Teil 13: Was ist ein Jiva?

EINFÜHRUNG IN VEDANTA (RORY MACKAY)

Teil 13: Was ist ein Jiva? Individuum, Welt und Totalität verstehen

Das Thema von Vedanta bist du - genauer gesagt, die Erkenntnis davon, wer du wirklich bist: reines Gewahrsein/Bewusstsein. Da wir kein besseres Wort dafür haben, bezeichnen wir es als Brahman oder als das Selbst.

Als nicht-duale Grundlage der Existenz ist das Selbst unendlich.

'Unendlich' ist vielleicht die genaueste Definition, die es gibt. Und sie erlaubt keine Ausnahme. Eine Sache kann nicht eine Zeit lang unendlich sein und in der restlichen Zeit begrenzt.

Ohne Anfang und ohne Ende ist das Selbst formlos und zeitlos, makellos und ungebunden an Handlungen.

Seine Natur ist Sat-Chit-Ananda: Existenz, Bewusstsein und Glückseligkeit (die Glückseligkeit, die in der Freiheit von Mangel und Begrenzung liegt).

Vielleicht sagst du: Das ist alles gut und schön. Aber wenn das Selbst formlos, grenzenlos und ewig ist, warum erlebe ich mich dann als getrenntes Wesen in einer Welt voller Formen, Mannigfaltigkeit und Unterschiede? Woher kommt diese Welt der Objekte und Erfahrungen?

Maya macht das Unmögliche möglich

Laut Vedanta gibt es eine Kraft, die dem universellen Bewusstsein innewohnt und Maya genannt wird.

Dank dieser Maya scheint das formlose und unteilbare Selbst Form anzunehmen und begrenzt zu sein. So wird aus dem unmanifesten Nicht-Dualen ( Advaita) scheinbar eine Welt der Formen und Dualität (Dvaita) geboren.

Maya ist das, was wir ein Upadhi nennen. Der Begriff Upadhi bedeutet „begrenzendes Attribut“, also etwas, das scheinbar seine Eigenschaften oder Attribute an etwas anderes verleiht.

Wenn du zum Beispiel einen durchsichtigen Kristall vor ein rotes Tuch hältst, nimmt der Kristall scheinbar die Eigenschaften des Tuches an. Es sieht dann so aus, als ob du einen roten Kristall in der Hand hieltest, weil das Tuch als Upadhi wirkt. Es „leiht“ dem Kristall seine Eigenschaft der Röte und lässt den Kristall anders erscheinen, als er ist.

Als Upadhi lässt Maya das Selbst anders erscheinen, als es ist: nämlich als dieses gesamte Universum aus Formen und Vielfältigkeit.

Obwohl alles letztlich nur das Selbst ist (es ist ja grenzenlos), haben wir es auf der Ebene der Form mit drei scheinbar unterschiedlichen Prinzipien zu tun: Jiva, Jagat und Ishvara.

Jiva bezieht sich auf das individuelle Wesen - eine Person.

Jagat bedeutet „Welt“ und bezieht sich auf das gesamte Feld der Schöpfung, sowohl grob- als auch feinstofflich.

Ishvara ist das schöpferische Prinzip, das für die Erschaffung und den Unterhalt des gesamten Kosmos verantwortlich ist.

Diese drei Prinzipien sind insofern eins, als sie alle eigentlich das Selbst sind, so wie die Welle und der Ozean nichts anderes als Wasser sind. Der Unterschied zwischen ihnen ergibt sich aus den unterschiedlichen Upadhis, aber es bleibt das gleiche Bewusstsein/Gewahrsein, das alle Dinge belebt und bewahrt.

Ishvara: der Schöpfer und der Kontrolleur

Das mit Maya verbundene Selbst heißt auf einer makrokosmischen Ebene Ishvara. Ishvara nutzt die Macht von Maya, um das gesamte Universum zu erschaffen und zu erhalten.

Jeder Schöpfung liegt eine zweifache Ursache zugrunde: ein Rohmaterial (die materielle Ursache) und die Intelligenz, die für die Gestaltung dieses Materials erforderlich ist (die wirksame Ursache).

Diese beiden Faktoren müssen zusammenkommen, damit etwas geschaffen werden kann. Um z. B. einen Tontopf zu schaffen, benötigen wir eine materielle Ursache, den Ton, und eine wirksame Ursache, den Töpfer.

Bei den meisten Objekten sind materielle und wirksame Ursache getrennt und unterschiedlich. Ein Koch zum Beispiel ist getrennt von der Nahrung, die er oder sie zubereitet, genauso wie ein Ringhersteller getrennt vom Gold ist.

