Teil 7: Die Wahrheit über Erleuchtung

EINFÜHRUNG IN VEDANTA (RORY MACKAY)

 Teil 7: Die Wahrheit über Erleuchtung 



Also, was ist Erleuchtung?

Ein echtes Problem ist, dass sich die meisten Menschen nicht einmal einig sind, was Erleuchtung überhaupt ist.

Obwohl es vielerorts diskutiert wird, ist dies häufig reine Zeitverschwendung. Eine sachlich fundierte Diskussion ist unmöglich, wenn so gut wie jeder eine andere Vorstellung von Erleuchtung hat.

In Ermangelung einer schlüssigen, logischen Definition sind Menschen anfällig für Fehlvorstellungen, die einer Überprüfung nicht standhalten. Hinzu kommen magisches Denken und alle Arten von Projektionen.

Aus diesem Grund scheint kaum jemand jemals Erleuchtung zu erreichen. Das ist durchaus verständlich. Es ist unwahrscheinlich, dass du ein Ziel erreichst, wenn du nicht vorher eine klare Vorstellung davon hast, wohin es geht und wie du dorthin gelangst.


Unterschiedliche Vorstellungen von Erleuchtung

Erleuchtung bedeutet für manche Menschen, die sich wahrscheinlich zu viele Superheldenfilme ansehen, eine Art übermenschlicher Zustand voller magischer Kräfte. New-Age-Jünger verstehen unter Erleuchtung den „Aufstieg“, bei dem die Atome des Körpers in Licht verwandelt werden.

Im Yoga versteht man darunter die „Verschmelzung“ des Egos mit dem höheren Selbst oder das Erlangen höherer Bewusstseinszustände.

Bei den Buddhisten versteht man darunter im Allgemeinen Nirwana, einen Zustand ohne Gedanken oder Wünsche.

Taoisten sprechen davon, einen Lichtkörper zu erschaffen, durch den sie unsterblich werden können.

Für andere Menschen bedeutet es die Zerstörung des Egos oder einen Zustand, in dem sie sich vollständig im „Jetzt“ befinden.

Einige Lehrer sagen, der Verstand könne Erleuchtung nicht verstehen, deshalb könne niemand darüber sprechen (und verlangen dann große Summen Geld von Menschen, damit sie sie nicht darüber sprechen hören!) Das ist eine Ausrede erster Klasse und ist normalerweise der Standpunkt von Lehrern, die selbst keine Ahnung haben.

Damit Erleuchtung überhaupt etwas bedeutet, braucht es eine klare Definition, und zwar eine, die möglichst sinnvoll ist.

Und genau da kommt Vedanta ins Spiel.

Vedanta, die herausdestillierte Essenz der alten Veden, ist der Großvater der Erleuchtungstraditionen. Vorausgesetzt, er wird sachgemäß gelehrt, bietet Vedanta eine klare und logische Definition von Erleuchtung und die Mittel, sie zu erreichen. Da ich praktisch jede andere Lehre irgendwann einmal studiert habe, kann ich ehrlich behaupten, dass von allen Lehren Vedanta einer wirklichen Wissenschaft des Bewusstseins und der Erleuchtung am nächsten kommt.

Um dies zu überprüfen, muss man es natürlich ausprobieren.

Vedanta gibt es bereits Tausende von Jahren. Er hat aus einem einfachen Grund eine so lange Zeit überdauert: Er funktioniert. Er leistet das, was auf dem Etikett steht. Seit Jahrtausenden erleuchtet er Menschen. Mit bemerkenswerter Ausführlichkeit, Klarheit und Schlüssigkeit bietet Vedanta nicht weniger als einen Fahrplan zur Freiheit.


Erleuchtung ist Befreiung vom Leiden

Nebenbei bemerkt: Der Name des Spiels lautet Freiheit.

Der Ausdruck „Erleuchtung“ ist nicht sehr hilfreich, weil er, wie das Wort „Gott“, zu viel Ballast mit sich bringt. Er ist im Laufe der Geschichte stark missbraucht worden.

Im Vedanta lautet der Ausdruck für Erleuchtung Moksha, was Befreiung bedeutet. Und genau das ist Erleuchtung: Befreiung vom Leiden.

