"Der Tanz von Samsara ist ein Tanz ständiger Frustration und ständigen Leidens."
- Rory B. Mackay-
Im ersten Artikel dieser Reihe haben wir die vier Arten
menschlichen Strebens untersucht: das Streben nach Reichtum,
Vergnügen, Tugend und Befreiung.
Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass, was auch immer du im
Leben suchst, ob Ruhm, Reichtum oder schnelle Autos, es
letztendlich immer auf den Wunsch hinausläuft, frei von
Begrenzungen zu sein.
Jedes Verlangen ist letztlich ein Verlangen nach
Befreiung.
Doch anstatt Befreiung oder Moksha direkt zu suchen, lassen wir
uns von der Überzeugung täuschen, dass das Glück nur außerhalb
von uns, in der Welt der Objekte, zu finden ist. Und so
beschränkt sich unsere Suche nach Glück auf die Welt der
Objekte, Menschen und Umstände.
Das Problem ist: Das funktioniert einfach nicht!
Da das Leben ist, was es ist - ein Nullsummenspiel - kannst du
sicher sein, dass mit der Suche nach weltlichen Objekten immer
Leiden verbunden ist.
Zunächst einmal ist es mit Schmerz und Anstrengung verbunden,
das Objekt deiner Begierde zu erlangen. Dann kommt der Kampf,
es bewahren zu müssen. Und schließlich folgt der Kummer, wenn
man es irgendwann verliert.
Die Quintessenz ist folgende: Nichts auf dieser Welt
kann dauerhaftes Glück bringen.
Das liegt daran, dass alle Objekte in Maya (der
phänomenalen Realität) begrenzt und zeitgebunden sind. Selbst
Dinge, die relativ ewig erscheinen, wie die Sterne und
Galaxien, sind einer langsamen Spirale von Verfall und Tod
unterworfen.
Ein Leben, das damit zugebracht wird, Glück und
Vollständigkeit in einer Welt zu suchen, die dies niemals
bieten kann, ist ein verschwendetes Leben.
Die Sorgen sind endlos für eine solche
Seele.
Dieser Zwang, nach Objekten zu streben, in der Hoffnung, aus
ihnen Glück, Freiheit und Ganzheit zu erlangen, wird Samsara
genannt. Das Rad von Samsara ist ein nie endender Kreislauf von
Mangel, Verlangen, Anhaftung und Leid.
Darin liegt das Grundleiden der Menschheit. Es ist ein Leiden,
von dem praktisch jedes menschliche Wesen auf diesem Planeten
betroffen ist.
Samsara steht für eine falsche Erwartung, für ein
unangebrachtes Suchen. Von Maya getäuscht, sucht der Samsari
Beständigkeit in der Welt des Unbeständigen, Erfüllung im
Endlichen und Glück in etwas, das dieses Glück immer nur
zusammen mit einem gleich großen Maß an Leid bringen
kann.
Wir wollen jetzt untersuchen, wie es dazu kommt.
Die Basis von Samsara ist immer ein Gefühl des Mangels.
Diejenigen, die sich in sich selbst vollständig und vollkommen
fühlen, haben wenig Wünsche. Was gibt es denn zu wünschen, wenn
du weißt, dass du die Quelle deines eigenen Glücks bist?
Das grundlegende menschliche Problem besteht darin, dass wir
zwar alle wissen, dass wir sind, aber nicht wissen, wer wir
sind.
Dies ist ein universelles Problem, unabhängig von Alter,
Geschlecht, Nationalität, Einkommen oder sozialem Status. Wir
alle wissen, dass wir existieren, aber wir haben einen
grundlegenden Mangel an Wissen bezüglich unserer innewohnenden
Natur und Identität.
Swami Dayananda sagt:
„Die Herrlichkeit des Menschen liegt darin, dass er sich seiner
selbst bewusst ist. Das Selbst, dessen er sich bewusst ist, ist
jedoch kein vollständiges, ausreichendes Selbst. Es ist leider
ein mangelhaftes, unzulängliches Selbst.“
Weil du das Scheinbare für real und dich für eine begrenzte
Körper-Geist-Einheit hältst, empfindest du ein großes Gefühl
des Mangels.
Dieses Gefühl des Mangels wird Dukkha genannt, was
„Unbefriedigtsein“ bedeutet.
Ob deine persönlichen Umstände nun gut oder schlecht sind,
Körper, Geist und Ego sind von Natur aus immer begrenzt. Sie
werden immer vom Schreckgespenst ihres eigenen unausweichlichen
Untergangs heimgesucht.
Als Folge dieses grundlegenden Gefühls von Mangel, Begrenzung
und Unzulänglichkeit versuchst du verzweifelt, dein Leben so
gut du kannst zu kontrollieren. Der Verstand wird dadurch zu
einem brodelnden Kessel voller Bedürfnisse und Wünsche. Eine
endlose Anzahl von Vorlieben und Abneigungen, Begierden und
Widerständen treibt deine gesamte Psyche an.
