Also, was ist Erleuchtung?
Ein echtes Problem ist, dass sich die meisten Menschen nicht
einmal einig sind, was Erleuchtung überhaupt ist.
Obwohl es vielerorts diskutiert wird, ist dies häufig reine
Zeitverschwendung. Eine sachlich fundierte Diskussion ist
unmöglich, wenn so gut wie jeder eine andere Vorstellung von
Erleuchtung hat.
In Ermangelung einer schlüssigen, logischen Definition sind
Menschen anfällig für Fehlvorstellungen, die einer Überprüfung
nicht standhalten. Hinzu kommen magisches Denken und alle Arten
von Projektionen.
Aus diesem Grund scheint kaum jemand jemals Erleuchtung zu
erreichen. Das ist durchaus verständlich. Es ist
unwahrscheinlich, dass du ein Ziel erreichst, wenn du nicht
vorher eine klare Vorstellung davon hast, wohin es geht und wie
du dorthin gelangst.
Erleuchtung bedeutet für manche Menschen, die sich
wahrscheinlich zu viele Superheldenfilme ansehen, eine Art
übermenschlicher Zustand voller magischer Kräfte.
New-Age-Jünger verstehen unter Erleuchtung den „Aufstieg“, bei
dem die Atome des Körpers in Licht verwandelt werden.
Im Yoga versteht man darunter die „Verschmelzung“ des Egos mit
dem höheren Selbst oder das Erlangen höherer
Bewusstseinszustände.
Bei den Buddhisten versteht man darunter im Allgemeinen
Nirwana, einen Zustand ohne Gedanken oder Wünsche.
Taoisten sprechen davon, einen Lichtkörper zu erschaffen, durch
den sie unsterblich werden können.
Für andere Menschen bedeutet es die Zerstörung des Egos oder
einen Zustand, in dem sie sich vollständig im „Jetzt“
befinden.
Einige Lehrer sagen, der Verstand könne Erleuchtung nicht
verstehen, deshalb könne niemand darüber sprechen (und
verlangen dann große Summen Geld von Menschen, damit sie sie
nicht darüber sprechen hören!) Das ist eine Ausrede erster
Klasse und ist normalerweise der Standpunkt von Lehrern, die
selbst keine Ahnung haben.
Damit Erleuchtung überhaupt etwas bedeutet, braucht es eine
klare Definition, und zwar eine, die möglichst sinnvoll
ist.
Und genau da kommt Vedanta ins Spiel.
Vedanta, die herausdestillierte Essenz der alten Veden, ist der
Großvater der Erleuchtungstraditionen. Vorausgesetzt, er wird
sachgemäß gelehrt, bietet Vedanta eine klare und logische
Definition von Erleuchtung und die Mittel, sie zu erreichen. Da
ich praktisch jede andere Lehre irgendwann einmal studiert
habe, kann ich ehrlich behaupten, dass von allen Lehren Vedanta
einer wirklichen Wissenschaft des Bewusstseins und der
Erleuchtung am nächsten kommt.
Um dies zu überprüfen, muss man es natürlich
ausprobieren.
Vedanta gibt es bereits Tausende von Jahren. Er hat aus einem
einfachen Grund eine so lange Zeit überdauert: Er funktioniert.
Er leistet das, was auf dem Etikett steht. Seit Jahrtausenden
erleuchtet er Menschen. Mit bemerkenswerter Ausführlichkeit,
Klarheit und Schlüssigkeit bietet Vedanta nicht weniger als
einen Fahrplan zur Freiheit.
Nebenbei bemerkt: Der Name des Spiels lautet Freiheit.
Der Ausdruck „Erleuchtung“ ist nicht sehr hilfreich, weil er,
wie das Wort „Gott“, zu viel Ballast mit sich bringt. Er ist im
Laufe der Geschichte stark missbraucht worden.
Im Vedanta lautet der Ausdruck für Erleuchtung Moksha, was
Befreiung bedeutet. Und genau das ist Erleuchtung: Befreiung
vom Leiden.
Am Anfang dieser Artikelserie habe ich die Natur dieses Leidens
ausführlich dargelegt.
Das grundlegende, existentielle Leiden der Menschheit wird
Samsara genannt.
