Es gibt ein gewisses Paradoxon im Vedanta, wenn es um die Frage
der Notwendigkeit spiritueller Praktiken wie Meditation, Yoga
und Selbsterforschung geht.
Auf der einen Seite erklärt die Lehre ganz eindeutig, dass das
Selbst bereits verwirklicht ist - denn tatsächlich ist es die
Essenz dessen, was du bist. Du kannst dich nicht „finden“, weil
du du selbst BIST.
Wie ich im vorangegangenen Artikel geschrieben habe:
Erleuchtung ist nicht etwas, das du dir aneignen oder dir
selbst hinzufügen musst.
Vedanta enthüllt, dass du bereits frei bist. Du bist
bereits das Selbst, unsterblich, ewig und alles durchdringend.
Dein Problem ist lediglich mangelndes Wissen darüber, wer du
bist.
Daher ist es allein das Wissen, das dich
befreit, indem es die Hindernisse beseitigt, die dich bisher an
der Erkenntnis gehindert haben, dass Freiheit deine Natur
ist.
Widerspricht das nicht der Notwendigkeit spiritueller Praxis?
Die Antwort ist nicht einfach ein Ja oder ein Nein, wie wir
noch sehen werden.
Das Selbst ist kein Bewusstseinszustand, der erreicht werden
kann. Wäre es ein 'Zustand', würde das Selbst vergänglich sein,
denn jeder Zustand, der erreicht werden kann, kann auch wieder
verloren gehen.
Das Selbst ist Bewusstsein selbst: das reine, ungeteilte,
unkonditionierte Bewusstsein, in dem alle Zustände erfahren
werden.
Der vorherige und der Artikel 'Was ist das Selbst? Vedanta und
die Macht der Selbsterkenntnis' befassten sich mit der Natur
des Selbst. Wir haben gesagt, dass Erleuchtung keine
'Errungenschaft' im eigentlichen Sinne ist. Sie ist die
Beseitigung der Selbstignoranz.
Diese Selbstignoranz ist die eigentliche Wurzel von
Samsara.
Samsara ist das existentielle Leiden, das aus der Suche nach
Glück, Vollständigkeit und Sicherheit in der Welt der Objekte
resultiert.
Wir haben das Problem als Unwissenheit erkannt. Die einzige
Lösung für Unwissenheit ist Wissen. Wissen vertreibt
Unwissenheit genauso wie die Sonne nächtliche Dunkelheit
vertreibt. Um Wissen zu erwerben, muss man nur die geeigneten
Mittel des Wissens finden und anwenden.
Für Selbsterkenntnis ist das Mittel der Erkenntnis Vedanta.
Vedanta verfügt über eine Vielzahl von Prakriyas,
Lehren/Unterweisungen, die der systematischen Beseitigung von
Unwissenheit und dem Erlangen von Selbsterkenntnis dienen. Wir
werden den dreistufigen Prozess der Unterweisung im nächsten
Artikel untersuchen.
Vedanta funktioniert ein bisschen wie die Deinstallation eines
alten Betriebssystems und die Installation eines neuen. Das
alte Betriebssystem basierte auf Unwissenheit und hatte seinen
Ursprung in der falschen Identifizierung des Selbst als den
Körper-Geist-Sinnes-Komplex. Das neue Betriebssystem richtet
deine Identität auf Gewahrsein aus. Dafür musst du nur deinen
Verstand konsequent der Lehre aussetzen.
Alles ist von der Qualität deines Geistes/Gemüts
abhängig.
Damit das allerdings funktioniert, musst du
zuerst die Beschaffenheit deines Geistes betrachten.
So wie Samen nur auf einem fruchtbaren, vorbereiteten Feld
wachsen können, können die Samen der Selbsterkenntnis
nur in einem entsprechend reinen, stabilen und kontemplativen
Geist keimen.
Wenn nicht darauf geachtet wird, ein
beständiges, ruhiges Gemüt zu kultivieren, wird das Gemüt/der
Geist immer zu seinem Standard zurückkehren. Im Fall des
Samsari ist das ein Geist, der von hartnäckigen Begierden,
Anhaftungen und Abneigungen beherrscht wird und der in
gewohnter Weise weiterhin vergeblich nach Glück und Erfüllung
in weltlichen Dingen strebt.
Für einen solchen Geist ist es unmöglich, Selbsterkenntnis zu
verinnerlichen. Deshalb hat Vedanta für den
Durchschnittsmenschen keine Bedeutung. Es braucht einen reifen
und kultivierten Geist, um dieses Wissen zu schätzen,
geschweige denn, es zu verwirklichen.