Ein Mensch kann nur das wollen, von dem er das Gefühl hat, es
fehle ihm. Deshalb sind seine Wünsche umso stärker, je größer
das Gefühl der Selbstbegrenzung ist.
Aber das Problem ist: Egal, wie sehr man sich bemüht und wie
viel man bekommt, es ist nie genug. Es reicht nie aus, um das
grundlegende Gefühl des Mangels und der Unvollständigkeit
aufzulösen, das von dir als dein Wesenskern empfunden
wird.
Solange man sich nicht mit der Ursache des Problems befasst -
Dukkha und dem Glauben bzw. der Annahme, dass man ein
unzulängliches und begrenztes Ego ist - ist es unmöglich,
Samsara, dem Strudel des Leidens, zu entkommen. Man wird immer
wieder nach unten gezogen, wieder und immer wieder.
Aus dem Gefühl der Selbstbegrenzung ergeben sich drei weitere
Faktoren, die Samsara bewirken:
1. Raga (bindendes Begehren/Anhaftung)
Raga entsteht aus deinem Gefühl der
Unvollständigkeit. Da es dein innigster Wunsch ist, vollkommen
und vollständig zu sein, suchst du aktiv nach Objekten und
Umständen, von denen du glaubst, sie würden dich
vervollständigen, erfüllen.
Das Wort „Wunsch“ ist keine adäquate Übersetzung für Raga. Raga
bezieht sich auf jene hartnäckigen, fesselnden Wünsche, die die
Grundlage für emotionale Anhaftungen und psychische
Abhängigkeiten bilden.
Diese Anhaftungen sind immer egozentrischer Natur. Wenn du von
Raga getrieben bist, geht es dir in erster Linie darum, deine
eigenen emotionalen Bedürfnisse zu befriedigen. Du bist dann
bestrebt, alles aus Menschen, Beziehungen oder Situationen
herauszuholen, was du als notwendig für dein Glück erachtest.
Es kümmert dich dabei häufig nicht wirklich, wem du dabei auf
die Zehen treten musst oder ob du gegen Dharma verstößt.
2. Shoka (Kummer)
Raga führt unweigerlich zu Shoka, was soviel wie
Kummer bedeutet.
Die emotionale Abhängigkeit von äußeren Faktoren für das eigene
Glück ist das Gegenteil von Freiheit.
Wer sich beim Gehen auf Krücken stützt, fühlt sich vielleicht
sicher, aber es ist eine trügerische Sicherheit. Sobald diese
Krücken weggenommen werden, ist ein Sturz unvermeidlich. Der
Verlust einer psychischen Krücke, ob es sich nun um eine
Beziehung, einen Job oder einen geliebten Besitz handelt, wird
schreckliches Leid verursachen. Je größer die Anhaftung, desto
schlimmer der Kummer.
Swami Paramarthananda betont: „Jede Anhaftung bedeutet
potenziellen Kummer.“
3. Moha (Täuschung)
Kummer und Wut führen mit der Zeit zu Moha
(Täuschung/Verblendung).
Wenn dein Geist von Anhaftung überwältigt wird, kannst du nicht
klar sehen.
Du kannst nicht mehr zwischen richtig und falsch unterscheiden,
zwischen dem, was du tun solltest und dem, was du nicht tun
solltest. Bevor du es merkst, führst du ein adharmisches Leben.
Je adharmischer du wirst, desto mehr leidest du selbst und
desto mehr Leid fügst du letztlich anderen zu.
Das grundlegende Gefühl der Unzulänglichkeit, das dem Rad von
Samsara den ersten Schub gegeben hat, wird immer stärker - und
das Rad dreht sich immer weiter und weiter.
Der Tanz von Samsara ist ein Tanz ständiger Frustration und
ständigen Leidens.
Du findest dich dabei in der ständigen Ausübung von Handlungen
wieder, von denen du glaubst, sie würden Glück und
Vollständigkeit schenken. Bedauerlicherweise ist nichts auf
dieser Welt in der Lage, dauerhaftes Glück zu schenken. Auch
das Erreichen des Begehrten ist wie eine bittere Pille, die man
schlucken muss, denn angesichts der Tatsache, dass sich alles
in dieser Welt in ständigem Fluss befindet, sind Objekte nicht
in der Lage, dauerhaftes Glück zu bewirken.
Doch aufgrund von Unwissenheit und dem Momentum, der
Schwungkraft vergangener Handlungen zwingen die Vasanas
(unterschwellige Tendenzen oder psychologische Zwänge) dich
dazu, weiter das Ende des Regenbogens zu suchen, in der
Hoffnung, schließlich deinen Goldschatz zu finden.