Samsara ist in allen Menschen grundsätzlich gleich und wird als
ein tiefes, quälendes Gefühl von Mangel, Unzulänglichkeit und
Begrenzung erfahren. Dieses Gefühl von Mangel frisst uns auf,
motiviert jede unserer Handlungen und führt zu einem
fortwährenden Kreislauf von Streben, Suchen, Frustration und
Schmerz.
Das Gefühl, ein begrenztes, unzulängliches Selbst zu sein -
eine durch Unkenntnis unserer wahren Natur verursachte
Fehlannahme - ist die eigentliche Wurzel unseres Leidens.
Weil ein solches Selbst für uns absolut unannehmbar ist,
verbringen wir unser Leben damit, ständig Objekten und
Erfahrungen nachzujagen, von denen wir vergeblich glauben, dass
sie uns Freiheit bringen: Dinge, durch die wir uns mit uns
selbst besser fühlen, die das Gefühl des Mangels und der
Begrenzung von uns nehmen.
Die einzig wahre Freiheit entsteht jedoch dadurch, dass wir
diese falsche Vorstellung von unserer eigenen grundlegenden
Natur in Frage stellen.
Solange dein Verstand auf die Welt der Form fixiert bleibt,
bildet das Ahamkara, oder Ego, den Mittelpunkt deiner
Identität.
Wir sind uns alle bewusst, dass wir existieren, dass wir sind.
Die Frage ist, worauf wir diesen „ Ich-Gedanken“ beziehen. Ich
weiß, dass ich bin, aber was bin ich?
Solange der Verstand sich des Selbst nicht bewusst ist,
identifiziert er sich mit Mithya, der Welt der Form.
Daher bezieht sich deine Selbst-Identifikation auf Körper,
Geist, Intellekt und auf deine Erinnerungen, Gedanken, Wünsche,
Ängste, Nationalität, Alter, Geschlecht, Sexualität, den Grad
deines Wohlstands oder deiner Bildung und so weiter. Diese
werden zu dir.
Du erschaffst eine Geschichte davon, wer du zu sein glaubst. Es
ist eine temporäre Sammlung von Figuren, eine Parade von oft
widersprüchlichen Identitäten, zusammengehalten von Wünschen,
Sehnsüchten, Ängsten und Zielen, die alle um deine mentale
Kapazität konkurrieren.
Wenn ich dich frage, wer du bist, sagst du womöglich: „Ich bin
ein heterosexueller, verheirateter, republikanischer Arzt
mittleren Alters aus Utah.“
Ein auf Mithya fixierter Verstand ist immer durch ein Gefühl
der Unzulänglichkeit, des Mangels und der Einschränkung
belastet.
Das liegt daran, dass das „Ich“ sich selbst begrenzt hat, indem
es sich mit Formen und Gedanken identifiziert - und ein
begrenztes Selbst ist für uns niemals akzeptabel.
In unserem Herzen verspüren wir den tiefen, drängenden Wunsch,
vollständig zu sein. Wir wollen vollkommen sein, wertgeschätzt
werden, von anderen und dadurch auch von uns selbst akzeptiert
werden. Dies ist der elementare „Juckreiz“ von Samsara, der
durch die Unkenntnis der Tatsache verursacht wird, dass wir
bereits vollkommen und vollständig und absolut so akzeptabel
sind, wie wir sind.
In Maya herumzubuddeln, nach Reichtum, Sicherheit und Vergnügen
zu streben, kann niemals ein Gefühl der Ganzheit vermitteln.
Denn, wie wir gesehen haben, ist das Glück durch Objekte immer
mit Unzufriedenheit und Schmerz verbunden.
Nur das Wissen um unser Selbst, darum, wer wir wirklich sind,
kann wahre Vollkommenheit und dauerhaftes Glück bringen.
Bei dieser Vollkommenheit und Glückseligkeit geht es nicht
darum, dass wir uns selbst etwas hinzufügen. Wenn etwas
hinzugefügt wird, kann es auch wieder genommen werden.
Es ist einfach die Erkenntnis der Vollkommenheit, die immer da
war. Sie ist unsere innerste Natur, die zuvor durch Maya oder
Avidya (Unwissenheit) vor uns verborgen wurde. Der
geistesabwesende Professor wird schließlich wieder mit dem Hut
„vereint“, der die ganze Zeit über auf seinem Kopf saß.