Ursprünglich war Vedanta für Yogis gedacht, also für Menschen
mit einem sehr disziplinierten, verfeinerten, kristallklaren
Geist.
Wenn der Schüler einen ausreichend reinen, sattvischen Geist
aufweist, kann für die Befreiung das bloße Hören der Worte
eines Lehrers genügen. Solche Menschen sind jedoch extrem
selten - erst rechtin unserer heutigen chaotischen, Werte
kompromittierten Gesellschaft mit all ihren Ablenkungen,
Konflikten und alltäglichen Belastungen.
Obwohl es auf der Welt viele Menschen gibt, die nach
Erleuchtung suchen, wird nur eine kleine Anzahl von ihnen
jemals ihr Ziel erreichen.
Ihr Erfolg oder Misserfolg hängt nicht von der Launenhaftigkeit
des Schicksals ab, sondern davon, inwieweit sie ein hinreichend
fruchtbares Gemüt kultiviert haben, damit die Samen der
Selbsterkenntnis keimen können.
Damit Selbsterkenntnis Früchte hervorbringen und den
Geist von Samsara befreien kann, muss der Schüler bestimmte
Qualifikationen, bestimmte Geistesqualitäten besitzen.
Ob du Befreiung erlangst oder nicht, hängt davon
ab, ob diese Qualifikationen vorhanden sind oder nicht.
Um im Leben etwas zu erreichen, benötigt man bestimmte
Qualifikationen. Wenn du darüber nachdenkst, ergibt das
durchaus Sinn.
Wenn du an der Universität ein bestimmtes Fach studieren
möchtest, gibt es Zugangsvoraussetzungen. Ein Studium zu
beginnen, ohne die notwendigen Qualifikationen und Grundlagen
für dieses Fach zu besitzen, ist für jeden Zeitverschwendung.
Du benötigst ein solides Fundament, auf dem du aufbauen
kannst.
Wenn du einen Marathon laufen oder Berge besteigen willst,
musst du in erster Linie die nötige Fitness und Ausdauer
mitbringen. Um diese Qualifikation zu erlangen, musst du
regelmäßig trainieren: Fitness, Krafttraining, gesunde
Ernährung pflegen usw.
Vedanta ist da nicht anders. Damit die Lehre funktioniert, muss
der Geist erst einmal vorbereitet werden.
Vedanta selbst ist eigentlich recht einfach. Man setzt sich
hin, hört der Lehre zu, löst mit Hilfe eines Lehrers alle
Zweifel auf und wendet sein Wissen auf das Gemüt an. Dann wirkt
die dem Wissen innewohnende Magie so, wie das Einschalten eines
Lichtes in einem abgedunkelten Raum automatisch die Dunkelheit
vertreibt.
Der herausfordernde Teil besteht also darin, dafür zu sorgen,
dass der Verstand qualifiziert ist (und bleibt). Ein reifer,
verfeinerter, vorbereiteter Verstand ist absolut
unerlässlich.
In Tattva Bodha beschreibt Shankara vier
Hauptqualifikationen.
1. Unterscheidungsfähigkeit (Viveka)
Unterscheidungsfähigkeit ist die Fähigkeit,
zwischen dem Vergänglichen und dem Ewigen zu unterscheiden, ein
gesundes Urteilsvermögen zu entwickeln und Entscheidungen zu
treffen, die auf einem klaren Verständnis von Dharma und den
entsprechenden Werten basieren.
Mangelndes Unterscheidungsvermögen hält dich in der Welt von
Mithya, der Welt der sich ständig wandelnden Formen, gefangen.
Dabei bist du dir des unveränderlichen Grundsubstrats, Satya
bzw. des Selbst, nicht bewusst.
Dadurch, dass du Erscheinungen als wirklich ansiehst, bleibst
du ein Opfer der ungezügelten Vorlieben und Abneigungen des
Geistes und bist seinen Konditionierungen und niedersten
Instinkten unterworfen. Wie eine Marionette bleibst du an den
Zyklus von Verlangen, Anhaftung und Kummer in Samsara
gefesselt. Wie wir gesehen haben, setzt dies den Geist außer
Gefecht und macht Unterscheidung unmöglich. Auf diese Weise
bleibt das Problem mit Samsara bestehen.
