Thema von Vedanta ist Selbst-Erkenntnis - die Erkenntnis von
DIR selbst.
Dabei handelt es sich jedoch nicht um das „Du“, mit dem du dich
höchstwahrscheinlich den größten Teil deines Lebens
identifiziert hast - die Person, von der du glaubst, du wärst
sie. Diese Person basiert auf der Beschaffenheit deines
Körpers, deines Geistes, deiner Persönlichkeit, deinen
verschiedenen Rollen, deinem Selbstbild oder deiner
persönlichen Geschichte.
Vielleicht kannst du dich daran erinnern, dass wir im
vorherigen Beitrag über Selbsterforschung dieses Selbstkonzept
näher untersucht haben. Indem wir die Negation Schritt für
Schritt durchgeführt haben, haben wir gezeigt, dass du nicht
dein Körper, dein Verstand, dein Intellekt oder dein Ego sein
kannst.
Was haben Körper, Verstand, Intellekt und Ego gemeinsam? Es
sind alles Objekte deiner Wahrnehmung. Ob grobstofflich, wie
der Körper, oder feinstofflich, wie der Geist, sie sind alle
objektivierbar. Du kannst sie sehen, und das bedeutet, du
kannst sie nicht sein. Der Erkennende ist immer vom Erkannten
verschieden.
Im Vedanta entdecken wir die Wahrheit, indem wir das Falsche
ausschließen. Wir gelangen zum Selbst, indem wir die falschen
Annahmen aufheben, die wir in Bezug auf das Selbst getroffen
haben. Dies betrifft insbesondere die Konzepte „Ich bin der
Körper“, „Ich bin der Geist“, „Ich bin meine Gedanken und meine
Geschichte“.
Wenn dies alles negiert wird als Objekte in Gewahrsein,
Objekte, die vergänglich und Veränderungen und Modifikationen
unterworfen sind, dann bleiben wir allein als Gewahrsein
übrig.
Dies ist das Gewahrsein, in dem dein Körper,
dein Geist, deine Gedanken und dein Ego auftauchen und wieder
versinken. Ein Gewahrsein, das allgegenwärtig und
unveränderlich ist - das Licht, durch das alle Dinge erkannt
werden.
Wie wir noch sehen werden, berichten die Upanishaden, die
Quelltexte des Vedanta, in einer poetischen, pompösen und
überhöhten Weise vom Selbst. Das kann den Anschein erwecken,
dass das Selbst etwas Kosmisches, Hochfliegendes und
Transzendentes ist, etwas, das von dem kleinen Alltagsmenschen,
der uns allen so innig vertraut ist, weit entfernt ist.
In Wirklichkeit ist das Selbst dein gewöhnliches, alltägliches
Gewahrsein. Es ist das Gewahrsein, das dein ganzes Leben lang
aus deinen Augen geschaut hat und in dem jeder Anblick, jeder
Ton, jedes Objekt, jeder Gedanke, jede Emotion, jeder Wunsch
und jede Angst erfahren wurde.
„Das Selbst, das du bist, das Selbst, das du verwirklichen
wirst, ist vollkommen gewöhnlich“, schreibt James Swartz. „Es
ist das Gewahrsein, das deinen Geist dabei beobachtet, wie er
diese Worte aufnimmt, mehr nicht. Es ist ganz und gar nicht
unerreichbar. Es ist im Offensichtlichen verborgen. Es ist
immer präsent und bleibt nur wegen eines Mangels an Verständnis
weitgehend unbeachtet.“
Das Selbst ist reines Gewahrsein. Es ist das
Gewahrsein, in dem die Welt der Objekte, einschließlich der
grob- und feinstofflichen Körper, als Objekte der Wahrnehmung
existieren.
Im normalen Sprachgebrauch wird das Wort
„Gewahrsein“ oft in Bezug auf das Gewahrsein von etwas
verwendet. Du sagst vielleicht: „Ich bin mir des Baumes gewahr
oder bewusst“, oder „Ich bin mir bewusst, was heute Morgen am
Arbeitsplatz passiert ist“. Dies unterstellt, dass Gewahrsein
nicht konstant sei, dass es komme und gehe, dass es potenziell
nicht vorhanden sein könnte. Ein solches Gewahrsein scheint ein
begrenztes Gut zu sein, sonst bräuchten Aktivisten nicht das
Bewusstsein/Gewahrsein für verschiedene Dinge „zu
schärfen“!
Gewahrsein ist jedoch unabhängig vom Inhalt. Es ist der
ewige Kontext, in dem der Inhalt erscheint. Unabhängig
davon, wessen du dir bewusst oder nicht bewusst bist, bleibt
Gewahrsein konstant. Es ist immer da. Es gibt keine
Möglichkeit, Gewahrsein zu erlangen oder zu verlieren.
Randbemerkung: In diesem Kontext sind Gewahrsein und
Bewusstsein gleichbedeutend. Ich verwende lieber das Wort
Gewahrsein, weil viele das Wort „Bewusstsein“ mit dem Inhalt
der eigenen Psyche, wie Gedanken, Erinnerungen, Überzeugungen
usw., gleichsetzen.