„Für die Weisen“, sagt Swami Dayananda, „gibt es kein anderes
Ziel als Brahman (das Selbst), der sie bereits sind.“
Der Jnani (befreite Seele) erreicht die Befreiung vom Leiden
nicht dadurch, dass er die Maya-Welt nach seinen Vorstellungen
gestaltet, sondern indem er seine Selbstidentifikation, seinen
Ich-Gedanken, vom begrenzten Jiva zum grenzenlosen Selbst
verschiebt.
Das ist Erleuchtung.
„Wie zwei goldene Vögel, die auf demselben Baum sitzen, bewohnen intime Freunde, das Ego und das Selbst, den Körper. Ersteres verzehrt die süßen und sauren Früchte des Lebensbaums, während das zweite unbeteiligt zuschaut.“
Mundaka Upanishad
Wie wir im letzten Artikel „Was ist das Selbst?“ gesehen haben,
enthüllt Vedanta im Widerspruch zu unseren grundlegendsten
Annahmen darüber, wer wir sind, die Natur des Selbst als
vollständige Fülle und Grenzenlosigkeit.
Nicht durch die Grenzen von Körper und Geist eingeschränkt, ist
das Selbst reines Gewahrsein. Es ist ewig, unsterblich, immer
in Sicherheit und unberührbar von jeglichem Kummer oder
Leid.
Der Körper-Geist-Sinnes-Komplex oder der Jiva (die Person, für
die wir uns halten) ist nur eine Überlagerung, die keine eigene
unabhängige Realität hat.
Die vedantische Selbst-Erforschung offenbart durch einen
Prozess der Negation, dass wir weder der Körper noch der Geist
sein können.
Wie die Bhagavad Gita deutlich macht, gibt es nur zwei
Kategorien: das Feld der Objekte und den Wissenden um dieses
Feld. Alles, was uns bekannt ist, ist ein Objekt. Derjenige,
der das Objekt kennt, um das Objekt weiß, kann nicht das Objekt
sein.
Der Körper ist uns als Objekt bekannt, ebenso wie der
Verstand/Geist, der Intellekt, das Ego und die Sinnesorgane.
Das Selbst kann daher nicht einer dieser einzelnen Bestandteile
sein. Es ist der Wissende aller Objekte und kann selbst nicht
objektiviert, vergegenständlicht, werden.
Dieses Selbst ist reines Gewahrsein, die
unveränderliche Leinwand, auf die die gesamte phänomenale Welt
wie eine Fata Morgana projiziert wird. Dieses Gewahrsein ist
alles durchdringend, ungeteilt und unteilbar.
In der Gita sagt Krishna: „Das Selbst wurde nie
geboren, deshalb kann es nie sterben. Während Körper sterben,
abgelegt wie verschlissene alte Kleider, nimmt das Selbst
einfach neue Körper an. Es ist allgegenwärtig und
unveränderlich, es ist ohne Anfang und Ende.“
Wenn das Selbst grenzenlos und von allem in dieser Welt
unberührt ist - und du dieses Selbst BIST - dann war dein
Gefühl von Mangel, Unzulänglichkeit und Bedürftigkeit schon
immer unberechtigt.
Es beruhte auf der Unkenntnis deiner Natur.
Wenn du dich selbst als Körper betrachtest, der dem Zahn der
Zeit, Verletzungen, Krankheit und Tod unterworfen ist, wirst du
von Begrenztheit geplagt. Krishna macht jedoch deutlich: „Du
trauerst um etwas, das Trauer nicht rechtfertigt“.
Das Erwachen der Selbsterkenntnis, die Erkenntnis, dass du von
Natur aus frei, selbst-strahlend und die Quelle deines eigenen
unbegrenzten Glücks bist, ist das Licht, das das dunkle Leiden
der Unwissenheit vertreibt.
Da die Weisen wissen, dass das Selbst immer erfüllt und
vollständig ist, suchen sie Fülle nicht mehr in der sich
ständig verändernden Welt der Objekte. Dies zu tun wäre
töricht, weil das Glück aus Objekten immer mit Risiken behaftet
ist.