Am Anfang dieser Artikelserie habe ich die Natur dieses Leidens ausführlich dargelegt.

Das grundlegende, existentielle Leiden der Menschheit wird Samsara genannt.

Samsara ist in allen Menschen grundsätzlich gleich und wird als ein tiefes, quälendes Gefühl von Mangel, Unzulänglichkeit und Begrenzung erfahren. Dieses Gefühl von Mangel frisst uns auf, motiviert jede unserer Handlungen und führt zu einem fortwährenden Kreislauf von Streben, Suchen, Frustration und Schmerz.

Das Gefühl, ein begrenztes, unzulängliches Selbst zu sein - eine durch Unkenntnis unserer wahren Natur verursachte Fehlannahme - ist die eigentliche Wurzel unseres Leidens.

Weil ein solches Selbst für uns absolut unannehmbar ist, verbringen wir unser Leben damit, ständig Objekten und Erfahrungen nachzujagen, von denen wir vergeblich glauben, dass sie uns Freiheit bringen: Dinge, durch die wir uns mit uns selbst besser fühlen, die das Gefühl des Mangels und der Begrenzung von uns nehmen.

Die einzig wahre Freiheit entsteht jedoch dadurch, dass wir diese falsche Vorstellung von unserer eigenen grundlegenden Natur in Frage stellen.


Eine falsche Identität

Solange dein Verstand auf die Welt der Form fixiert bleibt, bildet das Ahamkara, oder Ego, den Mittelpunkt deiner Identität.

Wir sind uns alle bewusst, dass wir existieren, dass wir sind. Die Frage ist, worauf wir diesen „ Ich-Gedanken“ beziehen. Ich weiß, dass ich bin, aber was bin ich?

Solange der Verstand sich des Selbst nicht bewusst ist, identifiziert er sich mit Mithya, der Welt der Form.

Daher bezieht sich deine Selbst-Identifikation auf Körper, Geist, Intellekt und auf deine Erinnerungen, Gedanken, Wünsche, Ängste, Nationalität, Alter, Geschlecht, Sexualität, den Grad deines Wohlstands oder deiner Bildung und so weiter. Diese werden zu dir.

Du erschaffst eine Geschichte davon, wer du zu sein glaubst. Es ist eine temporäre Sammlung von Figuren, eine Parade von oft widersprüchlichen Identitäten, zusammengehalten von Wünschen, Sehnsüchten, Ängsten und Zielen, die alle um deine mentale Kapazität konkurrieren.

Wenn ich dich frage, wer du bist, sagst du womöglich: „Ich bin ein heterosexueller, verheirateter, republikanischer Arzt mittleren Alters aus Utah.“

Ein auf Mithya fixierter Verstand ist immer durch ein Gefühl der Unzulänglichkeit, des Mangels und der Einschränkung belastet.

Das liegt daran, dass das „Ich“ sich selbst begrenzt hat, indem es sich mit Formen und Gedanken identifiziert - und ein begrenztes Selbst ist für uns niemals akzeptabel.

In unserem Herzen verspüren wir den tiefen, drängenden Wunsch, vollständig zu sein. Wir wollen vollkommen sein, wertgeschätzt werden, von anderen und dadurch auch von uns selbst akzeptiert werden. Dies ist der elementare „Juckreiz“ von Samsara, der durch die Unkenntnis der Tatsache verursacht wird, dass wir bereits vollkommen und vollständig und absolut so akzeptabel sind, wie wir sind.

In Maya herumzubuddeln, nach Reichtum, Sicherheit und Vergnügen zu streben, kann niemals ein Gefühl der Ganzheit vermitteln. Denn, wie wir gesehen haben, ist das Glück durch Objekte immer mit Unzufriedenheit und Schmerz verbunden.

Nur das Wissen um unser Selbst, darum, wer wir wirklich sind, kann wahre Vollkommenheit und dauerhaftes Glück bringen.

Bei dieser Vollkommenheit und Glückseligkeit geht es nicht darum, dass wir uns selbst etwas hinzufügen. Wenn etwas hinzugefügt wird, kann es auch wieder genommen werden.