(Im englischen Originaltext wird das Wort „Self“ groß
geschrieben. Damit soll einfach das Selbst als reines
Bewusstsein von dem „self“ unterschieden werden, für das sich
die meisten Menschen halten, indem sie sich mit dem
Körper-Geist-Sinnes-Komplex (d.h. dem Ego) identifizieren. In
Wirklichkeit gibt es nur das Selbst und es ist nicht getrennt
von dem, was du bist. In der deutschen Übersetzung wird das
Ego-Selbst durch Kursivbuchstaben
gekennzeichnet).
Obwohl das Selbst gewöhnliches, allgegenwärtiges Gewahrsein
ist, ist dieses Gewahrsein entgegen der allgemeinen Vorstellung
kein Teil, Produkt oder Eigenschaft des Körpers.
Wie soll Empfindungsfähigkeit aus etwas Empfindungslosen
entstehen?
Der Körper-Geist-Sinnes-Komplex besteht selbst aus lebloser,
empfindungsloser Materie. Um zu funktionieren, ist er von einem
zweiten Prinzip abhängig.
Was Körper und Geist zum Leben erweckt, ist das Selbst.
Gewahrsein segnet diesen leblosen Apparat mit
Empfindungsfähigkeit, ähnlich wie die Sonne den Mond mit ihrem
reflektierten Licht segnet. Der grobstoffliche und der
feinstoffliche Körper werden daher durch das reflektierte
Bewusstsein des Selbst belebt.
„Das Selbst ist das von allem reflektierte Licht.
Es scheint, und alles leuchtet daraufhin.“
Katha Upanishade
Swami Paramarthananda benutzt die Analogie einer Glühbirne, um
dies zu erklären.
Die Glühbirne und der Glühfaden stellen den grobstofflichen und
feinstofflichen Körper des Jivas (Individuums) dar. Für sich
genommen sind Glühbirne und Glühfaden leblos/inaktiv und nicht
in der Lage, Licht zu erzeugen.
Ein weiterer Faktor ist erforderlich - das unsichtbare Prinzip,
durch das die Glühbirne zu einer Lichtquelle wird. Dies ist das
Prinzip der Elektrizität.
Ähnlich wie bei der Elektrizität gibt es einen unabhängigen
Faktor, der den ansonsten leblosen
Körper-Geist-Sinnes-Komplexes durchdringt und ihm Leben
schenkt. So wie Elektrizität auch dann weiterbesteht, wenn die
Glühbirne zerbrochen ist, so ist auch dieses belebende Prinzip
unbeeinflusst vom Zustand oder Verlust des Körpers. Der Körper
mag nicht mehr da sein, aber das Selbst kann nirgendwo
hingehen. Wie wir noch lernen werden, hat es keine Grenzen und
weder Anfang noch Ende.
Auch wenn es Millionen von Glühbirnen geben mag, es gibt nur
eine Elektrizität. Auch wenn es Milliarden von Jivas gibt, das
Selbst, das sie durchdringt, erleuchtet und ihnen Leben
verleiht, ist ebenfalls ein einziges.
„Das Selbst ist eins, auch wenn es viele zu sein scheint.“
Chandogya Upanishad
Vedanta behauptet, dass Gewahrsein nicht vom Körper abhängig
ist, sondern dass der Körper von Gewahrsein abhängig ist.
Dieses Gewahrsein, das Selbst, ist sowohl immanent als auch
transzendent. Es ist sowohl persönlich, da es uns als Essenz
dessen, was wir sind, zutiefst vertraut ist, als auch
unpersönlich, da es universell ist. Tatsächlich gibt es keinen
Unterschied zwischen dem individuellen Selbst und dem
universellen Selbst. Nur der Bezugspunkt unterscheidet
sich.
Dieses Selbst kann nicht in Form von Merkmalen beschrieben
werden, weil es keine Merkmale hat.
Wie die Brahma-Sutras besagen:
„So wie Licht, das keine Form hat, aufgrund der Objekte, die es erhellt, verschiedene Formen zu haben scheint, so scheint das eigenschaftslose Selbst mit Eigenschaften ausgestattet zu sein.“
Wie wir dargelegt haben, ist die Natur (Svarupa) des Selbst
Gewahrsein, aber es kann niemals objektiviert oder
konzeptualisiert werden. Deshalb kann es nicht positiv
beschrieben werden, sondern nur in Bezug auf das, was es nicht
ist - d.h. ungeboren, unsterblich, zeitlos, grenzenlos
usw.
Die einzige positive Aussage, die sich über das Selbst treffen
lässt, ist, dass es selbst-evident und selbst-offenbarend ist.
Es ist wie die Sonne. Man benötigt keine andere Lichtquelle, um
die Sonne zu offenbaren. Die Sonne offenbart sich durch ihr
eigenes Licht, und genauso verhält es sich mit
Gewahrsein.
Die folgende Analyse des Selbst ist einem Kommentar entnommen,
den ich zur Bhagavad Gita schreibe.