Alles in Mithya ist in ständiger Bewegung, was bedeutet, dass
weltliche Freuden immer endlich sind.
Krishna warnt, dass all diese Freuden „einen Anfang und ein
Ende haben und unweigerlich Schmerz verursachen“.
Wie Rosen verführen weltliche Freuden mit ihrer Schönheit und
ihrem Duft, aber sie sind immer mit Dornen verbunden.
Der Freude über durch Objekte hervorgerufenes Glück
stehen drei Arten von Schmerz gegenüber: der mit dem Erwerb
verbundene Schmerz, der mit dem Bewahren verbundene Schmerz und
der mit dem Verlust verbundene Schmerz.
Jeder Schmerz ist schlimmer als der
vorhergehende und macht alle weltlichen Freuden bestenfalls
bittersüß. Vorübergehendes Glück, oder Glück, das durch Leid
wieder aufgehoben wird, ist kein wirkliches Glück.
Da manche Menschen wissen, dass Objekte genauso viel Schmerz
wie Glück bringen, versuchen sie, sich komplett von Objekten
abzuwenden. Aber das kann seine eigene Art von Leiden mit sich
bringen. Das bewusste Vermeiden von Beziehungen zum Beispiel
kann den in Anhaftung und Liebeskummer liegenden Schmerz
verhindern, aber dieses Vermeiden kann zu Einsamkeit, Reue und
Depressionen führen.
Es führt kein Weg an der Tatsache vorbei, dass das Leben ein
Nullsummenspiel ist. Das Streben nach Ganzheit und Glück in der
unberechenbaren und auf Dualität beruhenden transaktionalen
Welt ist offensichtlich eine unkluge Strategie.
Somit besteht die Lösung darin, Glück und
Vollständigkeit in deinem eigenen Selbst zu finden, das
grenzenlos, makellos, immer frei und immer geborgen ist.
Wenn du weißt, dass das Selbst Purnah
ist, d.h. voll oder ganz, bist du nicht mehr länger davon
abhängig, dass die Welt der Objekte dich erfüllt, genauso wenig
wie der Ozean für seine Fülle zu den Flüssen schaut. Flüsse
können nur solches Wasser führen, das von Anfang an zum Ozean
gehörte. Ob die Flüsse fließen oder nicht, der Ozean bleibt
immer voll.
In ähnlicher Weise bleibt die essentielle Vollkommenheit des
Selbst ungeschmälert, unabhängig von Erfahrungen, die kommen
und gehen.
Ein unterscheidungsfähiger Mensch, der die Beschränktheit des
Glücks durch Objekte versteht, sucht Glück, das nicht
vergeht.
Wenn man den Verstand beherrscht, wird man sich der
Glückseligkeit bewusst, die die Natur des Selbst ausmacht. Nur
im Selbst findest du dauerhafte Zufriedenheit, eine
unveränderliche Vollständigkeit und Erfüllung, ohne Anfang und
Ende.
Daher erreichst du Freiheit von der Abhängigkeit von der
Formenwelt, wenn du statt Objekt-Glück Selbst-Glück
anstrebst.
Der Jnani (befreite Seele) weiß, dass alles, was existiert, das
Selbst ist - allein Bewusstsein ist. Er sieht das Selbst
überall, in allen Dingen, als Das, was ewig rein und ewig
leuchtend ist. Er bleibt von allem in dieser Welt unberührt, so
wie der Lotus von dem Wasser unberührt ist, auf dem er
ruht.
Ein solcher Mensch verliert nicht die Fähigkeit in der
materiellen Welt zu handeln. Solange der Körper existiert, muss
auch die befreite Seele nach den Regeln der transaktionalen
Realität spielen. Sie oder er muss immer noch essen, schlafen,
leben und sich um den Körper kümmern. Und vielleicht muss sie
arbeiten oder verschiedenen Verpflichtungen nachkommen.
Dabei ist allerdings klar, dass Handeln nur ein scheinbares
Handeln ist. Obwohl das Selbst dank des Upadhi von Maya als ein
Universum vermeintlich getrennter Formen erscheint, ist es frei
von jeglichem Gefühl der Begrenzung. Da es einer anderen
Ordnung der Wirklichkeit angehört, ist es unbeeinflusst von der
materiellen Welt und den subtilen Kräften, die Handlung und
Erfahrung bewirken.