Es ist einfach die Erkenntnis der Vollkommenheit, die immer da war. Sie ist unsere innerste Natur, die zuvor durch Maya oder Avidya (Unwissenheit) vor uns verborgen wurde. Der geistesabwesende Professor wird schließlich wieder mit dem Hut „vereint“, der die ganze Zeit über auf seinem Kopf saß.

„Für die Weisen“, sagt Swami Dayananda, „gibt es kein anderes Ziel als Brahman (das Selbst), der sie bereits sind.“

Der Jnani (befreite Seele) erreicht die Befreiung vom Leiden nicht dadurch, dass er die Maya-Welt nach seinen Vorstellungen gestaltet, sondern indem er seine Selbstidentifikation, seinen Ich-Gedanken, vom begrenzten Jiva zum grenzenlosen Selbst verschiebt.

Das ist Erleuchtung.


Das Selbst ist der Wissende und nicht das Gewusste

„Wie zwei goldene Vögel, die auf demselben Baum sitzen, bewohnen intime Freunde, das Ego und das Selbst, den Körper. Ersteres verzehrt die süßen und sauren Früchte des Lebensbaums, während das zweite unbeteiligt zuschaut.“

Mundaka Upanishad

Wie wir im letzten Artikel „Was ist das Selbst?“ gesehen haben, enthüllt Vedanta im Widerspruch zu unseren grundlegendsten Annahmen darüber, wer wir sind, die Natur des Selbst als vollständige Fülle und Grenzenlosigkeit.

Nicht durch die Grenzen von Körper und Geist eingeschränkt, ist das Selbst reines Gewahrsein. Es ist ewig, unsterblich, immer in Sicherheit und unberührbar von jeglichem Kummer oder Leid.

Der Körper-Geist-Sinnes-Komplex oder der Jiva (die Person, für die wir uns halten) ist nur eine Überlagerung, die keine eigene unabhängige Realität hat.

Die vedantische Selbst-Erforschung offenbart durch einen Prozess der Negation, dass wir weder der Körper noch der Geist sein können.

Wie die Bhagavad Gita deutlich macht, gibt es nur zwei Kategorien: das Feld der Objekte und den Wissenden um dieses Feld. Alles, was uns bekannt ist, ist ein Objekt. Derjenige, der das Objekt kennt, um das Objekt weiß, kann nicht das Objekt sein.

Der Körper ist uns als Objekt bekannt, ebenso wie der Verstand/Geist, der Intellekt, das Ego und die Sinnesorgane. Das Selbst kann daher nicht einer dieser einzelnen Bestandteile sein. Es ist der Wissende aller Objekte und kann selbst nicht objektiviert, vergegenständlicht, werden.

Dieses Selbst ist reines Gewahrsein, die unveränderliche Leinwand, auf die die gesamte phänomenale Welt wie eine Fata Morgana projiziert wird. Dieses Gewahrsein ist alles durchdringend, ungeteilt und unteilbar.

In der Gita sagt Krishna: „Das Selbst wurde nie geboren, deshalb kann es nie sterben. Während Körper sterben, abgelegt wie verschlissene alte Kleider, nimmt das Selbst einfach neue Körper an.  Es ist allgegenwärtig und unveränderlich, es ist ohne Anfang und Ende.“

Wenn das Selbst grenzenlos und von allem in dieser Welt unberührt ist - und du dieses Selbst BIST - dann war dein Gefühl von Mangel, Unzulänglichkeit und Bedürftigkeit schon immer unberechtigt.

Es beruhte auf der Unkenntnis deiner Natur.

Wenn du dich selbst als Körper betrachtest, der dem Zahn der Zeit, Verletzungen, Krankheit und Tod unterworfen ist, wirst du von Begrenztheit geplagt. Krishna macht jedoch deutlich: „Du trauerst um etwas, das Trauer nicht rechtfertigt“.

Das Erwachen der Selbsterkenntnis, die Erkenntnis, dass du von Natur aus frei, selbst-strahlend und die Quelle deines eigenen unbegrenzten Glücks bist, ist das Licht, das das dunkle Leiden der Unwissenheit vertreibt.


