich als Vorliebe, während
ein bindendes Vasana zu einem unaufhaltsamen Zwang oder einer
Sucht wird.
Es ist unmöglich, psychisch frei zu werden, solange der Geist
ständig von bindenden Vasanas gedrängt und gezerrt wird. Sie
wühlen den Geist auf und stören ihn, und können dich dazu
zwingen, Dharma in alle Richtungen zu verletzen, um das zu
bekommen, wonach du dich sehnst. Deshalb ist es notwendig, alle
bindenden Vasanas durch die stetige Praxis von Karma-Yoga in
die nicht-bindende Variante umzuwandeln.
Es gibt natürlich noch einen letzten Faktor in der Gleichung -
der wichtigste von allen und das Eigentliche, was den
Jiva-Apparat am Laufen hält.
Wir haben gerade den Körper-Geist-Sinnes-Komplex besprochen,
aus dem grobstofflichen, feinstofflichen und kausalen Körper
bestehend. Als wahrnehmbare Objekte fallen diese unter die
Kategorie Mithya, was bedeutet, dass sie keine eigene,
unabhängige Existenz haben. Sie sind für ihre geliehene
Existenz auf einen anderen Faktor angewiesen.
Mithya, die abhängige Wirkung, kann niemals ohne Satya, die
unabhängige Ursache, existieren - und diese ist das Selbst oder
Gewahrsein/Bewußtsein.
Materie allein, ob grob- oder feinstofflich, ist leblos und
nicht empfindungsfähig. Was sie zum Leben erweckt, ist das
Licht des Selbst. Gewahrsein segnet diese Objekte mit
Empfindungsfähigkeit, so wie die Sonne den Mond mit seinem
reflektierten Licht beglückt. Was Körper und Geist
funktionieren lässt, ist also das reflektierte Bewusstsein des
Selbst.
Swami Paramarthananda verwendet die Analogie einer Glühbirne.
Wir können uns vorstellen, dass Glühbirne und Glühfaden den
grob- und feinstofflichen Körper des Jiva darstellen. Für sich
genommen sind Glühbirne und Glühfaden inaktiv, leblos, und
nicht in der Lage, Licht zu erzeugen. Es wird ein weiterer
Faktor benötigt, das unsichtbare Prinzip, durch das die
Glühbirne zu einer Lichtquelle wird: Elektrizität oder
Strom.
Wie bei der Elektrizität gibt es einen unabhängigen Faktor, der
den ansonsten leblosen Körper-Geist-Sinnes-Komplex durchdringt
und ihm Leben verleiht.
So wie Elektrizität weiter existiert, wenn die Glühbirne kaputt
ist, so ist dieses belebende Prinzip vom Zustand oder Verlust
des Körpers unberührt. Der Körper mag weg sein, aber das Selbst
kann nirgendwo hingehen. Es ist, wie wir bereits dargelegt
haben, ohne Begrenzung und ohne Anfang oder Ende.
Ein letzter Punkt noch. Obwohl es Millionen von Glühbirnen
geben mag, gibt es nur eine Elektrizität. In ähnlicher Weise
ist das Selbst, obwohl es Milliarden von Jivas gibt, die von
ihm durchdrungen, erleuchtet und mit Leben erfüllt werden,
eins.
Bis Selbsterkenntnis vollständig verinnerlicht ist, bleibt dein
Identifikationsgefühl naturgemäß an die Welt der Formen
gebunden. Es ist irrigerweise an Körper, Geist, Intellekt sowie
an deine Erinnerungen, Gedanken, Wünsche, Ängste, Nationalität,
dein Alter, dein Geschlecht, deine Sexualität, deinen Reichtum
oder deine Bildung und eine Reihe anderer Faktoren
geknüpft.
Diese werden zu dir.
Sie erschaffen eine Geschichte davon, wer du zu sein glaubst;
eine zu diesem Zweck erstellte Sammlung von Persönlichkeiten;
eine Parade oft widersprüchlicher Identitäten, die von
verschiedenen Wünschen, Sehnsüchten, Ängsten und Zielen
zusammengehalten werden und alle um mentale Kapazität
konkurrieren. Wenn ich dich frage, wer du bist, sagst du mir
vielleicht: „Ich bin ein heterosexueller, republikanischer Arzt
mittleren Alters aus Utah.“
Ein auf Mithya fixierter Geist ist immer von einem Gefühl der
Unzulänglichkeit, des Mangels und der Begrenzung belastet.
Dieses „Ich“ hat sich selbst begrenzt, indem es sich mit Formen
und Gedanken identifiziert, und ein begrenztes Selbst ist für
uns niemals akzeptabel.
In unserem Innersten spüren wir ein tiefes, brennendes
Verlangen, ganz zu sein, vollständig zu sein, bestätigt zu
werden, von anderen und im weiteren Sinne auch von uns selbst
akzeptiert zu werden.
Dies ist das fundamentale „Jucken“ von Samsara, durch die
Unwissenheit über die Tatsache verursacht, dass wir bereits
vollständig und frei und vollkommen akzeptabel sind, wie wir
sind.