Ishvara ist jedoch sowohl die Intelligenz, die die Schöpfung formt, als auch die Substanz, aus der sie geformt ist.

Die Mundaka Upanishad bedient sich der Analogie einer Spinne und ihres Netzes:

„Wie das Netz aus der Spinne hervorkommt und zurückgezogen wird, wie Pflanzen aus der Erde sprießen, wie Haare aus dem Körper wachsen: Genau so, sagen die Weisen, entspringt dieses Universum dem unsterblichen Selbst, der Quelle des Lebens.“


Deshalb spricht Vedanta nicht von einem Gott, der irgendwie außerhalb der Schöpfung sitzt. Ishvara ist die Schöpfung - ihre Form und Substanz ebenso wie die schöpferische Intelligenz, die ihr zugrunde liegt. Wenn du Gott finden willst, brauchst du dich nur umzuschauen. Ishvara ist in und als jeder einzelne Aspekt der Schöpfung manifestiert.

Noch einmal: Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass Ishvara nicht vom Selbst getrennt ist. Ishvara ist das Selbst plus Maya, das schöpferische Prinzip, welches das formlose Selbst als die Welt der Formen erscheinen lässt.

Aus diesem Grund wird Ishvara im Vedanta mit dem Begriff Saguna Brahman bezeichnet, was „das Selbst mit Form und Eigenschaften“ bedeutet. Saguna Brahman existiert in der relativen/empirischen Ordnung der Realität, während Nirguna Brahman das formlose, eigenschaftslose Selbst auf der absoluten Ordnung der Realität besteht (und letztlich trotz der Erscheinung von Maya unveränderlich bleibt).

Satya und Mithya

Das Selbst ist das einzige unabhängig existierende Prinzip, das es gibt. Selbst-existent zu sein bedeutet, dass es für seine Existenz von nichts anderem abhängt. Der Fachbegriff dafür ist Satya, was „wirklich“ bedeutet. Etwas ist nur dann „wirklich“, wenn es eine eigene, unabhängige Existenz genießt.

Alle Objekte in der phänomenalen Realität - all die Körper, Geister, Pflanzen, Tiere, Planeten, Sterne und Galaxien - genießen nur eine begrenzte, zeitgebundene Existenz und sind vollkommen abhängig von der Substanz und der Intelligenz, die sie geschaffen haben. Eine Wirkung kann niemals von ihrer Ursache getrennt oder unabhängig sein.

Weil diese Objekte in ihrer Entstehung vollständig vom Selbst abhängen, werden sie Mithya genannt.

Mithya bedeutet „scheinbar wirklich“. Es sind Objekte, die eine gewisse Form von Realität besitzen, aber keine eigene, unabhängige Existenz besitzen. Vielmehr leihen sie sich ihre Existenz vom Selbst, Satya, so wie der Mond sich sein Licht von der Sonne leiht.

Der Jiva und die Selbst-Ignoranz

In Ishvaras Schöpfung erscheinen unzählige Jivas.

Ein Jiva ist das, was wir als Person bezeichnen: ein endliches Individuum, mit Körper und Geist ausgestattet.

Wie ein Spiegel, der vom Licht der Sonne erhellt wird, ist der Körper-Geist-Sinnes-Komplex für eine begrenzte Zeit in der Lage, das Licht des Bewusstseins (des Selbst) zu reflektieren. Bewusstsein ist also keine Eigenschaft des ansonsten leblosen Körpers und Geistes. Sie sind nur Hilfsmittel, durch die Bewusstsein wirken, manifestieren oder sich ausdrücken kann.

(Anmerkung: Jiva bezieht sich nicht nur auf Menschen, sondern auf jedes eigenständige Lebewesen, einschließlich Tiere und Pflanzen.)

Wenn Ishvara das Selbst ist, das auf makrokosmischer Ebene mit der Kraft von Maya verknüpft ist, ist der Jiva das Selbst, das auf mikrokosmischer Ebene mit einem spezifischen Körper-Geist-Sinnes-Komplex verbunden ist.

Unglücklicherweise hat der Jiva nur begrenztes Wissen über seinen Körper und Geist, während Ishvara vollkommenes Wissen in Bezug auf die gesamte Schöpfung und sich selbst hat. Darüber hinaus wird der Jiva in Unwissenheit hinsichtlich seiner wahren Natur als das Selbst geboren. Der Begriff für diese Selbstignoranz/Selbstunwissenheit ist Avidya.

Avidya ist sozusagen die Quelle für alles Leiden des Jivas.

