Teil 6: Was ist das Selbst?

EINFÜHRUNG IN VEDANTA (RORY MACKAY)

Teil 6: Was ist das Selbst? Vedanta und die Macht der Selbsterkenntnis

Thema von Vedanta ist Selbst-Erkenntnis - die Erkenntnis von DIR selbst.

Dabei handelt es sich jedoch nicht um das „Du“, mit dem du dich höchstwahrscheinlich den größten Teil deines Lebens identifiziert hast - die Person, von der du glaubst, du wärst sie. Diese Person basiert auf der Beschaffenheit deines Körpers, deines Geistes, deiner Persönlichkeit, deinen verschiedenen Rollen, deinem Selbstbild oder deiner persönlichen Geschichte.

Vielleicht kannst du dich daran erinnern, dass wir im vorherigen Beitrag über Selbsterforschung dieses Selbstkonzept näher untersucht haben. Indem wir die Negation Schritt für Schritt durchgeführt haben, haben wir gezeigt, dass du nicht dein Körper, dein Verstand, dein Intellekt oder dein Ego sein kannst.

Was haben Körper, Verstand, Intellekt und Ego gemeinsam? Es sind alles Objekte deiner Wahrnehmung. Ob grobstofflich, wie der Körper, oder feinstofflich, wie der Geist, sie sind alle objektivierbar. Du kannst sie sehen, und das bedeutet, du kannst sie nicht sein. Der Erkennende ist immer vom Erkannten verschieden.

Im Vedanta entdecken wir die Wahrheit, indem wir das Falsche ausschließen. Wir gelangen zum Selbst, indem wir die falschen Annahmen aufheben, die wir in Bezug auf das Selbst getroffen haben. Dies betrifft insbesondere die Konzepte „Ich bin der Körper“, „Ich bin der Geist“, „Ich bin meine Gedanken und meine Geschichte“.

Wenn dies alles negiert wird als Objekte in Gewahrsein, Objekte, die vergänglich und Veränderungen und Modifikationen unterworfen sind, dann bleiben wir allein als Gewahrsein übrig.

Dies ist das Gewahrsein, in dem dein Körper, dein Geist, deine Gedanken und dein Ego auftauchen und wieder versinken. Ein Gewahrsein, das allgegenwärtig und unveränderlich ist - das Licht, durch das alle Dinge erkannt werden.

Das Selbst ist gewöhnliches, allgegenwärtiges Gewahrsein

Wie wir noch sehen werden, berichten die Upanishaden, die Quelltexte des Vedanta, in einer poetischen, pompösen und überhöhten Weise vom Selbst. Das kann den Anschein erwecken, dass das Selbst etwas Kosmisches, Hochfliegendes und Transzendentes ist, etwas, das von dem kleinen Alltagsmenschen, der uns allen so innig vertraut ist, weit entfernt ist.

In Wirklichkeit ist das Selbst dein gewöhnliches, alltägliches Gewahrsein. Es ist das Gewahrsein, das dein ganzes Leben lang aus deinen Augen geschaut hat und in dem jeder Anblick, jeder Ton, jedes Objekt, jeder Gedanke, jede Emotion, jeder Wunsch und jede Angst erfahren wurde.

„Das Selbst, das du bist, das Selbst, das du verwirklichen wirst, ist vollkommen gewöhnlich“, schreibt James Swartz. „Es ist das Gewahrsein, das deinen Geist dabei beobachtet, wie er diese Worte aufnimmt, mehr nicht. Es ist ganz und gar nicht unerreichbar. Es ist im Offensichtlichen verborgen. Es ist immer präsent und bleibt nur wegen eines Mangels an Verständnis weitgehend unbeachtet.“

Das Selbst ist reines Gewahrsein. Es ist das Gewahrsein, in dem die Welt der Objekte, einschließlich der grob- und feinstofflichen Körper, als Objekte der Wahrnehmung existieren.

Im normalen Sprachgebrauch wird das Wort „Gewahrsein“ oft in Bezug auf das Gewahrsein von etwas verwendet. Du sagst vielleicht: „Ich bin mir des Baumes gewahr oder bewusst“, oder „Ich bin mir bewusst, was heute Morgen am Arbeitsplatz passiert ist“. Dies unterstellt, dass Gewahrsein nicht konstant sei, dass es komme und gehe, dass es potenziell nicht vorhanden sein könnte. Ein solches Gewahrsein scheint ein begrenztes Gut zu sein, sonst bräuchten Aktivisten nicht das Bewusstsein/Gewahrsein für verschiedene Dinge „zu schärfen“!

Gewahrsein ist jedoch unabhängig vom Inhalt. Es ist der ewige Kontext, in dem der Inhalt erscheint. Unabhängig davon, wessen du dir bewusst oder nicht bewusst bist, bleibt Gewahrsein konstant. Es ist immer da. Es gibt keine Möglichkeit, Gewahrsein zu erlangen oder zu verlieren.