1. Das Selbst ist grenzenlos
„Das Selbst ist das, was grenzenlos, unvergänglich und unveränderlich ist. Es ist das, was allen Wesen Existenz verleiht und in ihnen als ihr innerstes Wesen wohnt.“
- Bhagavad Gita
Grenzenlos ist eine strenge Definition. Damit etwas als
grenzenlos gelten kann, muss es zu ALLEN Zeiten grenzenlos
sein. Es kann nicht einmal grenzenlos sein und dann irgendwann
begrenzt.
Ferner kann ein Objekt niemals grenzenlos sein. Damit ein
Objekt als Objekt existieren kann, ist eine Begrenzung
notwendig (d.h. ein Objekt muss Grenzen haben).
Deshalb kann das Selbst kein Objekt sein. Es kann kein Objekt
sein, weil es selbst das ewige Subjekt ist - also das, durch
welches alle Objekte gekannt werden.
Da es grenzenlos ist, ist es unmöglich, seinen Anfang oder sein
Ende zu finden. Es gibt keinen Ort, an dem es nicht ist, kein
Ding, das es nicht ist, und keine Zeit, zu der es nicht
ist.
Das kannst du tatsächlich in deiner eigenen Erfahrung
überprüfen. Kannst du einen Anfang oder ein Ende deines
Gewahrseins finden? Besitzt es eine Grenze, oder ist in ihm
alles enthalten? Handelt es sich um ein junges Gewahrsein oder
um ein altes Gewahrsein? Handelt es sich um ein männliches
Gewahrsein oder ein weibliches?
Alles, was du über Gewahrsein sagen kannst, ist, dass es
Gewahrsein ist, und dass es keine Grenze, keine Form, keine
Gegenständlichkeit irgendeiner Art aufweist.
„Dieses Selbst wurde nie geboren, also kann es nie sterben.
Wenn der Körper stirbt, besteht das Selbst weiter.“
- Bhagavad Gita
Weil das Selbst grenzenlos ist, ist es auch unsterblich. Der
Tod kann nur ein begrenztes Wesen treffen, das Veränderungen
und Wandel unterworfen ist.
Wenn das Selbst grenzenlos ist, dann muss es die
wirkliche Grundlage und die Gesamtheit oder Totalität der
Existenz sein.
Auch ist es unmöglich, dass wir selbst etwas
anderes als das Selbst sind - denn das würde wiederum Grenzen
erfordern (d.h. etwas, was das Selbst nicht ist).
2. Das Selbst ist jenseits der Zeit
„ Allgegenwärtig und unveränderlich ist es ohne Anfang und ohne Ende.“
- Bhagavad Gita
Zeit betrifft nur die Welt der Objekte. Um unter dem Einfluss
der Zeit zu stehen, müsste das Selbst sowohl ein Objekt sein
als auch einer Begrenzung unterliegen.
In der Gita verneint Krishna dies. Er sagt zu Arjuna: „Es gab
nie eine Zeit, in der ich nicht existierte, noch du, noch
irgendeiner dieser Könige. Auch wird es nie eine Zeit geben, in
der wir aufhören zu existieren.“
Offensichtlich spricht er nicht über ihre Körper, denn Körper
haben eine endliche, zeitgebundene Existenz. Deshalb muss das
Selbst vom Körper verschieden sein.
Das Selbst, das in seiner Natur Bewusstsein ist, ist
kein Teil, Produkt oder Merkmal des Körpers. Es ist ein vom
Körper unabhängiges Prinzip, das den Körper durchdringt und
belebt. Es wird nicht durch die Grenzen oder Maße des
Körpers begrenzt. Darüber hinaus wird es weder 'geboren', wenn
der Körper erscheint, noch 'stirbt' es, wenn der Körper
verschwindet.
Wir alle haben die Auffassung, dass wir zu einer bestimmten
Zeit an einem bestimmten Ort geboren wurden und dass wir davor
nicht existierten. Es stimmt zwar, dass der Körper zu einer
bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort geboren wurde und
wir haben die Geburtsurkunde, um das zu beweisen, aber die
Vorstellung, dass du vor diesem Körper nicht existiert hast,
ist unbeweisbar.
Sie ist aus folgendem Grund nicht beweisbar: Um sagen zu
können, dass es eine Zeit gab, in der du nicht existiert hast,
müsstest du dabei gewesen sein, um es zu wissen. Nicht-Existenz
wird also immer nur ein Konzept bleiben und nichts
weiter.
„Unberührbar von allem in dieser Welt, ist das Selbst
alles durchdringend, unbeweglich und ewig.“
- Bhagavad Gita
Es gibt nur ein Selbst. Gewahrsein ist ein ungeteiltes Ganzes.
Es hat keine Unterteilungen. Während die Welt der Formen den
Sinnen als eine Dualität von 'dies' und 'das' erscheint, sind
alle Objekte als Erscheinungen in Gewahrsein verbunden.
Obwohl ohne Form, durchdringt das Selbst alle Formen. Ähnlich
wie Raum enthält es alle Dinge. So wie Raum eine Einheit ist,
ungeachtet aller Objekte, die in ihm erscheinen, so ist auch
das Selbst eine Einheit.