In Maya herumzustöbern, nach Reichtum, Sicherheit und Vergnügen
zu streben, kann niemals ein dauerhaftes Gefühl von Ganzheit
vermitteln. Denn, wie wir gesehen haben, ist Objekt-Glück von
Natur aus mit Unzufriedenheit und Schmerz verbunden.
Nur das Wissen, wer wir wirklich sind, kann dauerhaft
Vollständigkeit und Frieden bringen. Es geht auch nicht darum,
uns irgendetwas hinzuzufügen. Alles, was hinzugefügt werden
kann, kann auch wieder weggenommen werden.
Freiheit ist das Erkennen der Ganzheit und des Glücks, das
immer schon als unsere innerste Natur da war, aber uns bisher
durch Unwissenheit verborgen blieb.
Swami Dayandana sagt:
„Für die Weisen gibt es kein anderes Ziel als Brahman (das Selbst), das sie bereits sind.“
Die Weisen erlangen Befreiung nicht dadurch, dass sie die
Maya-Welt ihren Wünschen entsprechend beeinflussen, sondern
dadurch, dass sie ihre Selbstidentifikation vom begrenzten Jiva
auf das grenzenlose Selbst verlagern.
Während eine solche Seele weiterhin in dieser Welt lebt und
funktioniert, ist die Dualität durch Negation zerstört, durch
Wissen.
Erleuchtung ist das verinnerlichte Wissen, dass man
weder Körper noch Geist ist, sondern das diese Dinge
erleuchtende reine Bewusstsein, während Körper und Geist
weiterhin wie von Ishvara programmiert funktionieren.
Während Körper und Geist als Mithya-Objekte
endlich sind und allen Arten von Begrenzungen unterliegen, ist
Bewusstsein ohne Anfang und ohne Ende und bleibt von allem in
der phänomenalen Welt unberührt und unveränderlich.
Wenn dieses Wissen vollständig verwirklicht ist, wird Samsara
zerstört und Befreiung erlangt.
Der Jnani (jemand, der von Samsara befreit ist) weiß, dass
alles in der Existenz nur das Selbst ist, nur Bewusstsein. Er
sieht das Selbst überall, in allen Dingen: als das, was
makellos rein ist, ewig leuchtet und von nichts in dieser Welt
berührt wird.
Es ist erwähnenswert, dass, obwohl die Weisen das Selbst in
allen sehen, sie nicht alle gleich behandeln.
In seinem klassischen Text, Aparokshanubhuti, sagt Shankara,
dass die Weisen keinen Unterschied zwischen einem Klumpen Gold
und den Ausscheidungen einer Krähe sehen. Beides sind Objekte,
die in Bewusstsein erscheinen, und beide leiten ihre Existenz
vom Selbst ab. Das bedeutet jedoch nicht, dass ein Jnani beide
Objekte auf dieselbe Weise behandeln würde. Nur ein Idiot würde
einen Klumpen Krähendreck zur Bank bringen und versuchen, ihn
in Geld zu tauschen!
Der Jnani verliert nicht die Fähigkeit, mit der materiellen
Welt umzugehen. Solange sein Körper besteht, muss er immer noch
nach den Regeln der erfahrungsmäßigen Realität spielen. Wie
jeder Mensch muss er essen, schlafen, den Körper versorgen und
vielleicht arbeiten oder sich um verschiedene Verpflichtungen
kümmern.
Allerdings weiß er, dass es nur scheinbare Handlungen
sind.
Obwohl das Selbst dank Maya als ein Universum vermeintlich
getrennter Formen erscheint, ist es frei von Begrenzungen. Da
das Selbst einer anderen Ordnung der Realität angehört, ist es
von der Welt der Materie und den subtilen Kräften, die Handlung
und Erfahrung bestimmen, unbeeinflusst.
Befreit vom Gefühl des Samsari, etwas zu tun und zu besitzen,
wissen die Erleuchteten, dass Karma und seine Ergebnisse nur
Geist und Körper betreffen, niemals aber das Selbst.
Dadurch, dass der Jnani dieses Wissen besitzt und sich selbst
in allen Wesen sieht, ist er von Begrenzungen befreit. Selbst
mitten in der Welt der Vielfältigkeit sieht er nichts als das
eine universelle Bewusstsein.
Befreit von der Identifikation mit der Form, gibt es letztlich
überhaupt keinen Jiva, sondern nur das Selbst, und das ist die
höchste Befreiung.
So wie die Welle durch das Wissen befreit wird, dass sie nichts
anderes als der mächtige Ozean ist, wird der Jiva durch das
Wissen Aham Brahmasmi befreit: „Ich bin das unsterbliche, ewige
Selbst.“.
(Der nächste Artikel in dieser Serie wird sich mit dem
Thema Handlung und Handlungslosigkeit, den drei Ordnungen der
Wirklichkeit und der Frage des freien Willens
beschäftigen)