Randbemerkung: In diesem Kontext sind Gewahrsein und Bewusstsein gleichbedeutend. Ich verwende lieber das Wort Gewahrsein, weil viele das Wort „Bewusstsein“ mit dem Inhalt der eigenen Psyche, wie Gedanken, Erinnerungen, Überzeugungen usw., gleichsetzen.

(Im englischen Originaltext wird das Wort „Self“ groß geschrieben. Damit soll einfach das Selbst als reines Bewusstsein von dem „self“ unterschieden werden, für das sich die meisten Menschen halten, indem sie sich mit dem Körper-Geist-Sinnes-Komplex (d.h. dem Ego) identifizieren. In Wirklichkeit gibt es nur das Selbst und es ist nicht getrennt von dem, was du bist. In der deutschen Übersetzung wird das Ego-Selbst durch Kursivbuchstaben gekennzeichnet).


Die Glühbirnenmetapher

Obwohl das Selbst gewöhnliches, allgegenwärtiges Gewahrsein ist, ist dieses Gewahrsein entgegen der allgemeinen Vorstellung kein Teil, Produkt oder Eigenschaft des Körpers.

Wie soll Empfindungsfähigkeit aus etwas Empfindungslosen entstehen?

Der Körper-Geist-Sinnes-Komplex besteht selbst aus lebloser, empfindungsloser Materie. Um zu funktionieren, ist er von einem zweiten Prinzip abhängig.

Was Körper und Geist zum Leben erweckt, ist das Selbst. Gewahrsein segnet diesen leblosen Apparat mit Empfindungsfähigkeit, ähnlich wie die Sonne den Mond mit ihrem reflektierten Licht segnet. Der grobstoffliche und der feinstoffliche Körper werden daher durch das reflektierte Bewusstsein des Selbst belebt.

„Das Selbst ist das von allem reflektierte Licht.
Es scheint, und alles leuchtet daraufhin.“ 

Katha Upanishade

Swami Paramarthananda benutzt die Analogie einer Glühbirne, um dies zu erklären.

Die Glühbirne und der Glühfaden stellen den grobstofflichen und feinstofflichen Körper des Jivas (Individuums) dar. Für sich genommen sind Glühbirne und Glühfaden leblos/inaktiv und nicht in der Lage, Licht zu erzeugen.

Ein weiterer Faktor ist erforderlich - das unsichtbare Prinzip, durch das die Glühbirne zu einer Lichtquelle wird. Dies ist das Prinzip der Elektrizität.

Ähnlich wie bei der Elektrizität gibt es einen unabhängigen Faktor, der den ansonsten leblosen Körper-Geist-Sinnes-Komplexes durchdringt und ihm Leben schenkt. So wie Elektrizität auch dann weiterbesteht, wenn die Glühbirne zerbrochen ist, so ist auch dieses belebende Prinzip unbeeinflusst vom Zustand oder Verlust des Körpers. Der Körper mag nicht mehr da sein, aber das Selbst kann nirgendwo hingehen. Wie wir noch lernen werden, hat es keine Grenzen und weder Anfang noch Ende.

Auch wenn es Millionen von Glühbirnen geben mag, es gibt nur eine Elektrizität. Auch wenn es Milliarden von Jivas gibt, das Selbst, das sie durchdringt, erleuchtet und ihnen Leben verleiht, ist ebenfalls ein einziges.

„Das Selbst ist eins, auch wenn es viele zu sein scheint.“

Chandogya Upanishad

Die Natur des Selbst

Vedanta behauptet, dass Gewahrsein nicht vom Körper abhängig ist, sondern dass der Körper von Gewahrsein abhängig ist.

Dieses Gewahrsein, das Selbst, ist sowohl immanent als auch transzendent. Es ist sowohl persönlich, da es uns als Essenz dessen, was wir sind, zutiefst vertraut ist, als auch unpersönlich, da es universell ist. Tatsächlich gibt es keinen Unterschied zwischen dem individuellen Selbst und dem universellen Selbst. Nur der Bezugspunkt unterscheidet sich.

Dieses Selbst kann nicht in Form von Merkmalen beschrieben werden, weil es keine Merkmale hat.

Wie die Brahma-Sutras besagen:

„So wie Licht, das keine Form hat, aufgrund der Objekte, die es erhellt, verschiedene Formen zu haben scheint, so scheint das eigenschaftslose Selbst mit Eigenschaften ausgestattet zu sein.“

Wie wir dargelegt haben, ist die Natur (Svarupa) des Selbst Gewahrsein, aber es kann niemals objektiviert oder konzeptualisiert werden. Deshalb kann es nicht positiv beschrieben werden, sondern nur in Bezug auf das, was es nicht ist - d.h. ungeboren, unsterblich, zeitlos, grenzenlos usw.

Die einzige positive Aussage, die sich über das Selbst treffen lässt, ist, dass es selbst-evident und selbst-offenbarend ist. Es ist wie die Sonne. Man benötigt keine andere Lichtquelle, um die Sonne zu offenbaren. Die Sonne offenbart sich durch ihr eigenes Licht, und genauso verhält es sich mit Gewahrsein.