Swami Dayandana sagt: „Das Selbst ist nicht viele, es
gibt nur ein Selbst. Weil die Formen, upadhis, viele sind, gibt
es viele Menschen, während das Selbst ein ganzheitliches
Bewusstsein ist, das nicht an Zeit gebunden ist.“
Während sich die Milliarden von Körpern und
Gemütern auf der Welt alle unterscheiden, jeder scheinbar
einzigartig ist, unterscheidet sich das Selbst, das deinen
Körper und Geist belebt, nicht von dem Selbst, das meinen
Körper und Geist belebt.
Swami Dayananda benutzte das Wort Upadhi. Das ist ein wichtiger
Begriff, den es zu verstehen gilt.
Upadhi bedeutet 'begrenzender Zusatz'. Es handelt sich dabei um
ein Objekt, das seine Eigenschaften scheinbar etwas anderem
verleiht und es als etwas anderes erscheinen lässt, als es ist.
Wenn zum Beispiel klares Wasser in einer roten Flasche
aufbewahrt wird, erscheint das Wasser rot. Die Flasche ist ein
Upadhi, das dem farblosen Wasser die Eigenschaft von „Röte“
verleiht.
Das Upadhi-Konzept erklärt, warum das Selbst, das laut Vedanta
grenzenlos und ungebunden ist, begrenzt und gebunden
erscheint.
Aufgrund des Upadhis des Körper-Geist-Sinnes-Komplexes nimmt
das Selbst scheinbar die Eigenschaften des Körpers und des
Geistes an, die begrenzt und zeitgebunden sind und Geburt, Tod,
Leiden und Verfall unterliegen. Aber diese Eigenschaften
gehören zu Körper und Geist, nicht zum Selbst.
Es stimmt zwar, dass Körper und Geist sich ständig verändern
und Schmerzen und Leiden ausgesetzt sind, aber das Selbst ist
von Schmerz und Leiden unbeeinträchtigt.
Das liegt daran, dass das Selbst einer anderen Ordnung der
Realität angehört als der Körper-Geist-Sinnes-Komplex, so wie
ein Spiegel einer anderen Ordnung der Realität angehört als die
in ihm reflektierten Objekte. Du kannst die Gegenstände im
Zimmer nach Belieben verändern, und dadurch verändert sich die
Reflexion im Spiegel, aber der Spiegel selbst wird sich nicht
verändern.
4. Das Selbst ist nicht-handelnd
„Erkenne mich (das Selbst) als jenseits des Tuns seiend, immer unveränderlich und frei. Taten berühren Mich (das Selbst) nicht. Ich habe weder einen persönlichen Wunsch zu handeln, noch sehne ich mich nach bestimmten Ergebnissen. Derjenige, der das Selbst als nicht-handelnd erkennt, ist nicht länger durch Karma gebunden.“
- Bhagavad Gita
Weil das Selbst grenzenlos, nicht-dual und jenseits der Zeit
ist, ist es nicht-handelnd.
Gewahrsein hat keinen Status eines Handelnden, keine
Täterschaft. Handlung auszuführen erfordert Bewegung - und
Bewegung erfordert sowohl Begrenzung als auch Zeit. Deshalb
kann das Selbst, da es grenzenlos und jenseits der Zeit ist,
keine Handlung ausführen.
Die Sonne wirft ihr Licht auf die Welt und ermöglicht es dem
Leben, zu existieren und zu gedeihen. Aber während die Sonne,
das Licht, zwar der Faktor ist, durch den sich Leben ereignet,
kann man jedoch nicht sagen, dass sie etwas „tut“.
Da das Selbst Akarta, handlungslos, ist und du das Selbst bist,
bedeutet dies, dass Täterschaft auch nicht zu dir gehört. Es
gibt einen weiteren Faktor, der für das Handeln verantwortlich
ist (Ishvara), wie wir noch sehen werden, wenn wir die Natur
des Handelns und der Täterschaft erforschen.
5. Das Selbst kann nicht als Objekt erfahren
werden
„Da unmanifest, kann es nicht über die Sinne erfasst werden, und es ist frei von allen Veränderungen.“
- Bhagavad Gita
Das Selbst kann ebenso wenig als Objekt erfahren werden, wie
das Auge sich selbst sehen oder eine Kamera ein Bild von sich
selbst machen kann.
Die Existenz sowohl des Auges als auch der Kamera kann jedoch
aufgrund der Bilder, der Objekte, die sie sichtbar machen,
geschlussfolgert werden. Die Kamera kann kein Bild von sich
selbst machen, aber die Tatsache, dass die Bilder existieren,
ist ein Beweis dafür, dass die Kamera existiert.
Die Existenz von Objekten setzt ein Subjekt voraus.
Obwohl das Selbst, das subtiler ist als Körper, Geist und
Intellekt, nicht als Objekt erlebt werden kann, existiert es
zweifellos, denn es ist dasjenige, durch das alle Objekte
gekannt werden.