In „Vedanta: Das Gesamte Bild“ sagt Swami Paramarthananda:
„Unterscheidungsfähigkeit ermöglicht uns, die Grenzen des Strebens nach weltlichen Zielen als Mittel für Erfüllung zu erkennen und die Notwendigkeit einzusehen, stattdessen Moksha anzustreben. Mit Unterscheidungsfähigkeit können wir zwischen vergänglichen weltlichen Vergnügungen und dauerhafter spiritueller Befreiung, zwischen Illusion und Wahrheit, zwischen Unwissenheit und Wissen differenzieren. Unterscheidungsfähigkeit hält uns auf dem richtigen Pfad und ermöglicht uns, mit Klarheit zu sehen und uns über unser wahres Ziel im Klaren zu sein.“
2. Leidenschaftslosigkeit (Vairagya)
Leidenschaftslosigkeit ist die zweite Hauptqualifikation.
Ein klares Unterscheidungsvermögen führt auf natürliche Weise
zu Leidenschaftslosigkeit in Bezug auf die Welt der
Sinnesobjekte. Wenn du verstehst, dass alle Objekte vergänglich
und nicht imstande sind, dauerhaftes Glück zu schenken,
entwickelt sich allmählich eine leidenschaftslose Haltung.
Anstatt sich an weltliche Dinge zu klammern, gibst du bindende
Anhaftungen auf und lässt Dinge ohne erkennbaren Kummer oder
Stress kommen und gehen.
Swami Paramarthananda führt das weiter aus:
„Wenn wir erkennen, dass unsere Anhaftung an weltliche Dinge nur eine Form von Unfreiheit ist, wird sie nicht länger unsere oberste Priorität im Leben sein. Bestimmte Dinge werden immer noch für unser Überleben benötigt, wie z. B. Geld, Nahrung und Unterkunft. Aber unser primäres Streben ist nun die Befreiung von der Abhängigkeit von Objekten, und dies wird nur durch die Selbsterkenntnis erreicht, was zu Moksha führt.“
Wie Ramana Maharshi sagte: „Lass kommen, was kommt, und lass gehen, was geht. Siehe, was bleibt.“
3. Sechsfacher innerer Reichtum (Shad
Sampathi)
Die nächste Qualifikation bezieht sich auf Disziplin und besteht aus sechs Elementen.
1. Beherrschung des Geistes
(Sama)
Zuerst musst du lernen, den Verstand und die Sinne zu
kontrollieren. Solange du diese Fähigkeiten nicht beherrschst,
bleibst du ihr Sklave. Anstatt dich blind von deinen
Konditionierungen und Vasanas (der Neigung, vergangene
Handlungen zu wiederholen) leiten zu lassen, lernst du,
Stellung zu beziehen und die Kontrolle über deinen eigenen
Verstand zu behalten. Dies ist das Kennzeichen eines reifen
Menschen. Wie Swami Paramarthananda anmerkt, bedeutet dies
nicht Verdrängen, sondern Sublimierung, indem „wir lernen,
unsere Gedanken bewusst zu regulieren, zu kanalisieren und zu
lenken, um Ängste, Stress und Depressionen zu vermeiden“. Der
Geist ist dein primäres Werkzeug und muss auf angemessene und
gesunde Weise konditioniert und genutzt werden - und zwar auf
eine Weise, die im Einklang mit Dharma steht. Du allein
entscheidest, wo dein Geist verweilt. Du hast die Macht, dich
zu weigern, Gedanken und Wünsche zu hegen, die deiner Natur
schaden und deine wahren Ziele und höchsten Ziele
verdunkeln.
2. Beherrschung der
Sinne (Dama)
Wenn du erst einmal den Geist beherrschst, dann hast du
natürlich auch die Kontrolle über die Sinne, wie Sehen, Hören,
Sprechen und so weiter. Das bedeutet, dass du nicht mehr Opfer
von zwanghaften Begierden und Süchten und dem Bedürfnis bist,
deine Sinne kontinuierlich zu füttern. Du fungierst eher als
Torwächter deiner Sinne, als dass du sie davongallopieren
lässt, denn das führt unweigerlich zu einem aufgewühlten oder
abgestumpften Geist. Die Beherrschung der Sinne bedeutet, dass
du deine Sinne in Bezug auf den Input als auch auf den Output
selbstbestimmt lenkst.