Die folgende Analyse des Selbst ist einem Kommentar entnommen, den ich zur Bhagavad Gita schreibe.

1. Das Selbst ist grenzenlos

„Das Selbst ist das, was grenzenlos, unvergänglich und unveränderlich ist. Es ist das, was allen Wesen Existenz verleiht und in ihnen als ihr innerstes Wesen wohnt.“

- Bhagavad Gita

Grenzenlos ist eine strenge Definition. Damit etwas als grenzenlos gelten kann, muss es zu ALLEN Zeiten grenzenlos sein. Es kann nicht einmal grenzenlos sein und dann irgendwann begrenzt.

Ferner kann ein Objekt niemals grenzenlos sein. Damit ein Objekt als Objekt existieren kann, ist eine Begrenzung notwendig (d.h. ein Objekt muss Grenzen haben).

Deshalb kann das Selbst kein Objekt sein. Es kann kein Objekt sein, weil es selbst das ewige Subjekt ist - also das, durch welches alle Objekte gekannt werden.

Da es grenzenlos ist, ist es unmöglich, seinen Anfang oder sein Ende zu finden. Es gibt keinen Ort, an dem es nicht ist, kein Ding, das es nicht ist, und keine Zeit, zu der es nicht ist.

Das kannst du tatsächlich in deiner eigenen Erfahrung überprüfen. Kannst du einen Anfang oder ein Ende deines Gewahrseins finden? Besitzt es eine Grenze, oder ist in ihm alles enthalten? Handelt es sich um ein junges Gewahrsein oder um ein altes Gewahrsein? Handelt es sich um ein männliches Gewahrsein oder ein weibliches?

Alles, was du über Gewahrsein sagen kannst, ist, dass es Gewahrsein ist, und dass es keine Grenze, keine Form, keine Gegenständlichkeit irgendeiner Art aufweist.

„Dieses Selbst wurde nie geboren, also kann es nie sterben.
Wenn der Körper stirbt, besteht das Selbst weiter.“

- Bhagavad Gita

Weil das Selbst grenzenlos ist, ist es auch unsterblich. Der Tod kann nur ein begrenztes Wesen treffen, das Veränderungen und Wandel unterworfen ist.

Wenn das Selbst grenzenlos ist, dann muss es die wirkliche Grundlage und die Gesamtheit oder Totalität der Existenz sein.

Auch ist es unmöglich, dass wir selbst etwas anderes als das Selbst sind - denn das würde wiederum Grenzen erfordern (d.h. etwas, was das Selbst nicht ist).

2. Das Selbst ist jenseits der Zeit

„ Allgegenwärtig und unveränderlich ist es ohne Anfang und ohne Ende.“

- Bhagavad Gita

Zeit betrifft nur die Welt der Objekte. Um unter dem Einfluss der Zeit zu stehen, müsste das Selbst sowohl ein Objekt sein als auch einer Begrenzung unterliegen.

In der Gita verneint Krishna dies. Er sagt zu Arjuna: „Es gab nie eine Zeit, in der ich nicht existierte, noch du, noch irgendeiner dieser Könige. Auch wird es nie eine Zeit geben, in der wir aufhören zu existieren.“

Offensichtlich spricht er nicht über ihre Körper, denn Körper haben eine endliche, zeitgebundene Existenz. Deshalb muss das Selbst vom Körper verschieden sein.

Das Selbst, das in seiner Natur Bewusstsein ist, ist kein Teil, Produkt oder Merkmal des Körpers. Es ist ein vom Körper unabhängiges Prinzip, das den Körper durchdringt und belebt. Es wird nicht durch die Grenzen oder Maße des Körpers begrenzt. Darüber hinaus wird es weder 'geboren', wenn der Körper erscheint, noch 'stirbt' es, wenn der Körper verschwindet.

Wir alle haben die Auffassung, dass wir zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort geboren wurden und dass wir davor nicht existierten. Es stimmt zwar, dass der Körper zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort geboren wurde und wir haben die Geburtsurkunde, um das zu beweisen, aber die Vorstellung, dass du vor diesem Körper nicht existiert hast, ist unbeweisbar.

Sie ist aus folgendem Grund nicht beweisbar: Um sagen zu können, dass es eine Zeit gab, in der du nicht existiert hast, müsstest du dabei gewesen sein, um es zu wissen. Nicht-Existenz wird also immer nur ein Konzept bleiben und nichts weiter.


  1. Das Selbst ist nicht-dual

„Unberührbar von allem in dieser Welt, ist das Selbst
alles durchdringend, unbeweglich und ewig.“

- Bhagavad Gita

Es gibt nur ein Selbst. Gewahrsein ist ein ungeteiltes Ganzes. Es hat keine Unterteilungen. Während die Welt der Formen den Sinnen als eine Dualität von 'dies' und 'das' erscheint, sind alle Objekte als Erscheinungen in Gewahrsein verbunden.

Obwohl ohne Form, durchdringt das Selbst alle Formen. Ähnlich wie Raum enthält es alle Dinge. So wie Raum eine Einheit ist, ungeachtet aller Objekte, die in ihm erscheinen, so ist auch das Selbst eine Einheit.