Glück liegt allein im Selbst

Da die Weisen wissen, dass das Selbst immer erfüllt und vollständig ist, suchen sie Fülle nicht mehr in der sich ständig verändernden Welt der Objekte. Dies zu tun wäre töricht, weil das Glück aus Objekten immer mit Risiken behaftet ist.

Alles in Mithya ist in ständiger Bewegung, was bedeutet, dass weltliche Freuden immer endlich sind.

Krishna warnt, dass all diese Freuden „einen Anfang und ein Ende haben und unweigerlich Schmerz verursachen“.

Wie Rosen verführen weltliche Freuden mit ihrer Schönheit und ihrem Duft, aber sie sind immer mit Dornen verbunden.

Der Freude über durch Objekte hervorgerufenes Glück stehen drei Arten von Schmerz gegenüber: der mit dem Erwerb verbundene Schmerz, der mit dem Bewahren verbundene Schmerz und der mit dem Verlust verbundene Schmerz.

Jeder Schmerz ist schlimmer als der vorhergehende und macht alle weltlichen Freuden bestenfalls bittersüß. Vorübergehendes Glück, oder Glück, das durch Leid wieder aufgehoben wird, ist kein wirkliches Glück.

Da manche Menschen wissen, dass Objekte genauso viel Schmerz wie Glück bringen, versuchen sie, sich komplett von Objekten abzuwenden. Aber das kann seine eigene Art von Leiden mit sich bringen. Das bewusste Vermeiden von Beziehungen zum Beispiel kann den in Anhaftung und Liebeskummer liegenden Schmerz verhindern, aber dieses Vermeiden kann zu Einsamkeit, Reue und Depressionen führen.

Es führt kein Weg an der Tatsache vorbei, dass das Leben ein Nullsummenspiel ist. Das Streben nach Ganzheit und Glück in der unberechenbaren und auf Dualität beruhenden transaktionalen Welt ist offensichtlich eine unkluge Strategie.

Somit besteht die Lösung darin, Glück und Vollständigkeit in deinem eigenen Selbst zu finden, das grenzenlos, makellos, immer frei und immer geborgen ist.

Wenn du weißt, dass das Selbst Purnah ist, d.h. voll oder ganz, bist du nicht mehr länger davon abhängig, dass die Welt der Objekte dich erfüllt, genauso wenig wie der Ozean für seine Fülle zu den Flüssen schaut. Flüsse können nur solches Wasser führen, das von Anfang an zum Ozean gehörte. Ob die Flüsse fließen oder nicht, der Ozean bleibt immer voll.

In ähnlicher Weise bleibt die essentielle Vollkommenheit des Selbst ungeschmälert, unabhängig von Erfahrungen, die kommen und gehen.

Ein unterscheidungsfähiger Mensch, der die Beschränktheit des Glücks durch Objekte versteht, sucht Glück, das nicht vergeht.

Wenn man den Verstand beherrscht, wird man sich der Glückseligkeit bewusst, die die Natur des Selbst ausmacht. Nur im Selbst findest du dauerhafte Zufriedenheit, eine unveränderliche Vollständigkeit und Erfüllung, ohne Anfang und Ende.

Daher erreichst du Freiheit von der Abhängigkeit von der Formenwelt, wenn du statt Objekt-Glück Selbst-Glück anstrebst.


Das Selbst ist Alles

Der Jnani (befreite Seele) weiß, dass alles, was existiert, das Selbst ist - allein Bewusstsein ist. Er sieht das Selbst überall, in allen Dingen, als Das, was ewig rein und ewig leuchtend ist. Er bleibt von allem in dieser Welt unberührt, so wie der Lotus von dem Wasser unberührt ist, auf dem er ruht.

Ein solcher Mensch verliert nicht die Fähigkeit in der materiellen Welt zu handeln. Solange der Körper existiert, muss auch die befreite Seele nach den Regeln der transaktionalen Realität spielen. Sie oder er muss immer noch essen, schlafen, leben und sich um den Körper kümmern. Und vielleicht muss sie arbeiten oder verschiedenen Verpflichtungen nachkommen.