3. Rückzug von
Sinnesobjekten (Uparama)
Diese Qualifikation knüpft an die beiden vorherigen an. Die
Fähigkeit, sich von Sinnesobjekten zurückzuziehen, ist ein
wichtiger Teil der inneren Disziplin. Ein Gemüt, das ständig an
weltlichen Objekten und Sinnesfreuden hängt, ist ein
extrovertiertes Gemüt. Das kann ein großes Hindernis für das
Streben nach Selbsterkenntnis sein. Du wirst nie die nötige
Zeit, Energie oder Motivation haben, um nach Moksha zu streben,
solange du auf weltliche Ziele, Wünsche und Vergnügungen
fixiert bist. Diese Qualifikation ist mit
Unterscheidungsfähigkeit und Leidenschaftslosigkeit
verknüpft.
Wenn du gegenüber weltlichen Genüssen eine objektivere,
leidenschaftslose Haltung einnimmst und dein wahres Ziel klar
vor Augen hast, ist es leichter, den Geist davon loszulösen und
zu verhindern, dass er von der Begierde nach Sinnesobjekten
vereinnahmt wird. Indem du Verstand und Sinne bewusst lenkst,
ziehen sie sich auf natürliche Weise von Sinnesobjekten zurück,
so wie eine Schildkröte sich in ihren Panzer zurückzieht.
4. Geduld
(Titiksha)
Geduld ist die Fähigkeit, die unvermeidlichen Stürme und
Belastungen des Lebens zu überstehen. Wie Krishna in der Gita
sagt, sind die Gegensätze des Lebens - die Dualitäten von Hitze
und Kälte, Licht und Dunkelheit, Vergnügen und Schmerz, Lob und
Kritik - unvermeidlich und müssen mit Gleichmut ertragen
werden. Der qualifizierte Suchende akzeptiert die 'Nadelstiche
des Lebens' einfach ohne Klagen und Drama. Auch diese
Qualifikation wird durch die Kultivierung von
Leidenschaftslosigkeit verstärkt.
5. Konzentration
(Samadhana)
Die Fähigkeit, sich zu konzentrieren, ist ein wichtiger
Bestandteil von Disziplin. Ohne einen beständigen Geist, der in
der Lage ist, über die Lehren anhaltend zu reflektieren, wird
Selbsterkenntnis nichts als ein abstraktes Konzept bleiben. Der
engagierte Suchende hat einen auf einen Punkt gerichteten Geist
und ein klares Ziel vor Augen. Durch seine Standhaftigkeit kann
ihn nichts von seinem Weg abbringen.
6. Vertrauen
(Shraddha)
Der letzte Aspekt von Disziplin ist Vertrauen. Vedanta ist
herausfordernd. Es mag auf den ersten Blick wenig intuitiv
erscheinen. Es widerspricht vielleicht jeder Annahme deines
gesunden Menschenverstandes, die du bisher über dich und dein
Leben hattest. Deshalb ist ein offener, forschender Geist
notwendig, der bereit ist, den Worten der Lehren und des
Lehrers zu vertrauen. Dies ist jedoch kein blinder Glaube. Es
macht keinen Sinn, einfach die Worte einer äußeren Autorität zu
akzeptieren, ohne die Möglichkeit zu haben, ihre Wahrheit für
dich selbst zu überprüfen. Dies hat in der gesamten
Menschheitsgeschichte zu enormen Katastrophen geführt. Hier, im
Vedanta, ist dein Glaube nur provisorisch. Es ist solange
Glaube, Vertrauen, bis die Ergebnisse deiner eigenen
Untersuchungen und Erforschungen vorliegen.
4. Verlangen nach Befreiung (Mumukshutva)
Zu guter Letzt, kommt das Verlangen nach
Befreiung. Es ist das, was Krishna als „Verlangen, das Dharma
nicht entgegensteht“ bezeichnet.
Ohne den brennenden Wunsch nach Befreiung wirst du
nicht die nötige Zeit und Energie aufwenden, um frei zu
werden.
Es wird immer etwas Verlockenderes in der Welt
der Objekte und Erfahrungen geben, nach dem du streben
kannst.
Wenn du den Wert der Lehre nicht erkennst, wirst du weiterhin
die Qualen von Samsara erleiden, während du endlos und
vergeblich nach Glück und Beständigkeit in der Welt der
Vergänglichkeit suchst.
Nur wenn du erkennst, dass Freiheit nur erreicht werden kann,
wenn du diese Abhängigkeit von der Welt der Begrenztheit
auflöst, wird dein intensives Verlangen nach Befreiung dir die
notwendige Motivation geben, dich Vedanta hinzugeben.