Swami Dayandana sagt: „Das Selbst ist nicht viele, es gibt nur ein Selbst. Weil die Formen, upadhis, viele sind, gibt es viele Menschen, während das Selbst ein ganzheitliches Bewusstsein ist, das nicht an Zeit gebunden ist.“

Während sich die Milliarden von Körpern und Gemütern auf der Welt alle unterscheiden, jeder scheinbar einzigartig ist, unterscheidet sich das Selbst, das deinen Körper und Geist belebt, nicht von dem Selbst, das meinen Körper und Geist belebt.

Swami Dayananda benutzte das Wort Upadhi. Das ist ein wichtiger Begriff, den es zu verstehen gilt.

Upadhi bedeutet 'begrenzender Zusatz'. Es handelt sich dabei um ein Objekt, das seine Eigenschaften scheinbar etwas anderem verleiht und es als etwas anderes erscheinen lässt, als es ist. Wenn zum Beispiel klares Wasser in einer roten Flasche aufbewahrt wird, erscheint das Wasser rot. Die Flasche ist ein Upadhi, das dem farblosen Wasser die Eigenschaft von „Röte“ verleiht.

Das Upadhi-Konzept erklärt, warum das Selbst, das laut Vedanta grenzenlos und ungebunden ist, begrenzt und gebunden erscheint.

Aufgrund des Upadhis des Körper-Geist-Sinnes-Komplexes nimmt das Selbst scheinbar die Eigenschaften des Körpers und des Geistes an, die begrenzt und zeitgebunden sind und Geburt, Tod, Leiden und Verfall unterliegen. Aber diese Eigenschaften gehören zu Körper und Geist, nicht zum Selbst.

Es stimmt zwar, dass Körper und Geist sich ständig verändern und Schmerzen und Leiden ausgesetzt sind, aber das Selbst ist von Schmerz und Leiden unbeeinträchtigt.

Das liegt daran, dass das Selbst einer anderen Ordnung der Realität angehört als der Körper-Geist-Sinnes-Komplex, so wie ein Spiegel einer anderen Ordnung der Realität angehört als die in ihm reflektierten Objekte. Du kannst die Gegenstände im Zimmer nach Belieben verändern, und dadurch verändert sich die Reflexion im Spiegel, aber der Spiegel selbst wird sich nicht verändern.

4. Das Selbst ist nicht-handelnd

„Erkenne mich (das Selbst) als jenseits des Tuns seiend, immer unveränderlich und frei. Taten berühren Mich (das Selbst) nicht. Ich habe weder einen persönlichen Wunsch zu handeln, noch sehne ich mich nach bestimmten Ergebnissen. Derjenige, der das Selbst als nicht-handelnd erkennt, ist nicht länger durch Karma gebunden.“

- Bhagavad Gita

Weil das Selbst grenzenlos, nicht-dual und jenseits der Zeit ist, ist es nicht-handelnd.

Gewahrsein hat keinen Status eines Handelnden, keine Täterschaft. Handlung auszuführen erfordert Bewegung - und Bewegung erfordert sowohl Begrenzung als auch Zeit. Deshalb kann das Selbst, da es grenzenlos und jenseits der Zeit ist, keine Handlung ausführen.

Die Sonne wirft ihr Licht auf die Welt und ermöglicht es dem Leben, zu existieren und zu gedeihen. Aber während die Sonne, das Licht, zwar der Faktor ist, durch den sich Leben ereignet, kann man jedoch nicht sagen, dass sie etwas „tut“.

Da das Selbst Akarta, handlungslos, ist und du das Selbst bist, bedeutet dies, dass Täterschaft auch nicht zu dir gehört. Es gibt einen weiteren Faktor, der für das Handeln verantwortlich ist (Ishvara), wie wir noch sehen werden, wenn wir die Natur des Handelns und der Täterschaft erforschen.

5. Das Selbst kann nicht als Objekt erfahren werden

„Da unmanifest, kann es nicht über die Sinne erfasst werden, und es ist frei von allen Veränderungen.“

- Bhagavad Gita

Das Selbst kann ebenso wenig als Objekt erfahren werden, wie das Auge sich selbst sehen oder eine Kamera ein Bild von sich selbst machen kann.

Die Existenz sowohl des Auges als auch der Kamera kann jedoch aufgrund der Bilder, der Objekte, die sie sichtbar machen, geschlussfolgert werden. Die Kamera kann kein Bild von sich selbst machen, aber die Tatsache, dass die Bilder existieren, ist ein Beweis dafür, dass die Kamera existiert.

Die Existenz von Objekten setzt ein Subjekt voraus.

Obwohl das Selbst, das subtiler ist als Körper, Geist und Intellekt, nicht als Objekt erlebt werden kann, existiert es zweifellos, denn es ist dasjenige, durch das alle Objekte gekannt werden.