6. Das Selbst ist selbst-evident und
selbst-enthüllend
„Das Selbst ist das, was all-wissend, alles durchdringend, zeitlos, Ursache und Bestimmer aller Dinge ist, jenseits von Form, strahlend wie die Sonne, jenseits von Wissen und Nichtwissen.“
- Bhagavad Gita
Eine andere Metapher für das Verständnis des Selbst ist der
Gedanke an eine Kinoleinwand.
Das Selbst ist das Licht, das den Film auf der Leinwand
erscheinen lässt.
Während du den Film siehst, wirst du vollständig von den
flackernden Bildern gefangen genommen, die auf der Leinwand
tanzen. Du identifizierst dich mit den Figuren und lässt dich
von der Handlung mitreißen, die für dich während des Films
völlig real wird. Dein Puls wird schneller, während sich das
Drama entfaltet. In tragischen Momenten sind deine Augen voller
Tränen, humorvolle Momente bringen dich zum Lachen und
horrorartige Momente bringen dich zum Zittern oder
Schreien.
Doch ist alles, was du die ganze Zeit erlebst, Licht, das auf
eine Leinwand projiziert wird.
In dem Moment, in dem das Licht erlischt, ist das Bild
verschwunden und mit ihm die imaginäre Welt des Films.
Das Licht war wesentlich für den Film. Wahrscheinlich warst du
dir dessen nicht einmal bewusst, weil du so in der Projektion
versunken warst. Aber das Licht war immer präsent. Dennoch war
das Licht, das die Existenz des Films ermöglichte,
unbeeinflusst und unverändert von den Bildern auf der
Leinwand.
In ähnlicher Weise ist das Selbst dasjenige, das der gesamten
Schöpfung erlaubt, sich zu entfalten, und doch handlungslos und
unbeeinflusst von dem Tanz bleibt.
Gewahrsein ist seiner Natur nach selbst-evident und
selbst-offenbarend. Ähnlich wie das Kinolicht ist es dasjenige,
durch das alle Dinge gekannt werden, und dasjenige, von dem
alle Dinge für ihre Existenz abhängen.
Im zweiten Kapitel der Bhagavad Gita spricht Krishna zu Arjuna:
„Das Unwirkliche existiert nicht, und das Wirkliche hört nie auf zu sein.“
Die Unterscheidung zwischen dem Wirklichen/Realen (Satya) und
dem Unwirklichen/Irrealen (Mithya) zu verstehen, ist der
Schlüssel zur Befreiung.
Jedem Objekt können zwei Bestandteile zugeschrieben werden:
sein Wesen/seine Essenz und seine Form.
Das Wesen eines Gegenstandes ist seine wirkliche Natur: das,
was immanent, dauerhaft und unabhängig existent ist. Die Essenz
ist für seine Existenz auf nichts anderes angewiesen. Dies ist
im Vedanta die Definition von „real/wirklich“. In Sanskrit wird
es als Sat oder Satya bezeichnet.
Im Gegensatz dazu existiert die Form eines Objekts, seine
nebensächliche Natur, nicht unabhängig. Sie leiht sich ihre
Existenz von Satya, ist zeitgebunden und Veränderungen und
Verlust unterworfen.
Im Unterschied zu Satya sind alle Formen vergänglich und
unbeständig. Der Fachausdruck in Sanskrit dafür ist Mithya, was
„unwirklich“ bedeutet.
Kurz gesagt ist Satya die unabhängige Ursache und
Mithya die abhängige Wirkung.
Shankara bediente sich der Analogie von Tontopf
und Ton. Obwohl die Annahme, dass „der Topf existiert“, auf den
ersten Blick sinnvoll erscheinen mag, hat der Topf in
Wirklichkeit keine eigenständige Existenz. Er leiht sich seine
Existenz vom Ton. „Topf“ ist nur ein Name und eine Form,
die dem Ton gegeben wurden. Als solche ist er zeitgebunden. Es
gab eine Zeit, in der der Topf nicht existierte, und wenn er
zerbricht, wird es eine Zeit geben, in der er aufhört zu
existieren. Der Ton wird bleiben, aber der Topf wird
verschwunden sein.
Der Topf ist also Mithya und der Ton ist Satya. Da Mithya nur
eine aus Name und Form bestehende Ausgestaltung ist, ist Mithya
für seine Existenz immer auf Satya angewiesen.
Die Fähigkeit, zwischen Satya und Mithya zu unterscheiden, ist
entscheidend für die Befreiung des Geistes. Das meint Krishna,
wenn er sagt: „Das Unwirkliche existiert nicht, und das
Wirkliche hört nie auf zu sein“.
Im Kontext dieser Erörterung ist nur das Selbst allein
Satya - real. Die gesamte Welt der phänomenalen Erfahrung,
einschließlich der grob- und feinstofflichen Körper, ist Mithya
- nur scheinbar real.
Die Verwechslung von Satya und Mithya ist die Wurzel all
unseres Leids.
Diese Verwechslung ist das Ergebnis einer gegenseitigen
Überlagerung.
An jedem Wahrnehmungsvorgang sind zwei subtile Faktoren
beteiligt.
Der erste ist Objekt-Wissen - die Erkenntnis des
Objekts, das wir wahrnehmen.
Der zweite ist das Wissen um das, was Shankara „Ist-heit“
nennt, d.h. das Prinzip der Existenz.