Der Jnani ist also von jeder Begrenztheit befreit, wenn er
dieses Wissen besitzt und sich selbst als das Selbst in allen
Wesen begreift. Auch inmitten der Welt der Vielheit sieht er
nichts als das Selbst. Er weiß, dass sich Karma und seine
Folgen nur auf Geist und Körper beziehen und niemals auf das
Selbst.
Frei von der Identifikation mit Formen gibt es überhaupt keinen
Jiva (Person) mehr, sondern nur noch das Selbst, und das ist
die höchste Befreiung. So wie die Welle befreit wird, indem sie
weiß, dass sie nichts anderes ist als der mächtige Ozean, so
wird der Jiva durch das Wissen von Aham Brahmasmi befreit: „Ich
bin das unsterbliche, grenzenlose, ewige Selbst“.
Es muss betont werden, dass es bei Moksha nicht um das
Erreichen bestimmter Erfahrungszustände geht.
Der menschliche Geist hungert nach Erfahrungen. Er ist ewig auf
der Suche nach Höhepunkten. Viele aufrichtige spirituelle
Sucher werden von dem Irrglauben geleitet, dass Erleuchtung dem
Erreichen bestimmter Bewusstseins- oder Erfahrungszustände
gleichkommt.
Dies ist eine der Kehrseiten des Yoga-Konzepts. Yoga
präsentiert Erleuchtung als eine weitere Erfahrung - eine
bessere Erfahrung – als die Erfahrung, die alle Erfahrungen
beendet!
Während der Materialist Genuss und Glückseligkeit durch
Manipulation der Objekte der äußeren Welt anstrebt, bemüht sich
ein Yogi / eine Yogini um Genuss und Glückseligkeit, indem er
oder sie die inneren Objekte ihres oder seines Geistes
manipuliert. Beide suchen einen auf Erfahrung beruhenden
Zustand von Genuss.
Wir dürfen nicht vergessen, dass alle Zustände und Erfahrungen
Mithya sind. Wie jedes erfahrbare Objekt sind solche
Erfahrungen begrenzt und zeitgebunden. Selbst der höchste
Zustand spiritueller Verzückung bleibt immer noch lediglich
Mithya. Und egal, wie wundervoll er sich auch anfühlt, er
dauert nie an.
Deshalb ist das Verfolgen spiritueller Erfahrungen ebenso wenig
ein Weg, Befreiung zu erlangen, wie das Verfolgen weltlicher
Objekte. Das Anhaften an spirituellen Zuständen und
'Erleuchtungserfahrungen' wird, wie jede Anhaftung, zu Raga,
Shoka und Moha (Verlangen, Kummer und Verblendung) führen und
so das samsarische Leiden aufrechterhalten.
Eine weitere Gefahr liegt darin, Erleuchtung zu einem Ideal zu
machen. Ein Ideal davon zu haben, wie eine erleuchtete Person
sei, und dann zu versuchen, diesem Ideal gerecht zu werden,
wird nicht zur Befreiung führen. Es kann jedoch dazu führen,
dass man sich in einem raffinierteren und 'vergeistigten'
egoistischen Selbstkonzept verliert.
Erleuchtung ist nicht etwas, das man sich aneignen oder sich
hinzufügen muss. Du kannst nichts tun, um frei zu 'werden'.
Moksha ist keine Frage des Werdens.
Vedanta enthüllt, dass du bereits frei bist. Du bist
bereits das Selbst, unsterblich, ewig und alles durchdringend.
Dein Problem ist schlicht mangelndes Wissen darüber, wer du
bist.
Daher ist es allein Wissen, das dich befreit,
indem es die Barrieren beseitigt, die verhindern, dass du
Freiheit als deine Natur erkennst.
In der Bhagavad Gita beschreibt Krishna eine
selbstverwirklichte Person sehr anschaulich. Nicht damit wir
versuchen, eine solche Person nachzuahmen oder zu imitieren,
sondern, unter anderem, um uns zu dem Entschluss zu
inspirieren, unseren Geist zu reinigen und Selbsterkenntnis zu
erlangen.