6. Das Selbst ist selbst-evident und selbst-enthüllend

„Das Selbst ist das, was all-wissend, alles durchdringend, zeitlos, Ursache und Bestimmer aller Dinge ist, jenseits von Form, strahlend wie die Sonne, jenseits von Wissen und Nichtwissen.“

- Bhagavad Gita

Eine andere Metapher für das Verständnis des Selbst ist der Gedanke an eine Kinoleinwand.

Das Selbst ist das Licht, das den Film auf der Leinwand erscheinen lässt.

Während du den Film siehst, wirst du vollständig von den flackernden Bildern gefangen genommen, die auf der Leinwand tanzen. Du identifizierst dich mit den Figuren und lässt dich von der Handlung mitreißen, die für dich während des Films völlig real wird. Dein Puls wird schneller, während sich das Drama entfaltet. In tragischen Momenten sind deine Augen voller Tränen, humorvolle Momente bringen dich zum Lachen und horrorartige Momente bringen dich zum Zittern oder Schreien.

Doch ist alles, was du die ganze Zeit erlebst, Licht, das auf eine Leinwand projiziert wird.

In dem Moment, in dem das Licht erlischt, ist das Bild verschwunden und mit ihm die imaginäre Welt des Films.

Das Licht war wesentlich für den Film. Wahrscheinlich warst du dir dessen nicht einmal bewusst, weil du so in der Projektion versunken warst. Aber das Licht war immer präsent. Dennoch war das Licht, das die Existenz des Films ermöglichte, unbeeinflusst und unverändert von den Bildern auf der Leinwand.

In ähnlicher Weise ist das Selbst dasjenige, das der gesamten Schöpfung erlaubt, sich zu entfalten, und doch handlungslos und unbeeinflusst von dem Tanz bleibt.

Gewahrsein ist seiner Natur nach selbst-evident und selbst-offenbarend. Ähnlich wie das Kinolicht ist es dasjenige, durch das alle Dinge gekannt werden, und dasjenige, von dem alle Dinge für ihre Existenz abhängen.


Existenz und ausgeliehene Existenz

Im zweiten Kapitel der Bhagavad Gita spricht Krishna zu Arjuna:

„Das Unwirkliche existiert nicht, und das Wirkliche hört nie auf zu sein.“

Die Unterscheidung zwischen dem Wirklichen/Realen (Satya) und dem Unwirklichen/Irrealen (Mithya) zu verstehen, ist der Schlüssel zur Befreiung.

Jedem Objekt können zwei Bestandteile zugeschrieben werden: sein Wesen/seine Essenz und seine Form.

Das Wesen eines Gegenstandes ist seine wirkliche Natur: das, was immanent, dauerhaft und unabhängig existent ist. Die Essenz ist für seine Existenz auf nichts anderes angewiesen. Dies ist im Vedanta die Definition von „real/wirklich“. In Sanskrit wird es als Sat oder Satya bezeichnet.

Im Gegensatz dazu existiert die Form eines Objekts, seine nebensächliche Natur, nicht unabhängig. Sie leiht sich ihre Existenz von Satya, ist zeitgebunden und Veränderungen und Verlust unterworfen.

Im Unterschied zu Satya sind alle Formen vergänglich und unbeständig. Der Fachausdruck in Sanskrit dafür ist Mithya, was „unwirklich“ bedeutet.

Kurz gesagt ist Satya die unabhängige Ursache und Mithya die abhängige Wirkung.

Shankara bediente sich der Analogie von Tontopf und Ton. Obwohl die Annahme, dass „der Topf existiert“, auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen mag, hat der Topf in Wirklichkeit keine eigenständige Existenz. Er leiht sich seine Existenz vom Ton.  „Topf“ ist nur ein Name und eine Form, die dem Ton gegeben wurden. Als solche ist er zeitgebunden. Es gab eine Zeit, in der der Topf nicht existierte, und wenn er zerbricht, wird es eine Zeit geben, in der er aufhört zu existieren. Der Ton wird bleiben, aber der Topf wird verschwunden sein.

Der Topf ist also Mithya und der Ton ist Satya. Da Mithya nur eine aus Name und Form bestehende Ausgestaltung ist, ist Mithya für seine Existenz immer auf Satya angewiesen.

Die Fähigkeit, zwischen Satya und Mithya zu unterscheiden, ist entscheidend für die Befreiung des Geistes. Das meint Krishna, wenn er sagt: „Das Unwirkliche existiert nicht, und das Wirkliche hört nie auf zu sein“.

Im Kontext dieser Erörterung ist nur das Selbst allein Satya - real. Die gesamte Welt der phänomenalen Erfahrung, einschließlich der grob- und feinstofflichen Körper, ist Mithya - nur scheinbar real.


Verwechslung von Wirklichkeit und Unwirklichkeit

Die Verwechslung von Satya und Mithya ist die Wurzel all unseres Leids.

Diese Verwechslung ist das Ergebnis einer gegenseitigen Überlagerung.

An jedem Wahrnehmungsvorgang sind zwei subtile Faktoren beteiligt.

Der erste ist Objekt-Wissen - die Erkenntnis des Objekts, das wir wahrnehmen.