Wir sehen den Topf (Objekt-Wissen) und wir sagen, der Topf
existiert (Existenz-Wissen). Objekt-Wissen bezieht sich auf
Mithya, und der Gedanke an Existenz oder Ist-heit bezieht sich
auf Satya.
Unser Irrtum besteht in der Vermischung der beiden.
Durch einen Prozess gegenseitiger Überlagerung
überlagern wir dem Objekt die Ist-heit in dem Glauben, das
Objekt selbst besitze eine unabhängige Existenz, es sei Satya,
wirklich.
Deshalb sagen wir auch: „Der Körper ist.“ Wir
glauben, der Körper habe eine eigene unabhängige Existenz und
nicht nur eine entliehene Existenz.
Gleichzeitig überlagern wir Satya mit den Eigenschaften von
Mithya. Deshalb nehmen wir an, dass die Eigenschaften von
Körper und Geist zum Selbst gehörten.
Wie klares Wasser, das aufgrund seiner Nähe zur roten
Glasflasche rot zu sein scheint, scheint das Selbst die
Eigenschaften des Körpers und des Geistes zu besitzen. Deshalb
sagen wir: „Ich bin glücklich“, „Ich bin traurig“, „Ich bin
dick“, „Ich bin dünn“.
Dies ist ein Wahrnehmungsfehler, verursacht durch
Unwissenheit/Ignoranz.
Wie die Bhagavad Gita sagt, ist das Selbst frei von allen
Eigenschaften und frei von Begrenzung oder Objektivierung. Wenn
das Selbst grenzenlos und ohne Merkmale ist, wie könnte es -
wie könnte ich - überhaupt glücklich, traurig, dick oder dünn
sein?
Solange du dich mit dem Körper oder dem Geist
identifizierst, bist du ihren Missständen unterworfen.
Aber sobald du deinen Bezugspunkt der Identität von Mithya nach
Satya, vom Körper und Geist hin zu Gewahrsein verlagerst, bist
du frei von jeder Begrenzung.
Vedanta lässt sich in seiner Gesamtheit in drei Worten
zusammenfassen:
Tat Tvam Asi - Das bist Du.
„Das“ bezieht sich auf Brahman, ein anderer Name
für das Selbst, die Realität, die allem zugrunde liegt, was
existiert. Brahman ist Satya, die innewohnende, alles
durchdringende, unveränderliche Existenz, von der alle
phänomenalen Objekte ihre geliehene Existenz beziehen.
Alles, was existiert, ist Brahman. Brahman plus Name und Form
ist das, was wir als phänomenale Welt wahrnehmen, so wie Ton
plus Name und Form das ist, was wir als Topf wahrnehmen.
„Du“ bezieht sich auf den Jiva, das Individuum, den
Körper-Geist-Sinnes-Komplex, der sich selbst als eine Person
mit einer eigenen zu ihm gehörenden Existenz versteht.
Der letzte Teil der Gleichung, „bist“, verbindet die
beiden.
Folglich bedeutet es: „Du bist Brahman.“
Wenn dieses Wissen eine sich selbst offenbarende Tatsache wäre,
gäbe es keinen Bedarf für Vedanta. Menschen, die wissen, dass
sie sich nicht von diesem unveränderlichen, allgegenwärtigen
Selbst unterscheiden, wären nicht Samsara unterworfen.
Samsara entspringt der Unwissenheit dieser Tatsache.
Der Weise Nisargadatta Maharaj sagte einmal:
„Die Erscheinung für die Wirklichkeit zu halten, ist eine schwere Sünde und die Ursache allen Unglücks. Du bist das alles durchdringende, ewige und unendliche Gewahrsein-Bewusstsein. Alles andere ist ortsgebunden und vorübergehend. Vergiss nicht, was du bist.“
Die Unfähigkeit, Satya von Mithya zu unterscheiden, schafft für
den Jiva eine Welt des Leidens. Der ganze Zweck von Vedanta
besteht darin, diese Verwirrung aufzulösen.
Durch die Erklärung „Das bist Du“ wird das „Du“, der Jiva, im
Wesentlichen negiert. Er entpuppt sich als Mithya, also nur als
Erscheinung.
Du bist „Das“ - das Selbst - die zugrunde liegende Realität,
die Satya ist.
Shankara fasste die Essenz der vedantischen Lehre in einem
einzigen Satz zusammen:
„Brahman allein ist Satya (real), die Welt ist Mithya (unwirklich), und der Jiva unterscheidet sich nicht von Brahman.“
Wir haben festgestellt, dass die Welt Mithya ist. Alle
wahrnehmbaren Objekte sind zeitgebunden, begrenzt und haben
keine eigene, ihnen zugehörige Existenz. Sie sind von einem
anderen Faktor für ihre Existenz abhängig.
Denke an einen goldenen Ring. Obwohl wir ihn als „Ring“
bezeichnen, hat der Ring keine eigene, unabhängige Existenz.
Vielmehr haben wir Gold sowie einen Namen und eine Form.