Weil wir uns allein mit Körper und Geist identifizieren und uns selbst für ein endliches Wesen halten, eine bescheidene Anhäufung von grob- und feinstofflicher Materie, erleiden wir all den Schmerz, der mit einer solchen Einschränkung verbunden ist.

Solange diese fundamentale Selbstverkennung bestehen bleibt, wird unsere Existenz von einem Gefühl von Unzulänglichkeit, Mangel, Beschränkung und Angst geprägt sein.

Da diese Begrenzung nicht zu unserer Natur gehört, ist sie für uns inakzeptabel und so verbringen wir unser Leben mit dem Bestreben, sie zu überwinden.

Wir verbringen unser Leben damit, zahllose Handlungen auszuführen und allen möglichen weltlichen Annehmlichkeiten, Vergnügungen und Trophäen nachzulaufen, weil wir glauben, dass unser Glück, unsere Ganzheit und unser Seelenfrieden vollständig vom Erreichen oder Vermeiden bestimmter Objekte abhängig seien.

Bedauerlicherweise stellen wir immer wieder fest, dass nichts im Außen in der Lage ist, unser unterschwelliges Gefühl von Mangel und Unzulänglichkeit zu beseitigen. Doch dummerweise ist der Zwang, immer weiter zu streben, fest in uns verdrahtet. Und so suchen wir immer wieder im Außen, in Formen, Objekten und Erfahrungen, nach Freiheit.

Dieser endlose Kreislauf von Unzufriedenheit, Aktion und Frustration wird Samsara genannt.

Fehlgeleitetes Suchen

Samsara ist ein Fall von fehlgeleiteter Suche. Der Jiva sucht im Bann der Unwissenheit nach Beständigkeit in der Welt des Unbeständigen, nach Erfüllung durch etwas Endliches und nach Glück in etwas, das ihm immer nur ein gleiches Maß an Kummer bereiten kann.

Der Mensch ist von Natur aus getrieben, Sicherheit, Beständigkeit, Erfüllung und Glück zu suchen. Das Problem entsteht, wenn wir diese Dinge in der Welt des Vergänglichen suchen und nicht erkennen, dass sie zum Selbst, uns selbst allein, gehören.

In der Gita gibt Krishna zu, dass der Bann von Maya schwer zu brechen ist. Es gibt keine Lösung für Maya innerhalb von Maya, denn alles innerhalb von Maya ist auf Maya beschränkt. Daher ist die einzige Lösung, das Selbst zu suchen, die zugrunde liegende Essenz der Realität, die nie von der Unwissenheit in Maya betroffen ist.

Swami Chinmayananda schreibt:

„Indem es sich mit Maya identifiziert, ist das Ego in seiner Beschäftigung mit der äußeren Welt und mit seinen müßigen Vorstellungen unfähig, seine eigene wahre Natur zu erkennen. Es missversteht sich selbst als lediglich eine Masse aus Fleisch und hechelt ständig nach Selbsterfüllung durch die Sinne.“


Dies alles rührt von einem grundlegenden Missverständnis bezüglich der eigenen Identität her.

Obwohl das Selbst immer präsent ist, als das, durch das alle Erfahrung erkannt wird, erkennen wir, verblendet durch Maya, dieses Selbst nicht als das, was es ist.

Das Wissen „Ich bin“ ist selbstverständlich. Wir alle wissen, dass wir sind. Der Fehler entsteht dadurch, dass wir das Wissen „Ich bin“ mit etwas verknüpfen, was ich nicht bin. Indem wir uns fälschlicherweise mit den Begleiterscheinungen namens Körper, Geist und Ego identifizieren, erschaffen wir eine ganze Leidenswelt, die auf einer fehlerhaften Selbsteinschätzung beruht.

Sich selbst vertiefende Furchen in Bewusstsein

Der Klebstoff, der die Jivas an das Rad von Samsara bindet, ist das Bedürfnis, ständig etwas zu tun, um ein bisschen Glück in der äußeren Welt zu finden und so unser existenzielles Gefühl von Begrenzung und Angst zu lindern.

Solange wir uns nicht dazu verpflichtet haben, vor allen Dingen Dharma zu folgen, werden unsere Handlungen größtenteils von unseren angesammelten Vorlieben und Abneigungen angetrieben, die wiederum von den Impulsen unserer vergangenen Handlungen bestimmt werden.

Diese Vorlieben und Abneigungen existieren in Form von Vasanas: sich wiederholende und sich selbst aufrechterhaltende Furchen in Bewusstsein.