Der zweite ist das Wissen um das, was Shankara „Ist-heit“ nennt, d.h. das Prinzip der Existenz.

Wir sehen den Topf (Objekt-Wissen) und wir sagen, der Topf existiert (Existenz-Wissen). Objekt-Wissen bezieht sich auf Mithya, und der Gedanke an Existenz oder Ist-heit bezieht sich auf Satya.

Unser Irrtum besteht in der Vermischung der beiden.

Durch einen Prozess gegenseitiger Überlagerung überlagern wir dem Objekt die Ist-heit in dem Glauben, das Objekt selbst besitze eine unabhängige Existenz, es sei Satya, wirklich.

Deshalb sagen wir auch: „Der Körper ist.“ Wir glauben, der Körper habe eine eigene unabhängige Existenz und nicht nur eine entliehene Existenz.

Gleichzeitig überlagern wir Satya mit den Eigenschaften von Mithya. Deshalb nehmen wir an, dass die Eigenschaften von Körper und Geist zum Selbst gehörten.

Wie klares Wasser, das aufgrund seiner Nähe zur roten Glasflasche rot zu sein scheint, scheint das Selbst die Eigenschaften des Körpers und des Geistes zu besitzen. Deshalb sagen wir: „Ich bin glücklich“, „Ich bin traurig“, „Ich bin dick“, „Ich bin dünn“.

Dies ist ein Wahrnehmungsfehler, verursacht durch Unwissenheit/Ignoranz.

Wie die Bhagavad Gita sagt, ist das Selbst frei von allen Eigenschaften und frei von Begrenzung oder Objektivierung. Wenn das Selbst grenzenlos und ohne Merkmale ist, wie könnte es - wie könnte ich - überhaupt glücklich, traurig, dick oder dünn sein?

Solange du dich mit dem Körper oder dem Geist identifizierst, bist du ihren Missständen unterworfen. Aber sobald du deinen Bezugspunkt der Identität von Mithya nach Satya, vom Körper und Geist hin zu Gewahrsein verlagerst, bist du frei von jeder Begrenzung.


Die ultimative Wahrheit in drei Worten

Vedanta lässt sich in seiner Gesamtheit in drei Worten zusammenfassen:

Tat Tvam Asi - Das bist Du.

„Das“ bezieht sich auf Brahman, ein anderer Name für das Selbst, die Realität, die allem zugrunde liegt, was existiert. Brahman ist Satya, die innewohnende, alles durchdringende, unveränderliche Existenz, von der alle phänomenalen Objekte ihre geliehene Existenz beziehen.

Alles, was existiert, ist Brahman. Brahman plus Name und Form ist das, was wir als phänomenale Welt wahrnehmen, so wie Ton plus Name und Form das ist, was wir als Topf wahrnehmen.

„Du“ bezieht sich auf den Jiva, das Individuum, den Körper-Geist-Sinnes-Komplex, der sich selbst als eine Person mit einer eigenen zu ihm gehörenden Existenz versteht.

Der letzte Teil der Gleichung, „bist“, verbindet die beiden.

Folglich bedeutet es: „Du bist Brahman.“

Wenn dieses Wissen eine sich selbst offenbarende Tatsache wäre, gäbe es keinen Bedarf für Vedanta. Menschen, die wissen, dass sie sich nicht von diesem unveränderlichen, allgegenwärtigen Selbst unterscheiden, wären nicht Samsara unterworfen.

Samsara entspringt der Unwissenheit dieser Tatsache.

Der Weise Nisargadatta Maharaj sagte einmal:

„Die Erscheinung für die Wirklichkeit zu halten, ist eine schwere Sünde und die Ursache allen Unglücks. Du bist das alles durchdringende, ewige und unendliche Gewahrsein-Bewusstsein. Alles andere ist ortsgebunden und vorübergehend. Vergiss nicht, was du bist.“

Die Unfähigkeit, Satya von Mithya zu unterscheiden, schafft für den Jiva eine Welt des Leidens. Der ganze Zweck von Vedanta besteht darin, diese Verwirrung aufzulösen.

Durch die Erklärung „Das bist Du“ wird das „Du“, der Jiva, im Wesentlichen negiert. Er entpuppt sich als Mithya, also nur als Erscheinung.

Du bist „Das“ - das Selbst - die zugrunde liegende Realität, die Satya ist.

Shankara fasste die Essenz der vedantischen Lehre in einem einzigen Satz zusammen:

„Brahman allein ist Satya (real), die Welt ist Mithya (unwirklich), und der Jiva unterscheidet sich nicht von Brahman.“

Wir haben festgestellt, dass die Welt Mithya ist. Alle wahrnehmbaren Objekte sind zeitgebunden, begrenzt und haben keine eigene, ihnen zugehörige Existenz. Sie sind von einem anderen Faktor für ihre Existenz abhängig.

Denke an einen goldenen Ring. Obwohl wir ihn als „Ring“ bezeichnen, hat der Ring keine eigene, unabhängige Existenz. Vielmehr haben wir Gold sowie einen Namen und eine Form.  Wenn wir es einschmelzen, wird der Ring - der Name und die Form - zerstört, aber das Gold bleibt. War es überhaupt jemals wirklich ein „Ring“?