Wenn wir es einschmelzen, wird der Ring - der Name und die Form
- zerstört, aber das Gold bleibt. War es überhaupt jemals
wirklich ein „Ring“?
Auf dieselbe Weise leiht sich die gesamte Mithya-Welt die
vorübergehende Existenz von Satya, dem Selbst, aus. Deshalb
beendet Shankara den Satz mit der Beteuerung, dass der Jiva in
Wahrheit nicht vom Selbst getrennt ist.
Jivasein oder Menschsein ist ein Konzept, das dem Selbst
überlagert ist. Swami Dayananda nannte es „einen Fehler der
Selbst-Identität, den nur die Lehre auflösen kann.“
Das Selbst ist reines Gewahrsein, die unveränderliche Leinwand,
auf die die gesamte phänomenale Welt wie eine Fata Morgana
projiziert wird. Alles durchdringend ist dieses Gewahrsein ohne
Teile und unteilbar.
In der Bhagavad Gita heißt es: „Das Selbst wurde nie geboren
und kann daher nie sterben.“. Während Körper sterben, abgelegt
wie abgenutzte alte Kleider, eignet sich das Selbst einfach
neue Körper an. „Es ist allgegenwärtig und unveränderlich, es
ist ohne Anfang und Ende.“
Wenn das Selbst grenzenlos und unberührt von allem in dieser
Welt ist - und ich das Selbst bin - dann ist mein Gefühl von
Mangel, Unzulänglichkeit und Bedürftigkeit unberechtigt. Es
beruht auf der Unkenntnis meines Wesens. Wenn ich mich selbst
als einen Körper betrachte, an dem der Zahn der Zeit nagt, der
von Verletzungen, Krankheit und Tod heimgesucht wird, dann
werde ich von Begrenzungen geplagt. Doch Krishna stellt klar:
„Du trauerst um das, was keine Trauer rechtfertigt.“
Das Erwachen der Selbsterkenntnis, die Erkenntnis, dass du von
Natur aus frei, selbst-strahlendes Gewahrsein und die Quelle
des eigenen Glücks bist, ist das Licht, das das dunkle Leiden
der Unwissenheit vertreibt.
Das entscheidende Verständnis im Vedanta ist, dass es trotz des
Erscheinens von Dualität eigentlich nur einen einzigen Faktor
in der Existenz gibt, nämlich Brahman oder das Selbst - das
Ewige, Vollkommene, Unteilbare, jenseits von Zeit und Form
Liegende.
Die Natur des Selbst ist Sat Chit Ananda: Existenz, Bewusstsein
und Glückseligkeit.
Wenn wir das Selbst als „Bewusstsein“ bezeichnen, verwenden wir
den Begriff etwas anders als im allgemeinen modernen
Sprachgebrauch. Wir sprechen von reinem, unkonditioniertem
Bewusstsein, d.h. Bewusstsein vor dem Bewusstsein von „diesem“
oder „jenem“.
Dieses Bewusstsein ist gleichbedeutend mit Gewahrsein, dem
Licht, durch das alle Objekte wahrgenommen und erfahren werden.
Ein Licht, das für immer gegenwärtig und immer unberührt von
diesen Objekten der Wahrnehmung und Erfahrung ist.
Noch einmal: Dies ist nicht irgendeine Art von erhöhtem oder
„besonderem“ Gewahrsein, das man nur durch jahrelange Praxis
von fortgeschrittenem Yoga und tiefer Meditation erlangen
kann.
Dieses Gewahrsein ist bereits als die eigentliche Essenz dessen
gegenwärtig, was du bist: die allgegenwärtige Leinwand, auf der
die grobstofflichen Objekte der physischen Welt und die
feinstofflichen Objekte deiner inneren mentalen Welt vor dir
erscheinen.
Es ist dieses ganz gewöhnliche, alltägliche Gewahrsein, das
während deiner gesamten Existenz präsent ist - das Licht, durch
das alle Dinge gekannt werden. Aber du bist dir seiner nur
selten, wenn überhaupt, bewusst.
Eine weitere mögliche Verwirrung kann durch die Verwendung des
Wortes „Glückseligkeit“ entstehen. Es handelt sich nicht um
eine erfahrbare Glückseligkeit, im Sinne von mit einem breiten
Lächeln auf dem Gesicht herumlaufen. Es ist die Glückseligkeit,
die darin liegt, das zu sein, was allein ist. Das zu sein, was
in jeder Hinsicht grenzenlos ist. Tatsächlich ist das Wort für
grenzenlos Ananta, was vielleicht eine bessere Umschreibung
wäre als Ananda.
Wenn dieses Selbst grenzenlos ist, dann muss die
Wirklichkeit nicht-dual sein. Es kann nichts anderes als das
Selbst geben, weil sonst eine Dualität entstehen würde, die
eine Begrenzung des Selbst erfordern würde.
Letztendlich ist es falsch zu sagen, dass das
Selbst existiert. Das Selbst ist die Existenz, die ewige
Grundsubstanz von allem, was manifest und unmanifest ist.
Alles, was existiert, kann nur deshalb als existent bezeichnet
werden, weil es seine Existenz dem Selbst entleiht, so wie eine
Welle ihre Existenz dem Ozean entleiht oder der Topf seine
Existenz dem Ton.