Dabei ist allerdings klar, dass Handeln nur ein scheinbares Handeln ist. Obwohl das Selbst dank des Upadhi von Maya als ein Universum vermeintlich getrennter Formen erscheint, ist es frei von jeglichem Gefühl der Begrenzung. Da es einer anderen Ordnung der Wirklichkeit angehört, ist es unbeeinflusst von der materiellen Welt und den subtilen Kräften, die Handlung und Erfahrung bewirken.

Der Jnani ist also von jeder Begrenztheit befreit, wenn er dieses Wissen besitzt und sich selbst als das Selbst in allen Wesen begreift. Auch inmitten der Welt der Vielheit sieht er nichts als das Selbst. Er weiß, dass sich Karma und seine Folgen nur auf Geist und Körper beziehen und niemals auf das Selbst.

Frei von der Identifikation mit Formen gibt es überhaupt keinen Jiva (Person) mehr, sondern nur noch das Selbst, und das ist die höchste Befreiung. So wie die Welle befreit wird, indem sie weiß, dass sie nichts anderes ist als der mächtige Ozean, so wird der Jiva durch das Wissen von Aham Brahmasmi befreit: „Ich bin das unsterbliche, grenzenlose, ewige Selbst“.


Bei Erleuchtung geht es nicht darum, Erfahrungen nachzujagen

Es muss betont werden, dass es bei Moksha nicht um das Erreichen bestimmter Erfahrungszustände geht.

Der menschliche Geist hungert nach Erfahrungen. Er ist ewig auf der Suche nach Höhepunkten. Viele aufrichtige spirituelle Sucher werden von dem Irrglauben geleitet, dass Erleuchtung dem Erreichen bestimmter Bewusstseins- oder Erfahrungszustände gleichkommt.

Dies ist eine der Kehrseiten des Yoga-Konzepts. Yoga präsentiert Erleuchtung als eine weitere Erfahrung - eine bessere Erfahrung – als die Erfahrung, die alle Erfahrungen beendet!

Während der Materialist Genuss und Glückseligkeit durch Manipulation der Objekte der äußeren Welt anstrebt, bemüht sich ein Yogi / eine Yogini um Genuss und Glückseligkeit, indem er oder sie die inneren Objekte ihres oder seines Geistes manipuliert. Beide suchen einen auf Erfahrung beruhenden Zustand von Genuss.

Wir dürfen nicht vergessen, dass alle Zustände und Erfahrungen Mithya sind. Wie jedes erfahrbare Objekt sind solche Erfahrungen begrenzt und zeitgebunden. Selbst der höchste Zustand spiritueller Verzückung bleibt immer noch lediglich Mithya. Und egal, wie wundervoll er sich auch anfühlt, er dauert nie an.

Deshalb ist das Verfolgen spiritueller Erfahrungen ebenso wenig ein Weg, Befreiung zu erlangen, wie das Verfolgen weltlicher Objekte. Das Anhaften an spirituellen Zuständen und 'Erleuchtungserfahrungen' wird, wie jede Anhaftung, zu Raga, Shoka und Moha (Verlangen, Kummer und Verblendung) führen und so das samsarische Leiden aufrechterhalten.

Eine weitere Gefahr liegt darin, Erleuchtung zu einem Ideal zu machen. Ein Ideal davon zu haben, wie eine erleuchtete Person sei, und dann zu versuchen, diesem Ideal gerecht zu werden, wird nicht zur Befreiung führen. Es kann jedoch dazu führen, dass man sich in einem raffinierteren und 'vergeistigten' egoistischen Selbstkonzept verliert.

Erleuchtung ist nicht etwas, das man sich aneignen oder sich hinzufügen muss. Du kannst nichts tun, um frei zu 'werden'. Moksha ist keine Frage des Werdens.

Vedanta enthüllt, dass du bereits frei bist. Du bist bereits das Selbst, unsterblich, ewig und alles durchdringend. Dein Problem ist schlicht mangelndes Wissen darüber, wer du bist.

Daher ist es allein Wissen, das dich befreit, indem es die Barrieren beseitigt, die verhindern, dass du Freiheit als deine Natur erkennst.


Die selbstverwirklichte Person

In der Bhagavad Gita beschreibt Krishna eine selbstverwirklichte Person sehr anschaulich. Nicht damit wir versuchen, eine solche Person nachzuahmen oder zu imitieren, sondern, unter anderem, um uns zu dem Entschluss zu inspirieren, unseren Geist zu reinigen und Selbsterkenntnis zu erlangen.