Wann immer du eine bestimmte Handlung vollziehst oder auch nur einen bestimmten Gedanken denkst, hinterlässt dies einen subtilen Eindruck im Geist.

In Abhängigkeit vom Ergebnis dieser Handlung entsteht eine Tendenz im Geist, sie entweder zu wiederholen oder zu vermeiden. Je öfter dies geschieht, desto stärker wird diese Tendenz, dieses Vasana, werden.

Wenn du morgens aufwachst, musst du wahrscheinlich nicht einmal bewusst darüber nachdenken, was du zu tun beabsichtigst. Vielleicht tapst du ins Bad, putzt dir die Zähne und machst dir einen Kaffee. Die Eigendynamik deiner vergangenen Handlungen, täglich verstärkt, hat die Vasanas geschaffen, die bestimmen, was du an jedem Morgen tun wirst.

Diese Vasanas können positiv oder negativ sein, hilfreich oder schädlich. Automatisch und oft weitgehend unbewusst, treiben sie zu erzwungenen Handlungen an und formen so Geist, Reaktionen, Verhalten, Beziehungen und das gesamte Leben eines Menschen.

Ein Rad in ständiger Bewegung

Samsara dreht sich wie ein Rad in ständiger Bewegung, angetrieben durch den Schwung unserer vergangenen Handlungen, die wiederum weitere Handlungen hervorrufen.

Es sollte beachtet werden, dass dieser Kreislauf die Zeitspanne eines einzigen Lebens überdauert.

Swami Dayananda sagt dazu:


„Nichts in dieser Welt endet wirklich. Materie wird genauso wie Energie nicht zerstört. Eine Form mag in eine andere umgewandelt werden, aber sie verschwindet nicht gänzlich. Es gibt keine logische Grundlage für den Gedanken, dass das bewusste Wesen ein Ende hat.“


Die vedantischen Texte machen deutlich, dass der Jiva - das bewusste Wesen, das einen bestimmten Körper-Geist-Komplex bewohnt - nicht stirbt, wenn der Körper stirbt.

Genauso wie physische Materie in neue Formen recycelt wird, geschieht dies auch mit feinstofflicher Materie.

Der feinstoffliche Körper des Jiva kann mit einem Reisenden verglichen werden, der sich von Körper zu Körper bewegt, von der Spur seines Karmas geleitet. Wenn ein Körper stirbt, wird ein anderer angenommen. Tod bedeutet nur, dass die Verbindung des Jivas mit einem bestimmten grobstofflichen Körper zu Ende ist.

Was also hält einen Jiva in diesem Kreislauf von Tod und Geburt, von Körper zu Körper wandernd?

Wenn eine Handlung ausgeführt wird, fallen dem Karma Ergebnisse zu, sowohl gute als auch schlechte. Dieses Karma fruchtet in Form von Vasanas, dem psychischen Druck, der den Jiva dazu zwingt, weiterhin Handlungen auszuführen.

Einige dieser Ergebnisse werden in der aktuellen Lebenszeit erfahren, aber die meisten müssen auf eine zukünftige Zeit verlagert werden. Dieses Karma verbleibt sozusagen auf dem karmischen „Konto“ des Jivas. Dementsprechend wird der Jiva wiedergeboren werden, um sein angesammeltes Karma zu erschöpfen.

Das Problem ist, dass in dem Moment, in dem der feinstoffliche Körper mit einem neuen grobstofflichen Körper vereint wird, die Vasanas diesen „neuen“ Jiva dazu zwingen, noch mehr Handlungen auszuführen und noch mehr Karma anzusammeln, so dass er einen weiteren Körper annehmen muss. Und so dreht sich das Rad von Samsara immer weiter.

Die Anatomie eines Jivas

Es kann hilfreich sein, die Struktur des Jiva ein wenig genauer zu erforschen.

Ein Jiva besteht aus drei interagierenden Komponenten - einem grobstofflichen (physischen) Körper, einem feinstofflichen Körper (bestehend aus Geist, Intellekt und Ego) und dem Kausalkörper (Unbewusstes) - die alle durch das reflektierte Licht von Gewahrsein/Bewusstsein belebt werden, das unsere innerste Essenz und wahre Natur ist.

1. Der grobstoffliche Körper

Zunächst einmal ist es selbstverständlich, dass alle Menschen und Tiere einen grobstofflichen bzw. physischen Körper haben, der aus den fünf Elementen besteht.

Durch diesen Körper hindurch wirken die Sinnesorgane, von denen es fünf Wahrnehmungsorgane (Sehen, Hören, Tasten, Schmecken und Riechen) und fünf aktive Organe (sich auf Sprache, Manipulation von Gegenständen, Bewegung, Sex und Ausscheidung beziehend) gibt.