Durch das Wissen, wie die selbstverwirklichte Person sich
verhält und auf das Leben reagiert, haben wir eine Art Maßstab.
Es ist eine Möglichkeit, unseren eigenen Fortschritt bei der
Verinnerlichung des Wissens um unsere wahre Natur als
Gewahrsein zu beurteilen.
Krishna sagt, dass die erleuchtete Seele, nachdem sie ihren
Verstand gemeistert hat, ein friedvolles Herz hat und „frei von
der Angst ist, immer etwas erwerben und hüten zu müssen“.
Frei von bindenden Wünschen, ist sie allein mit sich selbst
zufrieden. Welche größere Freiheit als diese könnte es
geben?
Weil ihr Herz immer voll ist, werden die Weisen nicht mehr von
Widrigkeiten erschüttert und sind nicht mehr auf irgendetwas
Äußeres für ihr Glück angewiesen.
Sie bewegen sich in der Welt so frei wie Luft, ohne jegliches
Gefühl von Begrenzung, Angst und Begierde. Das ist die
Glückseligkeit der Selbsterkenntnis: die Befreiung durch die
Erkenntnis, dass das eigene wahre Selbst frei von Fesseln und
die Quelle aller Freude ist.
Krishna erklärt auch, dass die selbstverwirklichte Person
„allen Wünschen, sobald sie im Verstand erscheinen,
entsagt“.
Dies verdeutlicht, dass Erleuchtung nicht irgendein
übermenschlicher Zustand ist, in dem alle Gedanken, Wünsche und
das Empfinden von Dualität gänzlich verschwinden.
Der Jivan-Muktah hat immer noch einen Körper und ein Gemüt, und
dieser Körper und dieses Gemüt funktionieren weiterhin wie
zuvor. Wünsche werden entsprechend der früheren Konditionierung
entstehen. Der Wissende um das Selbst ist jedoch für sein Glück
nicht mehr von äußeren Faktoren abhängig.
Das Verlangen ist nicht länger bindend. Es zwingt nicht zum
Handeln. Vorbei ist der Zwang, weltlichen Objekten und
Vergnügungen nachzujagen oder sie zu bekommen. Der Erleuchtete
bezieht Glück und Freude allein aus dem Selbst.
Warum solltest du weiterhin Liebe und Glück in der sich ständig
verändernden und unberechenbaren Mithya-Welt suchen, wenn du
weißt, dass es eine grenzenlose Quelle der Liebe und des Glücks
in dir gibt?
Deshalb sagt Krishna: „Weltliches Verlangen endet, wenn die
Weisen ihre eigene essentielle Natur erkennen.“
Auch Furcht ist im Geist des Jnani nicht vorhanden. Furcht ist
ein Nebenprodukt der Dualität, des Gefühls, getrennt und
entfernt von allem anderen zu sein. Mit dem Wegfall des Gefühls
von Dualität beginnt sich die Angst im Licht der
Selbsterkenntnis aufzulösen.
Der Geist des Jnani bleibt leidenschaftslos, ruhig und stabil.
Eine solche Person ist, um einen christlichen Ausdruck zu
benutzen, „in dieser Welt, aber nicht von dieser Welt“.
Der Jnani ist natürlicherweise unterscheidungsfähig und nicht
an Resultate gebunden. Er nimmt das Gute und das Schlechte an
und schaut nicht mehr auf die äußere Welt, um sich zu
vervollständigen.
Eine ausweglose Verstrickung mit weltlichen Objekten ist das
Markenzeichen eines Samsaris. Wenn du aufgrund von
Selbstignoranz nicht weißt, dass Vollkommenheit deine Natur
ist, wird dieses Gefühl von Unvollständigkeit den Verstand dazu
zwingen, Erfüllung in äußeren Objekten zu suchen.
Kapitel zwei der Gita untersucht Samsara im Hinblick auf das
Anhaften an Objekten.
Das fortwährende Beschäftigen mit Sinnesobjekten
verursacht Anhaftung.
Anhaftung führt unweigerlich zu Verlangen.