Durch das Wissen, wie die selbstverwirklichte Person sich verhält und auf das Leben reagiert, haben wir eine Art Maßstab. Es ist eine Möglichkeit, unseren eigenen Fortschritt bei der Verinnerlichung des Wissens um unsere wahre Natur als Gewahrsein zu beurteilen.

Krishna sagt, dass die erleuchtete Seele, nachdem sie ihren Verstand gemeistert hat, ein friedvolles Herz hat und „frei von der Angst ist, immer etwas erwerben und hüten zu müssen“.

Frei von bindenden Wünschen, ist sie allein mit sich selbst zufrieden. Welche größere Freiheit als diese könnte es geben?

Weil ihr Herz immer voll ist, werden die Weisen nicht mehr von Widrigkeiten erschüttert und sind nicht mehr auf irgendetwas Äußeres für ihr Glück angewiesen.

Sie bewegen sich in der Welt so frei wie Luft, ohne jegliches Gefühl von Begrenzung, Angst und Begierde. Das ist die Glückseligkeit der Selbsterkenntnis: die Befreiung durch die Erkenntnis, dass das eigene wahre Selbst frei von Fesseln und die Quelle aller Freude ist.

Krishna erklärt auch, dass die selbstverwirklichte Person „allen Wünschen, sobald sie im Verstand erscheinen, entsagt“.

Dies verdeutlicht, dass Erleuchtung nicht irgendein übermenschlicher Zustand ist, in dem alle Gedanken, Wünsche und das Empfinden von Dualität gänzlich verschwinden.

Der Jivan-Muktah hat immer noch einen Körper und ein Gemüt, und dieser Körper und dieses Gemüt funktionieren weiterhin wie zuvor. Wünsche werden entsprechend der früheren Konditionierung entstehen. Der Wissende um das Selbst ist jedoch für sein Glück nicht mehr von äußeren Faktoren abhängig.

Das Verlangen ist nicht länger bindend. Es zwingt nicht zum Handeln. Vorbei ist der Zwang, weltlichen Objekten und Vergnügungen nachzujagen oder sie zu bekommen. Der Erleuchtete bezieht Glück und Freude allein aus dem Selbst.

Warum solltest du weiterhin Liebe und Glück in der sich ständig verändernden und unberechenbaren Mithya-Welt suchen, wenn du weißt, dass es eine grenzenlose Quelle der Liebe und des Glücks in dir gibt?

Deshalb sagt Krishna: „Weltliches Verlangen endet, wenn die Weisen ihre eigene essentielle Natur erkennen.“

Auch Furcht ist im Geist des Jnani nicht vorhanden. Furcht ist ein Nebenprodukt der Dualität, des Gefühls, getrennt und entfernt von allem anderen zu sein. Mit dem Wegfall des Gefühls von Dualität beginnt sich die Angst im Licht der Selbsterkenntnis aufzulösen.

Der Geist des Jnani bleibt leidenschaftslos, ruhig und stabil. Eine solche Person ist, um einen christlichen Ausdruck zu benutzen, „in dieser Welt, aber nicht von dieser Welt“.

Der Jnani ist natürlicherweise unterscheidungsfähig und nicht an Resultate gebunden. Er nimmt das Gute und das Schlechte an und schaut nicht mehr auf die äußere Welt, um sich zu vervollständigen.

Eine ausweglose Verstrickung mit weltlichen Objekten ist das Markenzeichen eines Samsaris. Wenn du aufgrund von Selbstignoranz nicht weißt, dass Vollkommenheit deine Natur ist, wird dieses Gefühl von Unvollständigkeit den Verstand dazu zwingen, Erfüllung in äußeren Objekten zu suchen.


Wie man spirituellen Selbstmord begeht

Kapitel zwei der Gita untersucht Samsara im Hinblick auf das Anhaften an Objekten.

Das fortwährende Beschäftigen mit Sinnesobjekten verursacht Anhaftung.

Anhaftung führt unweigerlich zu Verlangen.