Mit diesen Sinnen können wir unsere Umwelt wahrnehmen und mit ihr interagieren. Sie funktionieren automatisch und verbinden sich mit ihren jeweiligen Sinnesobjekten, ohne dass du etwas dafür tun musst. Wenn du zum Beispiel morgens aufwachst, musst du nicht erst deine Augen einschalten, um zu sehen, oder dein Gehör einschalten, um zu hören. In dieser Hinsicht sind die Sinne wie offene Tore.

2. Der feinstoffliche Körper


I. Der Geist/das Gemüt (im Englischen mind)

Den Upanishaden zufolge befindet sich über den Sinnen der Geist.

Als Bestandteil des feinstofflichen Körpers verwaltet der Geist die durch die empfangenden Sinnesorgane eintreffenden fünf Datenströme und ordnet sie zu einer zusammenhängenden Erfahrung.

Die Sinne registrieren etwa elf Millionen Bits an Daten pro Sekunde, doch wir können nur etwa vierzig Bits pro Sekunde bewusst verarbeiten. Der Geist muss entscheiden, welche Bits relevant sind und welche herausgefiltert werden sollen.

Die zweite Funktion des Geistes ist es, zu zweifeln und zu entscheiden. Er muss die Informationen hinterfragen, die von den Sinnen übermittelt werden.

Nehmen wir an, du wanderst alleine durch den Dschungel. Obwohl dir die Sinne deine Umgebung objektiv vermitteln, musst du das Wahrgenommene dennoch interpretieren und einordnen. Der Dschungel mag sicher aussehen, aber der Geist ist darauf getrimmt, zu zweifeln, Dinge zu hinterfragen. Denn wer weiß schon, was im Schatten verborgen lauern könnte? Diese Funktion des Zweifelns hilft dir, dich in deiner Umgebung zurechtzufinden und Gefahren und Bedrohungen zu vermeiden.

Der Geist zeigt auch Emotionen. Alles Verhalten wird von Emotionen gesteuert. Emotionen sind das, was uns zum Handeln drängt. Wenn der Verstand feststellt, dass du in Gefahr bist, erzeugt er die entsprechende Emotion (in diesem Fall Angst), die die Handlungsorgane aktiviert und es dir ermöglicht, angemessen zu reagieren - z. B. zu rennen!

Der Geist ist von Natur aus gestaltlos. Da er sich ständig an die Sinnesdaten anpasst, nimmt er die Form jedes einzelnen Gedankens an, den du denkst. In den Yoga-Sutras werden die Gedanken als Vrittis bezeichnet, was soviel bedeutet wie „Modifikationen des Geistes“.

Der Geist ändert ständig seine Gestalt, entsprechend dieser Vrittis. Diese wiederum werden weitgehend von den Vasanas und dem Zusammenspiel der Gunas bestimmt. Bei den Gunas handelt es sich um die drei Qualitäten der Materie, die die Beschaffenheit des gesamten Universums bestimmen.

II. Ego

Ein weiterer Bestandteil des feinstofflichen Körpers ist das Ahamkara. Das Wort Ahamkara bedeutet wörtlich „Ich-Macher“ und ist unser Empfinden von Ego, von „Ich-heit“.

Im Vedanta werden die Begriffe mit exakter Präzision verwendet, um mögliche Verwechslungen zu vermeiden. Das Wort „Ego“ hat je nach Kontext unterschiedliche Bedeutungen. In unserem Fall ist das Ego das „Ich-Empfinden“, die Instanz, die die Gedanken und Interpretationen des Geistes in Besitz nimmt und dementsprechend agiert.

James Swartz erklärt dies wie folgt:


„[Das Ego] identifiziert sich mit dem Körper-Geist-Sinnes-Komplex. Die Ohren hören, aber sie sagen nicht: „Ich höre.“ Dasjenige, was sagt: „Ich höre“, ist das Ego (Ahamkara), der Teil des feinstofflichen Körpers, der die Handlung in Besitz nimmt.“

Es ist notwendig, dass der Geist ein Empfinden von Eigentümerschaft erzeugt, um eine Handlung zu initiieren und auszuführen. Dies ist jedoch lediglich eine weitere Modifikation des Geistes. Das Ego basiert auf dem Gedanken: „Ich sehe/höre/höre/denke/handle.“ Was bis dahin einfach ein unpersönlicher Mechanismus war, erhält nun den Stempel des „Ichs“. Die Dinge werden persönlich!