Werbefachleute wissen genau: Wenn ein Kind ein
Spielzeug oft genug beworben sieht, beginnt es, dieses
Spielzeug haben zu wollen. Das Verlangen beginnt als ein leiser
Zündfunke, und je mehr man sich auf das Objekt fokussiert,
desto schneller wird dieser Funke zu einer Flamme. Wenn das
Kind seine Freunde mit diesem Spielzeug spielen sieht, steigert
sich sein Verlangen bis hin zu einem wütenden Inferno.
Verlangen kommt nie allein. Es bringt viele Probleme mit sich,
egal ob es erfüllt oder verwehrt wird.
Wenn unsere Sehnsüchte nicht erfüllt werden, werden wir
wütend.
Um auf unser Beispiel zurückzukommen: Das Kind
wird wahrscheinlich einen Wutanfall bekommen, wenn seine Eltern
sagen, dass es das Spielzeug nicht haben darf.
Eine Konsequenz des Ärgers ist Verblendung und
Vergesslichkeit.
Wenn der Verstand durch Wut und Kummer
aufgewühlt ist, verlieren wir unsere wahre Natur aus den Augen,
sowie auch unsere Werte und Prioritäten. Im Fall des spirituell
Suchenden heißt das: Der Verstand wird zu aufgewühlt, um über
die Lehren zu kontemplieren, nachzudenken.
Wir beginnen aus Impulsen heraus zu handeln, wobei wir unsere
emotionale Erschütterung auf oft höchst dysfunktionale Weise
zum Ausdruck bringen.
Dies läuft auf nichts weniger als spirituellen Selbstmord
hinaus. Wir verlieren uns in einem Kreislauf materialistischer
Reaktivität, was unser grundlegendes Gefühl von Mangel und
Unvollständigkeit weiter verstärkt.
Selbstkontemplation wird dann unmöglich und Befreiung
unerreichbar. Krishna erklärt, dass wir wie ein Schiff würden,
das vom Kurs abkommt, auf See verloren geht und hilflos von den
tobenden Wellen Samsaras umher gewirbelt wird.
Die Lösung für dieses Problem wird in der Gita mehrfach
wiederholt:
„Meistere deine Sinne! Benutze Unterscheidungsvermögen und fokussiere deinen Geist auf dein wahres Ziel. Nur Erkenntnis, die vollständige Weisheit des Selbst, wird dich befreien.“
Wenn sich dein Standpunkt vom Ego zum Selbst hin verlagert,
werden Probleme, die vorher unüberwindbar schienen - wie z. B.
Alter, Krankheit, familiäre oder finanzielle Probleme -
plötzlich genauso unbedeutend, wie auch der furchterregendste
Traum nach dem Aufwachen seinen Schrecken verliert.
Alle deine Probleme werden durch Unwissenheit über deine wahre
Natur verursacht. Sie können gelöst werden, indem du deine
Identifikation von Mithya zu Satya, vom Jiva (Ego) zum Selbst
(Gewahrsein) verschiebst. Das ist Erleuchtung.
Das bedeutet nicht, dass die materiellen Probleme verschwinden
werden, aber es bedeutet, dass sie ihre alles verzehrende
Wichtigkeit verlieren.
Moksha ist die Fähigkeit, die Stürme des Lebens zu überstehen
und glücklich zu sein, unabhängig davon, ob äußere Umstände
deinen Erwartungen entsprechen oder nicht. Deine Vorlieben und
Abneigungen sind dann nur noch Vorlieben und keine zwingenden
Anhaftungen mehr. Die Selbstverwirklichten haben ganz natürlich
eine objektive Sicht auf das Leben und sind von der Welt der
Objekte emotional unabhängig.
Nur indem du diesen Wechsel vollziehst, von der Abhängigkeit
von der Welt zur Abhängigkeit vom Selbst, findest du wahre
Freiheit im Leben.
„Solange du denkst, dass du das Ego bist, leidest du unter Anhaftung und endlosem Kummer. Aber wenn du erkennst, dass du das Selbst bist, grenzenloses Bewusstsein, bist du von Kummer befreit. Wenn du erkennst, dass du das Selbst bist, die höchste Quelle der Liebe, transzendierst du die Dualität des Lebens und genießt den Einheitszustand der Nicht-Dualität.“
-Mundaka Upanishad