Werbefachleute wissen genau: Wenn ein Kind ein Spielzeug oft genug beworben sieht, beginnt es, dieses Spielzeug haben zu wollen. Das Verlangen beginnt als ein leiser Zündfunke, und je mehr man sich auf das Objekt fokussiert, desto schneller wird dieser Funke zu einer Flamme. Wenn das Kind seine Freunde mit diesem Spielzeug spielen sieht, steigert sich sein Verlangen bis hin zu einem wütenden Inferno.

Verlangen kommt nie allein. Es bringt viele Probleme mit sich, egal ob es erfüllt oder verwehrt wird.

Wenn unsere Sehnsüchte nicht erfüllt werden, werden wir wütend.

Um auf unser Beispiel zurückzukommen: Das Kind wird wahrscheinlich einen Wutanfall bekommen, wenn seine Eltern sagen, dass es das Spielzeug nicht haben darf.

Eine Konsequenz des Ärgers ist Verblendung und Vergesslichkeit.

Wenn der Verstand durch Wut und Kummer aufgewühlt ist, verlieren wir unsere wahre Natur aus den Augen, sowie auch unsere Werte und Prioritäten. Im Fall des spirituell Suchenden heißt das: Der Verstand wird zu aufgewühlt, um über die Lehren zu kontemplieren, nachzudenken.

Wir beginnen aus Impulsen heraus zu handeln, wobei wir unsere emotionale Erschütterung auf oft höchst dysfunktionale Weise zum Ausdruck bringen.

Dies läuft auf nichts weniger als spirituellen Selbstmord hinaus. Wir verlieren uns in einem Kreislauf materialistischer Reaktivität, was unser grundlegendes Gefühl von Mangel und Unvollständigkeit weiter verstärkt.

Selbstkontemplation wird dann unmöglich und Befreiung unerreichbar. Krishna erklärt, dass wir wie ein Schiff würden, das vom Kurs abkommt, auf See verloren geht und hilflos von den tobenden Wellen Samsaras umher gewirbelt wird.

Die Lösung für dieses Problem wird in der Gita mehrfach wiederholt:

„Meistere deine Sinne! Benutze Unterscheidungsvermögen und fokussiere deinen Geist auf dein wahres Ziel. Nur Erkenntnis, die vollständige Weisheit des Selbst, wird dich befreien.“

Wenn sich dein Standpunkt vom Ego zum Selbst hin verlagert, werden Probleme, die vorher unüberwindbar schienen - wie z. B. Alter, Krankheit, familiäre oder finanzielle Probleme - plötzlich genauso unbedeutend, wie auch der furchterregendste Traum nach dem Aufwachen seinen Schrecken verliert.

Alle deine Probleme werden durch Unwissenheit über deine wahre Natur verursacht. Sie können gelöst werden, indem du deine Identifikation von Mithya zu Satya, vom Jiva (Ego) zum Selbst (Gewahrsein) verschiebst. Das ist Erleuchtung.

Das bedeutet nicht, dass die materiellen Probleme verschwinden werden, aber es bedeutet, dass sie ihre alles verzehrende Wichtigkeit verlieren.

Moksha ist die Fähigkeit, die Stürme des Lebens zu überstehen und glücklich zu sein, unabhängig davon, ob äußere Umstände deinen Erwartungen entsprechen oder nicht. Deine Vorlieben und Abneigungen sind dann nur noch Vorlieben und keine zwingenden Anhaftungen mehr. Die Selbstverwirklichten haben ganz natürlich eine objektive Sicht auf das Leben und sind von der Welt der Objekte emotional unabhängig.

Nur indem du diesen Wechsel vollziehst, von der Abhängigkeit von der Welt zur Abhängigkeit vom Selbst, findest du wahre Freiheit im Leben.

„Solange du denkst, dass du das Ego bist, leidest du unter Anhaftung und endlosem Kummer. Aber wenn du erkennst, dass du das Selbst bist, grenzenloses Bewusstsein, bist du von Kummer befreit. Wenn du erkennst, dass du das Selbst bist, die höchste Quelle der Liebe, transzendierst du die Dualität des Lebens und genießt den Einheitszustand der Nicht-Dualität.“

-Mundaka Upanishad