Das Ahamkara ist sowohl Segen als auch potenzieller Fluch. Aufgrund des Problems der Selbstverkennung hat dieser einfache Mechanismus das Potential, eine unglaubliche Menge an Leid für den Jiva zu schaffen.

III. Intellekt

Es gibt noch eine weitere Fähigkeit des feinstofflichen Körpers, die noch subtiler ist als die Sinne, der Geist und das Ego: den Intellekt.

Der Intellekt ist der Teil von dir, der in der Lage ist, all das abzuwägen, was du fühlst, denkst und erfährst. Der Intellekt bestimmt die geeignete Handlungsweise, nachdem er alle Faktoren berücksichtigt hat.

Man könnte den Intellekt als Teil eines Systems von Kontroll- und Ausgleichsmechanismen betrachten. Anstatt blindlings nach Gefühl zu handeln, wozu viele Menschen neigen, hilft dir der Intellekt, auf eine reifere Weise auf das Leben zu reagieren. Er ist in der Lage, das Gesamtbild zu sehen und aus vergangenen Erfahrungen zu lernen und hilft dir, das Leben mit größerer Intelligenz, Geschick und Vernunft zu meistern.

Er verkümmert wie ein Muskel, wenn er nicht trainiert wird. Wenn jemand durch das Leben geht und nur aufgrund von Impulsen und Emotionen handelt, ist sein Intellekt höchstwahrscheinlich unterentwickelt und sein Leben wird von Chaos und Stress geprägt sein.

Während die New-Age-Spiritualität Geist und Intellekt oft als irgendwie „unspirituell“ verunglimpft, vertritt der Vedanta die Ansicht, dass der Intellekt von entscheidender Bedeutung ist, um uns bei der Unterscheidung zwischen wahr und falsch zu helfen. Ohne eine solche Unterscheidung agieren wir weiterhin blindlings unsere Vasanas aus, was uns für immer an Samsara bindet.

Im Idealfall gibt der Intellekt, sobald er die von den Sinnen übermittelten Daten verstanden und die Zweifel des Geistes ausgeräumt hat, Anweisungen an das Ahamkara weiter. Nachdem es Gedanken, Gefühle und Handlungen in Besitz genommen hat, führt das Ego dann die entsprechenden Handlungen aus.


3. Der Kausalkörper

Wir haben bereits über Vasanas gesprochen, die durch Handlungen im Geist erzeugten unbewussten Prägungen, die uns dazu veranlassen, dieselben Handlungen in der Zukunft zu wiederholen oder zu vermeiden.

Diese psychischen Tendenzen, also unsere Vorlieben und Abneigungen in konkreter Form, werden im sogenannten Kausalkörper gespeichert.

Der dem Kausalkörper in moderner Sprache vielleicht am nächsten kommende Ausdruck ist Unterbewusstsein. Der Kausalkörper wird manchmal als der unmanifeste „Saatzustand“ bezeichnet, weil er die sich selbst vermehrenden „Samen“ enthält, die durch unsere vergangenen Gedanken und Handlungen gesät wurden. Diese Samen keimen später im feinstofflichen Körper als spezifische Gedanken und Impulse und schaffen die Veranlagung, auf bestimmte Weise zu handeln.

Abhängig von ihrer Natur können die Vasanas des Kausalkörpers entweder positiv oder negativ und bindend (zwingend) oder nicht bindend ( nicht zwingend) sein.

Positive Vasanas können zum Beispiel für unsere Natur und unser Wohlbefinden harmonische und gesunde Gedanken und Handlungen sein, wie die Gewohnheit, sich gesund zu ernähren, Sport zu treiben und jeden Tag zu meditieren.

Negative Gewohnheiten erzeugen entsprechend negative Vasanas, die uns ständig zu Handlungen zwingen, die vielleicht nicht förderlich für uns sind, wie z.B. übermäßiges Essen, Rauchen, Trinken, Prokrastination oder negatives Denken.

Ein nicht bindendes Vasana äußert sich als Vorliebe, während ein bindendes Vasana zu einem unaufhaltsamen Zwang oder einer Sucht wird.

Es ist unmöglich, psychisch frei zu werden, solange der Geist ständig von bindenden Vasanas gedrängt und gezerrt wird. Sie wühlen den Geist auf und stören ihn, und können dich dazu zwingen, Dharma in alle Richtungen zu verletzen, um das zu bekommen, wonach du dich sehnst. Deshalb ist es notwendig, alle bindenden Vasanas durch die stetige Praxis von Karma-Yoga in die nicht-bindende Variante umzuwandeln.