Auf dieselbe Weise leiht sich die gesamte Mithya-Welt die vorübergehende Existenz von Satya, dem Selbst, aus. Deshalb beendet Shankara den Satz mit der Beteuerung, dass der Jiva in Wahrheit nicht vom Selbst getrennt ist.

Jivasein oder Menschsein ist ein Konzept, das dem Selbst überlagert ist. Swami Dayananda nannte es „einen Fehler der Selbst-Identität, den nur die Lehre auflösen kann.“


Die befreiende Kraft der Selbsterkenntnis

Das Selbst ist reines Gewahrsein, die unveränderliche Leinwand, auf die die gesamte phänomenale Welt wie eine Fata Morgana projiziert wird. Alles durchdringend ist dieses Gewahrsein ohne Teile und unteilbar.

In der Bhagavad Gita heißt es: „Das Selbst wurde nie geboren und kann daher nie sterben.“. Während Körper sterben, abgelegt wie abgenutzte alte Kleider, eignet sich das Selbst einfach neue Körper an. „Es ist allgegenwärtig und unveränderlich, es ist ohne Anfang und Ende.“

Wenn das Selbst grenzenlos und unberührt von allem in dieser Welt ist - und ich das Selbst bin - dann ist mein Gefühl von Mangel, Unzulänglichkeit und Bedürftigkeit unberechtigt. Es beruht auf der Unkenntnis meines Wesens. Wenn ich mich selbst als einen Körper betrachte, an dem der Zahn der Zeit nagt, der von Verletzungen, Krankheit und Tod heimgesucht wird, dann werde ich von Begrenzungen geplagt. Doch Krishna stellt klar: „Du trauerst um das, was keine Trauer rechtfertigt.“

Das Erwachen der Selbsterkenntnis, die Erkenntnis, dass du von Natur aus frei, selbst-strahlendes Gewahrsein und die Quelle des eigenen Glücks bist, ist das Licht, das das dunkle Leiden der Unwissenheit vertreibt.


Es gibt nur einen Faktor in der Existenz

Das entscheidende Verständnis im Vedanta ist, dass es trotz des Erscheinens von Dualität eigentlich nur einen einzigen Faktor in der Existenz gibt, nämlich Brahman oder das Selbst - das Ewige, Vollkommene, Unteilbare, jenseits von Zeit und Form Liegende.

Die Natur des Selbst ist Sat Chit Ananda: Existenz, Bewusstsein und Glückseligkeit.

Wenn wir das Selbst als „Bewusstsein“ bezeichnen, verwenden wir den Begriff etwas anders als im allgemeinen modernen Sprachgebrauch. Wir sprechen von reinem, unkonditioniertem Bewusstsein, d.h. Bewusstsein vor dem Bewusstsein von „diesem“ oder „jenem“.

Dieses Bewusstsein ist gleichbedeutend mit Gewahrsein, dem Licht, durch das alle Objekte wahrgenommen und erfahren werden. Ein Licht, das für immer gegenwärtig und immer unberührt von diesen Objekten der Wahrnehmung und Erfahrung ist.

Noch einmal: Dies ist nicht irgendeine Art von erhöhtem oder „besonderem“ Gewahrsein, das man nur durch jahrelange Praxis von fortgeschrittenem Yoga und tiefer Meditation erlangen kann.

Dieses Gewahrsein ist bereits als die eigentliche Essenz dessen gegenwärtig, was du bist: die allgegenwärtige Leinwand, auf der die grobstofflichen Objekte der physischen Welt und die feinstofflichen Objekte deiner inneren mentalen Welt vor dir erscheinen.

Es ist dieses ganz gewöhnliche, alltägliche Gewahrsein, das während deiner gesamten Existenz präsent ist - das Licht, durch das alle Dinge gekannt werden. Aber du bist dir seiner nur selten, wenn überhaupt, bewusst.

Eine weitere mögliche Verwirrung kann durch die Verwendung des Wortes „Glückseligkeit“ entstehen. Es handelt sich nicht um eine erfahrbare Glückseligkeit, im Sinne von mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht herumlaufen. Es ist die Glückseligkeit, die darin liegt, das zu sein, was allein ist. Das zu sein, was in jeder Hinsicht grenzenlos ist. Tatsächlich ist das Wort für grenzenlos Ananta, was vielleicht eine bessere Umschreibung wäre als Ananda.

Wenn dieses Selbst grenzenlos ist, dann muss die Wirklichkeit nicht-dual sein. Es kann nichts anderes als das Selbst geben, weil sonst eine Dualität entstehen würde, die eine Begrenzung des Selbst erfordern würde.

Letztendlich ist es falsch zu sagen, dass das Selbst existiert. Das Selbst ist die Existenz, die ewige Grundsubstanz von allem, was manifest und unmanifest ist. Alles, was existiert, kann nur deshalb als existent bezeichnet werden, weil es seine Existenz dem Selbst entleiht, so wie eine Welle ihre Existenz dem Ozean entleiht oder der Topf seine Existenz dem Ton.