Unglücklicherweise hält dich das nur in immer größeren Spiralen
von Anhaftung, Kummer und Täuschung gefangen. Wenn sich das Rad
von Samsara erst einmal dreht, erscheint es fast unmöglich, es
wieder zu verlassen.
Wir gehen tendenziell immer davon aus, dass unsere äußeren
Umstände der Grund für unseren Kummer sind.
Schwierigkeiten im Außen, oder wie Swami Dayananda es nennt,
„aktuelle Probleme“, sind jedoch nur nebensächlich. Sie kommen
und gehen. In dem Moment, in dem man ein Problem löst, kommt
ein anderes zum Vorschein.
Die wirkliche Ursache für deinen Kummer - das fundamentale
Problem - liegt immer bei dir selbst.
Während sich aktuelle Probleme von Mensch zu Mensch
unterscheiden, ist das Problem von Samsara im Grunde für alle
Menschen dasselbe.
Dieses universelle Problem geht mit einer universellen Lösung
einher. Im Gegensatz zu den aktuellen Problemen des Lebens gibt
es für Samsara eine Einheitslösung für alle.
Das Problem beruht seit jeher auf fehlerhaftem Denken. Samsara
entsteht im Geist und zwar mit dieser falschen Vorstellung
davon, wer du zu bist und was du glaubst, zu brauchen, um
glücklich und vollständig zu sein.
Ein Problem kann man nur dann lösen, wenn man es auf der
eigentlichen Ebene des Problems angeht. Der Versuch, aus
Samsara herauszukommen, indem man die äußeren Umstände seines
Lebens umgestaltet, wird keinerlei Wirkung haben. Du kannst
eine schmerzende Schulter nicht heilen, indem du deinen Zeh mit
Salbe einschmierst. Du musst das Problem bis zu seinem Ursprung
zurückverfolgen und es dann auf dieser Ebene angehen.
Das Problem entsteht im Verstand, und nur dort kann es
gelöst werden.
Die Ursache von Samsara ist Selbstignoranz, das
Missverstehen der Natur des Selbst.
Diese Unwissenheit manifestiert sich als ein grundlegendes
Gefühl von Mangel und Begrenzung. Das Wesen, das du für dich
selbst hältst, ist kein vollständiges, vollkommenes Selbst. Es
ist vielmehr ein unvollständiges, mangelhaftes, unzulängliches
Selbst. Da niemand mit einem solchen Selbst glücklich sein
kann, entsteht der Kreislauf von Begehren, Anhaftung, Kummer
und Täuschung.
Der Ausweg aus Samsara liegt also in einer Umerziehung des
Geistes.
Es gibt vier Stufen, um jedes Problem zu lösen.
Zunächst einmal musst du dir des Problems bewusst sein.
Sobald du das Problem erkannt hast, wirst du
höchstwahrscheinlich versuchen, es alleine zu lösen.
Meistens wird das einfach nicht funktionieren. Der Verstand
neigt natürlicherweise zu der Annahme, dass seine Probleme
durch äußere Umstände verursacht werden. Also beginnst du
sofort damit zu versuchen, die äußeren Bedingungen deines
Lebens zu verändern. Vielleicht bemühst du dich um einen neuen
Job, ein neues Haus oder einen neuen Partner. Du änderst deine
Frisur, kaufst neue Kleider, buchst vielleicht einen Urlaub
oder schreibst dich an einer Hochschule ein.
Leider bleibt das Grundproblem bestehen, egal wie sehr du
versuchst, die äußeren Bedingungen deines Lebens zu verändern.
Du kannst allen Reichtum, alle Gesundheit und allen Erfolg der
Welt haben und dich innerlich immer noch leer und elend
fühlen.
Wenn das der Fall ist, musst du dir irgendwann eingestehen,
dass nicht „dein Leben“ das Problem ist.
Das Problem bist du.
Niemand gibt gerne zu, dass er die Quelle seiner eigenen
Probleme ist. Aber wenn du das Problem bist, bist du auch die
Lösung.
Wenn das eigentliche Problem entdeckt worden ist und du
erkennst, dass du es nicht selbst lösen kannst, ist der nächste
Schritt, deine Hilflosigkeit zuzugeben und jemanden zu finden,
der helfen kann.
Hier kommt Vedanta ins Spiel.
Vedanta beschreibt zunächst das Problem - das Leiden an
Samsara, das durch mangelnde Selbsterkenntnis verursacht
wird.
Dann enthüllt es das Heilmittel: Selbsterkenntnis.
Vedanta ist ein Pramana, ein Mittel zur Selbsterkenntnis. Die
Anwendung des Heilmittels erfolgt, indem man die Lehre anhört
und sie in Form von Reflexion, Kontemplation und
Selbsterforschung in die Praxis umsetzt.
Der nächste Artikel in dieser Reihe wird dich durch den Prozess
der Selbsterforschung führen, der zur Selbsterkenntnis und zur
Befreiung vom Leiden in Samsara führt.