Jede dieser Qualifikationen führt ganz natürlich zur
nächsten.
Zuerst ist Unterscheidungsfähigkeit notwendig, denn mit
Unterscheidungsfähigkeit sehen wir, dass, im Gegensatz zu
begrenzten weltlichen Zielen, nur Moksha dauerhafte Erfüllung
bringen kann.
Daraus erwächst Leidenschaftslosigkeit, die die Anhaftung an
materielle Objekte vermindert. Erst können wir genügend
Verlangen nach Befreiung kultivieren.
Dieses Verlangen liefert die nötige Motivation und Hingabe, um
mit der Lehre zu arbeiten, bis das Wissen verinnerlicht und der
Geist von den Fesseln Samsaras befreit ist.
Dies sind die Grundqualifikationen, die vorhanden sein müssen,
damit die Selbsterkenntnis funktionieren kann.
Wenn du nichts anderes tust, als diese Qualitäten des Geistes
zu kultivieren, wirst du faktisch ein glückliches und
friedvolles Leben führen.
Der Mumukshu strebt jedoch nach mehr. Als Suchender nach
Befreiung ist dein Ziel nichts Geringeres als die Befreiung von
Samsara.
Menschen sind immer schnell dabei, auf die anderen, die
Umstände, den Zustand der Welt oder sogar auf die Hand des
Schicksals als Quelle ihrer Probleme zu verweisen. Aber in
Wahrheit ist der Feind stets näher beheimatet.
Auch wenn wir zu der Annahme neigen, dass unsere Probleme da
draußen in der Welt liegen, ist Samsara kein äußerer Kampf.
Krishna macht deutlich, dass es ein Krieg gegen die
Unwissenheit und das Schlachtfeld der menschliche Geist ist:
„Der Verstand allein kann dein größter Trumpf, oder er kann
dein schlimmster Feind sein.“
Der Schlüssel zur Freiheit ist daher die Beherrschung deines
Verstandes. Er liegt darin, dafür zu sorgen, dass der Verstand
für und nicht gegen dich arbeitet. Um dies zu tun, musst du
dich „durch dich selbst emporheben“.
Einige spirituelle Sucher haben die unglückliche Tendenz, sich
für ihre Befreiung an andere zu wenden, sei es in Form eines
charismatischen Gurus, Internet-Evangelisten,
Verschwörungstheorien, einer Kirche, Gemeinschaft oder
vielleicht sogar einer Sekte.
Da sie zu Trägheit und magischem Denken neigen, wollen die eher
tamasischen Suchenden nicht selbst denken und unterscheiden
müssen, geschweige denn lernen, ihren Verstand und ihre Sinne
zu kontrollieren.
Solch ein Mensch wird nach jemandem suchen, der für ihn denkt -
und jeder, der selbstbewusst und charismatisch genug ist, wird
dies auch für ihn tun. Ganz wie ein Baby in den Armen seiner
Mutter macht er sich für seinen Lebensunterhalt und seine
Befreiung völlig von diesem Menschen abhängig.
Dies führt jedoch niemals zur Befreiung, sondern nur zu
größerer Unfreiheit.
Niemand anderes kann dich jemals befreien. Krishna macht
deutlich, dass du und nur du allein die Verantwortung für deine
eigene Befreiung übernehmen musst.
Wenn du nicht zum Herrn deines Körper-Geist-Ego-Systems wirst,
wirst du immer seine Geisel sein.
Der wahre Feind sitzt innen.
Solange der ungebändigte Geist nicht bezwungen ist, bleibt
Moksha unerreichbar.
Wie also erreichst du diese Qualifikationen? Vedanta lässt dich
nicht einfach im Regen stehen, sondern vermittelt eine Reihe
spirituelle Praktiken (Sadhanas), die zu einem ausgeglichenen,
gefestigten und qualifizierten Geist verhelfen.
Über das wichtigste Werkzeug, Karma-Yoga, habe ich bereits
ausführlich geschrieben.
Die Essenz von Karma-Yoga ist das Verständnis, dass man zwar
das Recht zum Handeln, aber keine Kontrolle über die Früchte
dieser Handlungen hat. Sobald du den Pfeil abgeschossen hast,
hast du keinen Einfluss mehr darauf, ob er das gewünschte Ziel
trifft.