Die Glühbirnen-Metapher

Es gibt natürlich noch einen letzten Faktor in der Gleichung - der wichtigste von allen und das Eigentliche, was den Jiva-Apparat am Laufen hält.

Wir haben gerade den Körper-Geist-Sinnes-Komplex besprochen, aus dem grobstofflichen, feinstofflichen und kausalen Körper bestehend. Als wahrnehmbare Objekte fallen diese unter die Kategorie Mithya, was bedeutet, dass sie keine eigene, unabhängige Existenz haben. Sie sind für ihre geliehene Existenz auf einen anderen Faktor angewiesen.

Mithya, die abhängige Wirkung, kann niemals ohne Satya, die unabhängige Ursache, existieren - und diese ist das Selbst oder Gewahrsein/Bewußtsein.

Materie allein, ob grob- oder feinstofflich, ist leblos und nicht empfindungsfähig. Was sie zum Leben erweckt, ist das Licht des Selbst. Gewahrsein segnet diese Objekte mit Empfindungsfähigkeit, so wie die Sonne den Mond mit seinem reflektierten Licht beglückt. Was Körper und Geist funktionieren lässt, ist also das reflektierte Bewusstsein des Selbst.

Swami Paramarthananda verwendet die Analogie einer Glühbirne. Wir können uns vorstellen, dass Glühbirne und Glühfaden den grob- und feinstofflichen Körper des Jiva darstellen. Für sich genommen sind Glühbirne und Glühfaden inaktiv, leblos, und nicht in der Lage, Licht zu erzeugen. Es wird ein weiterer Faktor benötigt, das unsichtbare Prinzip, durch das die Glühbirne zu einer Lichtquelle wird: Elektrizität oder Strom.

Wie bei der Elektrizität gibt es einen unabhängigen Faktor, der den ansonsten leblosen Körper-Geist-Sinnes-Komplex durchdringt und ihm Leben verleiht.

So wie Elektrizität weiter existiert, wenn die Glühbirne kaputt ist, so ist dieses belebende Prinzip vom Zustand oder Verlust des Körpers unberührt. Der Körper mag weg sein, aber das Selbst kann nirgendwo hingehen. Es ist, wie wir bereits dargelegt haben, ohne Begrenzung und ohne Anfang oder Ende.

Ein letzter Punkt noch. Obwohl es Millionen von Glühbirnen geben mag, gibt es nur eine Elektrizität. In ähnlicher Weise ist das Selbst, obwohl es Milliarden von Jivas gibt, die von ihm durchdrungen, erleuchtet und mit Leben erfüllt werden, eins.

Du bist nicht die Person, die du zu sein glaubst

Bis Selbsterkenntnis vollständig verinnerlicht ist, bleibt dein Identifikationsgefühl naturgemäß an die Welt der Formen gebunden. Es ist irrigerweise an Körper, Geist, Intellekt sowie an deine Erinnerungen, Gedanken, Wünsche, Ängste, Nationalität, dein Alter, dein Geschlecht, deine Sexualität, deinen Reichtum oder deine Bildung und eine Reihe anderer Faktoren geknüpft.

Diese werden zu dir.

Sie erschaffen eine Geschichte davon, wer du zu sein glaubst; eine zu diesem Zweck erstellte Sammlung von Persönlichkeiten; eine Parade oft widersprüchlicher Identitäten, die von verschiedenen Wünschen, Sehnsüchten, Ängsten und Zielen zusammengehalten werden und alle um mentale Kapazität konkurrieren. Wenn ich dich frage, wer du bist, sagst du mir vielleicht: „Ich bin ein heterosexueller, republikanischer Arzt mittleren Alters aus Utah.“

Ein auf Mithya fixierter Geist ist immer von einem Gefühl der Unzulänglichkeit, des Mangels und der Begrenzung belastet. Dieses „Ich“ hat sich selbst begrenzt, indem es sich mit Formen und Gedanken identifiziert, und ein begrenztes Selbst ist für uns niemals akzeptabel.

In unserem Innersten spüren wir ein tiefes, brennendes Verlangen, ganz zu sein, vollständig zu sein, bestätigt zu werden, von anderen und im weiteren Sinne auch von uns selbst akzeptiert zu werden.

Dies ist das fundamentale „Jucken“ von Samsara, durch die Unwissenheit über die Tatsache verursacht, dass wir bereits vollständig und frei und vollkommen akzeptabel sind, wie wir sind.

In Maya herumzustöbern, nach Reichtum, Sicherheit und Vergnügen zu streben, kann niemals ein dauerhaftes Gefühl von Ganzheit vermitteln. Denn, wie wir gesehen haben, ist Objekt-Glück von Natur aus mit Unzufriedenheit und Schmerz verbunden.