Aus diesem grenzenlosen und nicht-dualen Selbst entsteht eine
begrenzte und endliche Welt der Dualität.
Dies geschieht mit Hilfe von Maya, einer dem Selbst
innewohnenden Macht, die es dem formlosen Einen erlaubt,
scheinbar zu einem ganzen Universum der Vielfalt zu
werden.
Da das Selbst der einzige Faktor in der Existenz ist, kann sich
dieses Universum der Formen nicht vom Selbst unterscheiden. Es
erscheint im Selbst und ist aus dem Selbst gebildet, auf
dieselbe Weise, wie eine Traumwelt im Bewusstsein des
Träumenden erscheint und aus demselben Bewusstsein gebildet
ist.
So erscheint Nirguna Brahman, das Selbst ohne Form, als Saguna
Brahman, das Selbst mit Form.
Ein anderes Wort für Saguna Brahman ist Ishvara. Im Vedanta ist
Ishvara oder Gott der Name, der dem mit Maya assoziierten
Selbst gegeben wird.
Ishvara wird sowohl als die Intelligenz gesehen, die die
phänomenale Welt formt, als auch als die grundlegende Substanz,
aus der sie erschaffen wird. Ishvara ist nicht vom Selbst
getrennt. Er ist das mit Maya assoziierte Selbst.
Das formlose Selbst kann nur durch das Wirken dessen,
was wir Upadhi nennen, als Form erscheinen.
Ein Upadhi ist, wie du dich vielleicht
erinnerst, ein begrenzender Zusatz. Etwas, das seine
Eigenschaften scheinbar auf etwas anderes überträgt.
Das klassische Beispiel im Vedanta ist ein klarer Kristall, der
in der Nähe einer roten Rose platziert ist. Wenn du dir der
Rose hinter dem Kristall nicht bewusst bist, könntest du
annehmen, dass du einen roten Kristall in der Hand hältst.
Tatsächlich wirkt die Rose wie ein Upadhi und verleiht dem
transparenten Kristall die Eigenschaft der Röte.
Auf die gleiche Weise wirkt Maya als Upadhi und lässt das
formlose, grenzenlose Selbst als ein Universum voller Formen
und Unterschiedlichkeiten erscheinen. Das mit dem Maya-Upadhi
assoziierte Selbst erscheint als Ishvara. Ishvara ist sowohl
die Substanz der Schöpfung als auch die Intelligenz und die
Gesetze, die diese Schöpfung regieren.
Das Selbst, das mit dem Upadhi eines individuellen grob- und
feinstofflichen Körpers assoziiert ist, erscheint als Jiva. So
wird aus reinem Gewahrsein, das keinerlei Form, Geschlecht oder
Eigenschaften irgendwelcher Art hat, scheinbar eine Person mit
einem spezifischen Körper und Geist, eine unter vielen
Milliarden.
Auch hier handelt es sich einfach um das Wirken eines Upadhis.
Das Selbst bleibt formlos, grenzenlos und nicht-dual, aber es
scheint Form und Begrenztheit anzunehmen.
Versunken in dieser Illusion von Maya nimmt sich das
menschliche Ego selbst als eine wirkliche, unabhängig
existierende Wesenheit wahr, obwohl es in Wirklichkeit nur eine
Erscheinung in Gewahrsein ist, geplagt von einem durch
Unwissenheit konditionierten Geist.
Der Jiva betrachtet sich als von den anderen, von der Welt und
von Ishvara getrennt. Das liegt daran, dass der Jiva sich als
Körper, Geist, Intellekt und Ego begreift, ohne zu erkennen,
dass all dies eine Überlagerung des Selbst ist. Alle
Verschiedenheiten gehören zur Welt der Formen und
Erscheinungen, zum Maya-Upadhi.
Ob das Selbst nun mit der gesamten Schöpfung assoziiert ist
(Ishvara), oder mit einem bestimmten Körper und Geist
identifiziert ist ( Jiva), in Wirklichkeit ist alles nur das
Selbst, so wie jeder Fluss und jeder Ozean nur Wasser
ist.
Das einzige, was einen scheinbaren Unterschied
erschafft, ist der eigene Bezugspunkt. Aus der
Perspektive der Ehefrau eines Mannes ist er ein Ehemann. Aus
der Perspektive seines Vaters ist er ein Sohn. Aus der
Perspektive seiner Schwester ist er ein Bruder. Aber es ist in
allen Fällen derselbe Mann, nur der Bezugspunkt unterscheidet
sich.
In gleicher Weise gibt es nur ein einziges Selbst, das in
verschiedenen Formen erscheint, während es in seiner Essenz
formlos und undifferenziert bleibt.
Im nächsten Artikel dieser Reihe wird der dreistufige
Prozess erläutert, durch den Vedanta gelehrt wird. Es wird
gezeigt, wie dieses Wissen über das Selbst zur Befreiung führt
und warum zuerst bestimmte „Qualifikationen“ vorhanden sein
müssen, damit diese Lehre wirksam werden kann.