Das Selbst, die Welt und die Person

Aus diesem grenzenlosen und nicht-dualen Selbst entsteht eine begrenzte und endliche Welt der Dualität.

Dies geschieht mit Hilfe von Maya, einer dem Selbst innewohnenden Macht, die es dem formlosen Einen erlaubt, scheinbar zu einem ganzen Universum der Vielfalt zu werden.

Da das Selbst der einzige Faktor in der Existenz ist, kann sich dieses Universum der Formen nicht vom Selbst unterscheiden. Es erscheint im Selbst und ist aus dem Selbst gebildet, auf dieselbe Weise, wie eine Traumwelt im Bewusstsein des Träumenden erscheint und aus demselben Bewusstsein gebildet ist.

So erscheint Nirguna Brahman, das Selbst ohne Form, als Saguna Brahman, das Selbst mit Form.

Ein anderes Wort für Saguna Brahman ist Ishvara. Im Vedanta ist Ishvara oder Gott der Name, der dem mit Maya assoziierten Selbst gegeben wird.

Ishvara wird sowohl als die Intelligenz gesehen, die die phänomenale Welt formt, als auch als die grundlegende Substanz, aus der sie erschaffen wird. Ishvara ist nicht vom Selbst getrennt. Er ist das mit Maya assoziierte Selbst.

Das formlose Selbst kann nur durch das Wirken dessen, was wir Upadhi nennen, als Form erscheinen.

Ein Upadhi ist, wie du dich vielleicht erinnerst, ein begrenzender Zusatz. Etwas, das seine Eigenschaften scheinbar auf etwas anderes überträgt.

Das klassische Beispiel im Vedanta ist ein klarer Kristall, der in der Nähe einer roten Rose platziert ist. Wenn du dir der Rose hinter dem Kristall nicht bewusst bist, könntest du annehmen, dass du einen roten Kristall in der Hand hältst. Tatsächlich wirkt die Rose wie ein Upadhi und verleiht dem transparenten Kristall die Eigenschaft der Röte.

Auf die gleiche Weise wirkt Maya als Upadhi und lässt das formlose, grenzenlose Selbst als ein Universum voller Formen und Unterschiedlichkeiten erscheinen. Das mit dem Maya-Upadhi assoziierte Selbst erscheint als Ishvara. Ishvara ist sowohl die Substanz der Schöpfung als auch die Intelligenz und die Gesetze, die diese Schöpfung regieren.

Das Selbst, das mit dem Upadhi eines individuellen grob- und feinstofflichen Körpers assoziiert ist, erscheint als Jiva. So wird aus reinem Gewahrsein, das keinerlei Form, Geschlecht oder Eigenschaften irgendwelcher Art hat, scheinbar eine Person mit einem spezifischen Körper und Geist, eine unter vielen Milliarden.

Auch hier handelt es sich einfach um das Wirken eines Upadhis. Das Selbst bleibt formlos, grenzenlos und nicht-dual, aber es scheint Form und Begrenztheit anzunehmen.

Versunken in dieser Illusion von Maya nimmt sich das menschliche Ego selbst als eine wirkliche, unabhängig existierende Wesenheit wahr, obwohl es in Wirklichkeit nur eine Erscheinung in Gewahrsein ist, geplagt von einem durch Unwissenheit konditionierten Geist.

Der Jiva betrachtet sich als von den anderen, von der Welt und von Ishvara getrennt. Das liegt daran, dass der Jiva sich als Körper, Geist, Intellekt und Ego begreift, ohne zu erkennen, dass all dies eine Überlagerung des Selbst ist. Alle Verschiedenheiten gehören zur Welt der Formen und Erscheinungen, zum Maya-Upadhi.

Ob das Selbst nun mit der gesamten Schöpfung assoziiert ist (Ishvara), oder mit einem bestimmten Körper und Geist identifiziert ist ( Jiva), in Wirklichkeit ist alles nur das Selbst, so wie jeder Fluss und jeder Ozean nur Wasser ist.

Das einzige, was einen scheinbaren Unterschied erschafft, ist der eigene Bezugspunkt. Aus der Perspektive der Ehefrau eines Mannes ist er ein Ehemann. Aus der Perspektive seines Vaters ist er ein Sohn. Aus der Perspektive seiner Schwester ist er ein Bruder. Aber es ist in allen Fällen derselbe Mann, nur der Bezugspunkt unterscheidet sich.

In gleicher Weise gibt es nur ein einziges Selbst, das in verschiedenen Formen erscheint, während es in seiner Essenz formlos und undifferenziert bleibt.

Im nächsten Artikel dieser Reihe wird der dreistufige Prozess erläutert, durch den Vedanta gelehrt wird. Es wird gezeigt, wie dieses Wissen über das Selbst zur Befreiung führt und warum zuerst bestimmte „Qualifikationen“ vorhanden sein müssen, damit diese Lehre wirksam werden kann.