Nur das Wissen, wer wir wirklich sind, kann dauerhaft Vollständigkeit und Frieden bringen. Es geht auch nicht darum, uns irgendetwas hinzuzufügen. Alles, was hinzugefügt werden kann, kann auch wieder weggenommen werden.

Freiheit ist das Erkennen der Ganzheit und des Glücks, das immer schon als unsere innerste Natur da war, aber uns bisher durch Unwissenheit verborgen blieb.


Befreiung

Swami Dayandana sagt:

„Für die Weisen gibt es kein anderes Ziel als Brahman (das Selbst), das sie bereits sind.“

Die Weisen erlangen Befreiung nicht dadurch, dass sie die Maya-Welt ihren Wünschen entsprechend beeinflussen, sondern dadurch, dass sie ihre Selbstidentifikation vom begrenzten Jiva auf das grenzenlose Selbst verlagern.

Während eine solche Seele weiterhin in dieser Welt lebt und funktioniert, ist die Dualität durch Negation zerstört, durch Wissen.

Erleuchtung ist das verinnerlichte Wissen, dass man weder Körper noch Geist ist, sondern das diese Dinge erleuchtende reine Bewusstsein, während Körper und Geist weiterhin wie von Ishvara programmiert funktionieren.

Während Körper und Geist als Mithya-Objekte endlich sind und allen Arten von Begrenzungen unterliegen, ist Bewusstsein ohne Anfang und ohne Ende und bleibt von allem in der phänomenalen Welt unberührt und unveränderlich.

Wenn dieses Wissen vollständig verwirklicht ist, wird Samsara zerstört und Befreiung erlangt.

Der Jnani (jemand, der von Samsara befreit ist) weiß, dass alles in der Existenz nur das Selbst ist, nur Bewusstsein. Er sieht das Selbst überall, in allen Dingen: als das, was makellos rein ist, ewig leuchtet und von nichts in dieser Welt berührt wird.

Es ist erwähnenswert, dass, obwohl die Weisen das Selbst in allen sehen, sie nicht alle gleich behandeln.

In seinem klassischen Text, Aparokshanubhuti, sagt Shankara, dass die Weisen keinen Unterschied zwischen einem Klumpen Gold und den Ausscheidungen einer Krähe sehen. Beides sind Objekte, die in Bewusstsein erscheinen, und beide leiten ihre Existenz vom Selbst ab. Das bedeutet jedoch nicht, dass ein Jnani beide Objekte auf dieselbe Weise behandeln würde. Nur ein Idiot würde einen Klumpen Krähendreck zur Bank bringen und versuchen, ihn in Geld zu tauschen!

Der Jnani verliert nicht die Fähigkeit, mit der materiellen Welt umzugehen. Solange sein Körper besteht, muss er immer noch nach den Regeln der erfahrungsmäßigen Realität spielen. Wie jeder Mensch muss er essen, schlafen, den Körper versorgen und vielleicht arbeiten oder sich um verschiedene Verpflichtungen kümmern.

Allerdings weiß er, dass es nur scheinbare Handlungen sind.

Obwohl das Selbst dank Maya als ein Universum vermeintlich getrennter Formen erscheint, ist es frei von Begrenzungen. Da das Selbst einer anderen Ordnung der Realität angehört, ist es von der Welt der Materie und den subtilen Kräften, die Handlung und Erfahrung bestimmen, unbeeinflusst.

Befreit vom Gefühl des Samsari, etwas zu tun und zu besitzen, wissen die Erleuchteten, dass Karma und seine Ergebnisse nur Geist und Körper betreffen, niemals aber das Selbst.

Dadurch, dass der Jnani dieses Wissen besitzt und sich selbst in allen Wesen sieht, ist er von Begrenzungen befreit. Selbst mitten in der Welt der Vielfältigkeit sieht er nichts als das eine universelle Bewusstsein.

Befreit von der Identifikation mit der Form, gibt es letztlich überhaupt keinen Jiva, sondern nur das Selbst, und das ist die höchste Befreiung.

So wie die Welle durch das Wissen befreit wird, dass sie nichts anderes als der mächtige Ozean ist, wird der Jiva durch das Wissen Aham Brahmasmi befreit: „Ich bin das unsterbliche, ewige Selbst.“.

(Der nächste Artikel in dieser Serie wird sich mit dem Thema Handlung und Handlungslosigkeit, den drei Ordnungen der Wirklichkeit und der Frage des freien Willens beschäftigen)