Wenn du Karma-Yoga praktizierst, kultivierst du ein ruhiges,
stabiles, friedliches Gemüt, ein zur Kontemplation fähiges
Gemüt. Dein Glück hängt nicht mehr davon ab, ob es nach deinem
Willen geht. Denn schließlich kann niemand dauerhaften Erfolg
im Leben erwarten.
Die Ergebnisse des Handelns sind immer unvorhersehbar. Dein
Glück auf unvorhersehbare Faktoren zu gründen, bedeutet, ein
Leben voller Angst, Frustration und Unglücklich sein
herbeizuführen.
Ein materialistischer, ergebnisorientierter Verstand ist immer
enormen Ängsten, Stress und Anspannung ausgesetzt. Aus diesem
Grund definiert Swami Paramarthanada wahren Erfolg als die
Fähigkeit, sowohl Erfolg als auch Misserfolg mit einem
ausgeglichenen Geist zu begegnen.
Das Handeln des Samsari, der sein Glück in äußeren Objekten und
Erfahrungen sucht, wird von seinen Vorlieben und Abneigungen
bestimmt und erfolgt mit Anhaftung an die Ergebnisse.
Der Karma-Yogi hingegen wird nicht mehr von dem Wunsch
getrieben, bestimmte materielle Ziele zu erreichen.
Als Karma-Yogi ist dein primäres Ziel Moksha, Freiheit von der
emotionalen Abhängigkeit von Objekten.
Du handelst nicht mehr gemäß deiner Vorlieben und Abneigungen,
sondern in Übereinstimmung mit Dharma.
Du tust, was zu tun ist, wenn es zu tun ist, und bietest jede
Handlung dem Selbst mit einer Haltung der Dankbarkeit und
Hingabe an. Dann akzeptierst du jedes Ergebnis als legitim und
richtig. Du nimmst jedes Ergebnis als Prasada, als göttliches
Geschenk, an.
Das Leben im Geist von Dharma und Karma-Yoga ist der ultimative
Stresslöser. Trauer wegen der Vergangenheit und Angst vor der
Zukunft schmelzen dahin, wenn du aufhörst, dein Leben nur für
dich selbst zu leben, sondern als ein Geschenk an das
Göttliche.
Als nach Befreiung Suchender ist dies dein primäres Sadhana
(spirituelle Praxis). Indem du in Übereinstimmung mit Dharma
und mit Karma-Yoga-Mentalität handelst, werden die bindenden
Vasanas nach und nach zu nichtbindenden verwandelt. Dies
reinigt den Geist, reduziert den psychologischen Druck von nach
außen gerichteten Wünschen und Abneigungen und macht den Geist
durch Verinnerlichen der Selbsterkenntnis bereit für die
Befreiung.
Wie Krishna sagt:
„Ohne einen friedvollen, beständigen Geist ist die Kontemplation über das Selbst unmöglich und die Freiheit schwer zu erreichen. Ohne die Fähigkeit zur Kontemplation gibt es keinen Frieden. Wie kann es Glück ohne Frieden geben?“
Im zweiten Kapitel der Gita beschreibt Krishna Karma-Yoga etwas ausführlicher:
„Man hat Erfolg, wenn man seine Pflicht mit Karma-Yoga-Haltung erfüllt. Handlungen, die durch Wünsche oder Ängste bezüglich möglicher Ergebnisse begründet sind, werden immer Elend verursachen. Darum suche Zuflucht in diesem Wissen. Gib dich dem Selbst hin, und lass jede Handlung eine Form freudiger Anbetung sein und alle Sorge um das Ergebnis los. Wenn du dies tust, wirst du dich von den Fesseln des Handelns befreien und dein Geist wird mühelos Befreiung erlangen.“
„Ein Leben in Karma-Yoga erzeugt ein friedliches Herz und vertreibt die Verblendungen des Geistes. Man wird leidenschaftslos gegenüber den Dingen dieser Welt, die alle von allein kommen und gehen. Nicht mehr auf die Sinnesobjekte fixiert, wird das Gemüt heiter und beständig, und es kommt in der Kontemplation des eigenen Selbst zur Ruhe. In Selbsterkenntnis verankert zu sein, ist das Tor zur Befreiung.“
Vedanta bietet noch andere Werkzeuge zur Klärung des Geistes,
wie zum Beispiel Meditation, das Kultivieren einer
hingebungsvollen Geisteshaltung und das Verstehen der drei
Gunas. Das Hauptmittel für die meisten Suchenden ist jedoch
Karma-Yoga, auf das wir im nächsten Artikel näher eingehen
werden.